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Belgien gibt koloniale Raubkunst an DR Kongo zurück

Julia Hitz
28. Juni 2021

Belgien drückt in Sachen Restitution kolonialer Objekte aufs Gaspedal: Gestohlene Objekte sind ab sofort wieder im Besitz der Demokratischen Republik Kongo.

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Die Kitumba Statue aus Kongo ist nachgewiesenermaßen Raubgut, ausgestellt im belgischen Afrika-Museum Tervuren
Diese Kitumba Statue aus dem Bestand des Afrika-Museums im belgischen Tervuren gehört jetzt der DR KongoBild: Africa Museum Tervuren

Wo ein starker politischer Wille ist, kann es auf einmal ganz schnell gehen. Nach Deutschland, Frankreich und den Niederlanden hat sich nun auch Belgien entschlossen, geraubte Kulturgüter aus der Kolonialzeit zurückzugeben. Dabei geht das Land weiter, als es die anderen bisher getan haben. Denn während andere Länder häufig erst einmal prüfen wollen, ob und wie Objekte Stück für Stück an ihre Herkunftsländer zurückgegeben werden sollen, ließ die belgische Regierung verlauten: Alle Objekte, die aus einem kolonialen Unrechtskontext stammen, sind per sofort juristisches Eigentum der Demokratischen Republik Kongo.

Konkret betrifft das bislang allerdings nur 883 der insgesamt 80.000 Objekte, die derzeit noch im staatlichen Afrika-Museum in Tervuren lagern und die in der Zeit von 1885 bis 1960 ihren Weg aus dem zentralafrikanischen Land nach Belgien fanden.

Es handelt sich hauptsächlich um Masken und Statuen. 300 können zweifelsfrei, circa 500 höchstwahrscheinlich als Raubgut eingestuft werden. "Sie stammen aus Sammlungen von Personen des Militärs, etwa Leutnant Storms, die vor 1908 im Freistaat Kongo waren", präzisiert der Generaldirektor des Museums in Tervuren, Guido Gryseels, gegenüber der DW. "Bei diesen Militärs ist die illegale Aneignung mehr als wahrscheinlich."

Grausame Kolonialgeschichte Belgiens

Besonders die Herrschaft unter dem belgischen König Leopold II. (1835-1909) im damaligen "Kongo-Freistaat" war so brutal, dass selbst Zeitgenossen entsetzt protestierten: So dokumentierten etwa einige Missionare mit Fotos und Texten die Grausamkeit, mit der Menschen und Land ausgebeutet wurden.

Der Angestellte einer Reederei, Edmund Dene Morel, ging Anfang des 20. Jahrhunderts sogar an die europäische Öffentlichkeit: Fotos von abgehackten Händen von Kongolesen, die so auf den Kautschukplantagen sanktioniert wurden, machten die Runde.
Bei den so genannten "Kongo-Gräueln" wurden Millionen von Menschen verstümmelt oder umgebracht. Die internationalen Proteste setzten Belgien und den König politisch unter Druck. 1908 wurde das bis zu diesem Zeitpunkt als Privatbesitz des Königs geltende Land unter staatliche Verwaltung Belgiens gestellt. Die brutalen Zwangsmaßnahmen wurden unterbunden, die wirtschaftliche Ausbeutung im darauffolgenden sogenannten "Belgisch-Kongo" hielt jedoch bis zur Unabhängigkeit 1960 an. 

"Kongo-Gräuel" im Kongo-Freistaat: Zwei Kongolesen halten die abgetrennten Hände von getöteten Wachleuten auf den Kautschuk-Plantagen in die Kamera, eingerahmt von zwei Missionaren.
"Kongo-Gräuel": Zwei Kongolesen halten 1904 die abgehackten Hände von zwei getöteten Wachleuten hochBild: picture-alliance/dpa/Everett Collection

Eigentumsrechte sofort zurückgeben

Etwa 60 Prozent der 80.000 in Tervuren gelagerten Objekte gelten als unproblematisch. Doch bei 35.000 bleibt die Provenienz ungeklärt. "Um was es für Objekte geht, interessiert mich im Grunde gar nicht", so der belgische Staatssekretär für Wissenschaft Thomas Dermine gegenüber der DW. "Wir wollten und haben jetzt einen holistischen, globalen Ansatz, wie mit solchen Objekten umgegangen werden soll."

Die sofortige Übertragung der Eigentumsrechte der nachweislich als gestohlen betrachtete Objekte an die Demokratische Republik Kongo ist das Eine. Jene Objekte, für die die Provenienz noch nicht geklärt ist, verlieren zudem den Status des "öffentlichen Besitzes'". Sie gelten von nun als "privates Staatseigentum", was zur Folge hat, dass "wenn bei ihnen der illegale Erwerb nachgewiesen wird, sie automatisch an den rechtmäßigen Inhaber übergehen", so Dermine. "Das Prinzip ist jetzt ein anderes, und es ist unabhängig von Art oder Wert der einzelnen Objekte."

Globale Lösung für ein globales Problem

Genau so müsse man vorgehen, wenn man Raubgut nicht behalten wolle, kommentiert Jürgen Zimmerer von der Universität Hamburg im Gespräch mit der DW. "Da darf man sich nicht rausreden damit, dass es keine Aufbewahrungsmöglichkeiten gebe oder wer genau der Empfänger sein müsste." Die Umsetzung müsse natürlich kritisch begleitet werden, aber "das ist eine Weichenstellung, die den Weg in die Zukunft weist." Das Argument mit den mangelnden Aufbewahrungsmöglichkeiten hat Prozesse der Restitution lange verlangsamt und erschwert.

Elfenbeinmaske aus dem Kongo, ca 1952.
Elfenbein-Maske aus dem Kongo in Tervuren: Provenienz noch nicht geklärtBild: Africa Museum Tervuren

Auch der Direktor von Tervuren hält den nun gewählten Ansatz für innovativ. "Das ist absolut der richtige Weg", so Guido Gryseels. "Allerdings bin ich noch skeptisch, was die praktische Umsetzung betrifft." Diese benötige nämlich viel Geld, um die restlichen Provenienzen zu klären: "Wenn wir volle Ressourcen bekommen, braucht es trotzdem schätzungsweise vier Jahre", so Gryseels.

Zögerlichkeit, wohin man schaut

Die ehemaligen europäischen Kolonialmächte taten und tun sich schwer: mit der geschichtlichen Aufarbeitung, mit der offiziellen Anerkennung der Kolonialverbrechen und mit der Wiedergutmachung des getanen Unrechts. Beispielsweise hat sich die deutsche Regierung erst jetzt dazu durchgerungen, den Völkermord an den Herero und Nama offiziell anzuerkennenund sich zu entschuldigen. Es war das Ergebnis eines zähen Ringens: Über fünf Jahre dauerten die Verhandlungen zwischen Deutschland und Namibia an. Etliche weitere Jahren waren vergangen, bis überhaupt Verhandlungen aufgenommen worden waren. 

Felwine Sarr senegalesischer Musiker und Philosoph
Felwine Sarr, senegalesischer Wirtschaftswissenschaftler und AutorBild: DWMamadou Lamine Ba

Die Gespräche rund um die Restitution kolonialer Raubkunst gestalten sich europaweit als schwierig: Oft wurden sie ausgesetzt - teils mit Argumenten, die eine koloniale Perspektive fortführten: "Interessanterweise hört man jetzt, wo die Debatte um die Restitution von Kulturgütern läuft, Argumente, die eine tief verankerte Herablassung offenbaren", konstatiert etwa der senegalesische Wirtschaftswissenschaftler und Autor Felwine Sarr. Etwa in dem man "über Afrika sagt, es gäbe dort keine Museen oder man sei unfähig, die eigenen Kunstwerke zu verwalten". 2017 hatte Sarr gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy Empfehlungen erarbeit, wie Frankreich Objekte aus seinen ehemaligen Kolonien restituieren könne. Den Auftrag dazu hatte ihnen der französische Präsident Emmanuel Macron erteilt.

Mittlerweile bemühen sich Institutionen europaweit um mehr Transparenz, Dialog und Kooperationen mit afrikanischen Expertinnen und Experten. In Deutschland steht das Humboldt-Forum in Berlin, aber auch das Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln mitten in diesem Prozess - und damit auch im Zentrum von Aufmerksamkeit und Kritik.

Junge Generation sucht neuen Umgang mit kolonialer Vergangenheit

Mit dem Politikwechsel in Belgien zu einer jungen Koalition aus Liberalen, Grünen und Sozialdemokraten und vor dem Hintergrund der von der "Black-Lives-Matter"-Bewegung wieder angestoßenen Debatte über Rassismus in Europa kam auch in Belgien wieder Bewegung in den Prozess. 2020 schickte der belgische König Philippe anlässlich des 60. Jahrestages der Unabhängigkeit der Demokratischen Republik Kongo einen Brief an die Regierung in Kinshasa, in dem er sein "tiefstes Bedauern für die Verletzungen der Vergangenheit" ausdrückte. Die weltweiten Proteste im Nachgang der Ermordung von George Floyd in den USA erfassten auch Belgien: Proteste über rassistische Diskriminierung führten zu Beschmierungen verschiedener Statuen von Leopold II. in Belgien. Viele wurden abgerissen.

Belgien Kolonialismus Beschmierte Statue von König Leopold II
Beschmierte Statue von Leopold II.: Aufbrechende Auseinandersetzungen über die Kolonialvergangenheit BelgiensBild: Nicolas Landemard/picture alliance/dpa/MAXPPP

Vor diesem Hintergrund setzte die neue belgische Regierung eine parlamentarische Kommission ein, die auch die jetzt beschlossene Restitutionslinie empfohlen hat. Ende Sommer wird ihr Abschlussbericht erwartet. "Unsere Regierung ist sehr jung, wir haben nur einen Minister, der die koloniale Epoche noch erlebt hat", so Dermine gegenüber der DW. "Wir Jungen haben eine andere, kritischere Sicht, aber auch mehr Empathie."

"Ganz genau auf die Finger schauen"

"Wir verpflichten uns dazu, die wissenschaftliche Untersuchung dieser Objekte in den kommenden Jahren zu beschleunigen", beteuert Thomas Dermine. Man werde den kolonialen Besitz in ganz Belgien in allen Museen auf seine Herkunft untersuchen, ebenso die Kunstwerke aus Ruanda und Burundi, die nach dem Ersten Weltkrieg als Mandatsgebiete unter belgische Verwaltung kamen.

Afrika-Museum Tervuren in Belgien.
Viel zu tun: Das Afrika-Museum in Tervuren birgt noch 35.000 koloniale Objekte ungeklärter HerkunftBild: Aurelie Demesse/Reporters/imago images

"Da muss man dann sehr genau hinschauen, was mit den anderen Objekten passiert", mahnt Historiker Zimmerer. Den schnellen PR-Erfolg erzielen und das Gros der Sammlung dann behalten, das dürfe nicht passieren. Außerdem müsse eine unabhängige Provenienzforschung sichergestellt werden. "Sind das unabhängige Wissenschaftler aus Belgien, Deutschland und den ehemaligen Kolonien oder sind das Museumsmitarbeiter, die hier auch unter Druck gesetzt werden können?"

Ein wichtiger Schritt auf dem Weg

"Es gibt bisher in keinem europäischen Land eine ernstzunehmende Wiedergutmachungspolitik, was die Kolonialzeit angeht", so Zimmerer. "Die Bereitschaft, einzelne Objekte zurückzugeben, ist ja nur ein kleiner Teil." Dieser Teil immerhin könnte durch den Vorstoß Belgiens einiges an Dynamik gewinnen.