Namibia zwischen Lob und Widerstand
3. Juni 2021Olga Tgiurutue ist gut gelaunt. Eigentlich hätte die Bürgermeisterin von Okakarara längst Feierabend, aber sie will den Besuchern zeigen, welche großen Pläne sie für ihren kleinen Ort hat. In Stiletos läuft sie über den staubigen Vorhof der leeren Schlachterei im Ort, ein Entwicklungsprojekt, das bisher nur selten genutzt wird. Große Mengen Vieh könne man anschaffen, Fleisch weiterverarbeiten. Wenn es denn Geld dafür gebe. "Ich will, dass sich Okakarara weiterentwickelt", sagt Tgiurutue. "Wenn wir Unterstützung durch die deutschen Reparationszahlungen bekommen, ist das eine Chance für unsere Stadt."
Deal nach fünf Jahren Verhandlung
Nach mehr als fünf Jahren Verhandlungen haben sich Deutschland und Namibia auf eine Vereinbarung über die Verbrechen der Deutschen in Kolonialzeiten geeinigt. Vor mehr als 100 Jahren töteten deutsche Soldaten in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika zehntausende Hereros und Nama. 1904 gab der deutsche General Lothar von Trotha den Vernichtungsbefehl - auch gegen Frauen und Kinder.
Deutschland will nun den Völkermord an den Herero und Nama anerkennen, sich entschuldigen - und Entwicklungsprojekte für 1,1 Milliarden Euro in den nächsten 30 Jahren unterstützen. "Hierdurch wird dieses schmerzliche Kapitel der Vergangenheit abgeschlossen und eine neue Ära in den Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern und Völkern eingeleitet", heißt es in der gemeinsamen Erklärung, die demnächst von den Außenministern beider Länder unterzeichnet werden soll. Im Anschluss soll der deutsche Präsident vor dem Parlament Namibias um Vergebung bitten.
"Wir brauchen Jobs für junge Leute"
Die Bürgermeisterin freut sich darüber, dass es endlich eine Einigung gibt. Denn auch ihre Region, in der überwiegend Herero leben, soll davon profitieren. Bisher boomt vor allem eine Branche in der Stadt - Bars und Alkoholverkauf. Drei von vier Bewohnern, sagt Tgiurutue, hätten keinen Job. Ein Teil der Bevölkerung lebt noch immer in Wellblechhütten ohne Zugang zu vernünftigen Toiletten.
"Die Deutschen sollen einfach zeigen, dass wir ihnen nicht egal sind, auch wenn das lange her ist", sagt eine Schülerin. "Es muss nicht unbedingt Geld sein, aber Projekte, die unser Leben hier verbessern können. Wir brauchen Jobs für junge Leute." Ein junger Lehrer stimmt ihr zu: "Manche Dörfer hier haben noch nicht mal Strom."
Proteste und Meinungsverschiedenheiten
Doch es gibt auch Widerstand gegen die Vereinbarung - vor allem von einigen traditionellen Oberhäuptern. Einige nahmen an den Verhandlungen teil, andere fühlten sich dagegen ausgeschlossen und forderten direkte Gespräche mit der Bundesregierung. "Allein in diesem Zimmer sitzen drei Leute mit drei verschiedenen Meinungen", sagt Assaph Utjevera Kandjeo im Büro der Kambazembi Traditional Authority am Stadtrand. Er hält den Betrag für viel zu gering. "Leider haben uns die Verhandlungsführer nicht erklärt, wie die deutsche Regierung auf diese Zahl gekommen ist", sagt Kandjeo. "Darum denke ich, die Regierung sollte keine Einigung unterzeichnen - bis es einen Konsens mit den betroffenen Gemeinden gibt."
Zwei Autostunden entfernt im Dorf Otjinene haben sich dutzende Herero Ngauzepo versammelt. Ein Baum, an dem hunderte Kriegsgefangene der Herero von deutschen Truppen gehängt wurden. Trauer und Wut fühle er hier, sagt Vekuii Rukoro. Er bezeichnet sich selbst als Oberhaupt aller Herero und vertritt nach eigenen Angaben 95 Prozent der Volksgruppe. Die Regierung bestreitet das, Rukoro vertrete nur eine Minderheit. Er ist Anwalt und war früher Generalstaatsanwalt Namibias. Weil sich die deutsche Regierung weigerte, direkt mit ihm zu verhandeln, zog er bereits vor mehrere US-Gerichte, investierte Millionen in Klagen. Bisher ohne Erfolg.
"Das ist ein Deal zwischen zwei Regierungen - ein Entwicklungshilfedeal", sagt Rukoro. "Das hat nichts mit unseren Forderungen nach Reparationen zu tun. Sie verkaufen uns für dumm." Rukoro fordert einen Neubeginn der Verhandlungen.
Namibische Regierung: Verhandlungen abgeschlossen
Dazu wird es nicht kommen, sagt der Verhandlungsführer der namibischen Regierung, Zed Ngavirue im Gespräch mit der DW. "Es gibt Leute, denen ihr eigener Name wichtiger ist, ihr Ego, ihre Geschichte. Wir sollten uns nicht so viel darauf konzentrieren, was zwei, drei Chiefs und ihre Anhänger sagen." Die Kritik an der zugesagten Summe kann er nachvollziehen, auch er hätte gern mehr Geld gehabt. "Aber nach fünf Jahren Verhandlungen hat uns die Gegenseite zu verstehen gegeben - nur das können wir uns finanziell und politisch leisten."
Zurück in Okarkarara kauft sich die Bürgermeisterin eine Tüte getrocknetes Fleisch mit Chili beim Fleischer im Ort. In der Landwirtschaft und Viehzucht sieht sie die größten Zukunftschancen für die Region. Die Herero sind traditionelle Viehhirten und haben sich nach der Vertreibung durch deutsche Truppen hier niedergelassen. Jahrelang habe man über das Abkommen diskutiert - jetzt will Tgiurutue endlich sehen, dass ihre Heimat davon profitiert.