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Rückgabe von Kunst aus afrikanischen Ländern?

Sönje Storm Interview
21. Januar 2019

Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und der Wirtschaftswissenschaftler Felwine Sarr über geraubte Objekte, den Austausch mit afrikanischen und europäischen Kollegen sowie Erwartungen und Ängste auf beiden Seiten.

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Frankreich Benedicte Savoy und Felwine Starr
Bild: Getty Images/AFP/A. Jocard

Afrikanisches Kulturerbe dürfe nicht länger Gefangener europäischer Museen sein, verkündete Frankreichs Präsident Macron 2017. Er machte Ernst und forderte eine Expertise an, wie eine Restitution aussehen könnte. Beauftragt hat Emmanuel Macron damals die in Berlin und Paris lehrende Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy sowie den senegalesischen Wirtschaftswissenschaftler und Schriftsteller Felwine Sarr. Die DW hat mit beiden gesprochen.

DW: Präsident Emmanuel Macron hat angekündigt, dass Frankreich geraubte Objekte aus den einstigen Kolonien zurückgeben wird. Sie beide haben im Auftrag Macrons eine Expertise zur Machbarkeit erstellt. Was haben Sie vorgeschlagen?

Felwine Sarr: In den nationalen Museumssammlungen in Frankreich befinden sich ca. 90.000 Objekte. Wir konnten nachweisen, dass zwei Drittel davon während der Kolonialzeit in die Sammlungen gelangt sind. Die Aneignung erfolgte als Kriegsbeute, bei wissenschaftlichen Expeditionen, durch Ankäufe, Schenkungen, Nachlässe. Wenn die Aneignung gegen den Willen der Bevölkerung stattfand, haben wir in Erfahrung gebracht, ob es in den afrikanischen Herkunftsländern Forderungen nach Restitution dieser Objekte gab.

Bénédicte Savoy: Und deswegen empfehlen wir, dass diese Objekte, wenn eine Rückgabeforderung existiert, ohne größere Schwierigkeiten restituiert werden. Und dafür muss es juristische Arrangements geben oder eine Veränderung des Gesetzes, die wir auch empfehlen.

Geht es bei Ihrer Empfehlung tatsächlich vor allem um Rückgaben, oder gibt es auch Alternativen dazu, also dass die Objekte wandern oder als Leihgaben in französischen Museen bleiben?

Felwine Sarr: Zu Wanderausstellungen und Leihgaben gibt es bereits eine Kooperationstradition zwischen europäischen und afrikanischen Museen, da  bedarf es keiner neuen Verhandlungen. Unsere Arbeit bestand aber darin, uns mit der Restitution auseinanderzusetzen. Wenn man diesen Begriff unterschlägt, verdrängt man auch jeden Gedanken an die Kolonialgeschichte und die Nationen, die heute diese Objekte zurückfordern.

Museum für außereuropäische Kunst Quai Branly
Große königliche Statuen des Königreichs Dahomey aus den Jahren 1890-1892 im Mai 2018 in Paris. Dahomey war ein westafrikanisches Königreich, aus dem die heutige Republik Benin hervorgegangen ist. Kein Geschenk, sondern Beutekunst, sagt die dortige Regierung. Bild: picture-alliance/dpa/G. Julien

Sie sind für Ihre Recherchen im vergangenen Jahr mehrfach nach Afrika gereist und haben mit Politikern, Wissenschaftlern, Gemeinden, unterschiedlichsten Menschen in den Herkunftsländern gesprochen. Sind Sie offene Türen eingelaufen?

Felwine Sarr: In manchen Ländern beschäftigten sich die Communities schon vorher sehr stark mit dem Thema, in anderen war das Interesse vor Veröffentlichung des Berichts nicht so lebhaft. Jetzt gibt es aber einen richtigen Hype um die Restitutionsproblematik. Die einzelnen Staaten haben Listen der Objekte verfasst, die sie zurückfordern wollten. Das Thema erlebt eine Renaissance.

Bénédicte Savoy: Wir sprechen immer von Afrika, als ob es eine Einheit wäre. Afrika ist keine Einheit. Das heißt: Die Reaktionen waren unterschiedlich. In der Republik Benin zum Beispiel ist die Erinnerung an die Zerstörung des dortigen Königreichs durch die Franzosen noch sehr heftig. Alle erinnern sich, dass da ein König war, dass er ins Exil geschickt wurde, dass ein Palast niedergebrannt wurde. Und anlässlich dieser Plünderung kamen auch 2000 Objekte nach Paris.

Es gibt andere Gegenden, wo die Objekte etwas weniger präsent sind, weil sie eben nicht aus einem königlichen Palast stammen. Zum Beispiel Fischernetze: Im Senegal sprachen wir mit einem Museumsdirektor. Er sagte, in diese Fischernetze seien mathematische Formeln geknüpft, die sie jetzt in einem Forschungsprojekt an der Uni entziffern würden. Alte Formen des Wissens, die in Vergessenheit geraten, aber in diesen Knüpfereien rekonstruierbar sind. Wir haben in Bamako in Mali mit dem Museumsdirektor gesprochen. Er sagte uns: "Wir möchten bestimmte Kategorien von Objekten haben, die wir hier nicht haben. Aber von anderen haben wir ganz viele – die brauchen wir nicht. Die kann Frankreich behalten." Das heißt, wir hatten es mit sehr vernünftigen Reaktionen zu tun.

Kunsthalle Bremen-Ausstellung Der Blinde Fleck
Postkarte des ehemaligen "Kolonial-Ehrenmals" in Bremen vor 1945 (war zu sehen in der Ausstellung "Der blinde Fleck" 2017 in der Kunsthalle Bremen) Bild: Sammlung Joachim Zeller

Felwine Sarr: Die afrikanischen Konservatoren haben auch überlegt, wie man die Leerstellen füllen könnte, die in den europäischen Museen durch die Rückgabe entstehen würden. Das zeigt, dass es da eine Beziehung gibt. Die Leute interessierten sich nicht nur dafür, ihre Objekte zurückzubekommen, sondern sie dachten darüber nach, wie man die Leere füllen könnte, die die Objekte hinterlassen würden. Für mich war das ein Nachdenken über die Beziehung, den Austausch zwischen Afrika und Europa.

In der Debatte war häufig zu hören, dass die Museen befürchten, dass die Vitrinen demnächst leer sind. Kann das in fünf Jahren so sein? Was ist Ihre Einschätzung?

Felwine Sarr: Nein, das ist unrealistisch. Außerdem setzt das voraus, dass die Länder, die Forderungen stellen, alles zurückhaben wollen, was nicht der Fall zu sein scheint. Viel wahrscheinlicher ist, dass sie einige Objekte mit hohem symbolischen Wert haben wollen – und das sind nicht tausende, sondern wahrscheinlich weniger als einhundert. Voraussichtlich wird das alles über einen langen Zeitraum und in unterschiedlicher Geschwindigkeit ablaufen: Manche Ländern brauchen mehr Zeit, um sich bei Kompetenzen und Infrastruktur vorzubereiten. Der Wunsch scheint nicht zu sein, die Museen leerzufegen. Hier wird ein Schreckensszenario inszeniert, um Angst zu verbreiten. Aber realistisch ist das nicht.

In Ihrem vielbeachteten Buch "Afrotopia", das gerade auch auf Deutsch erschienen ist, beschreiben Sie, wie Afrika von außen eigentlich stets als sterbend bzw. im Niedergang beschrieben wird. Was sagt die aktuelle Debatte um Rückgaben über Europas heutigen Blick auf Afrika aus?

Felwine Sarr: Interessanterweise hört man jetzt, wo die Debatte um die Restitution von Kulturgütern läuft, Argumente, die eine tief verankerte Herablassung offenbaren. Wenn man über Afrika sagt, es gäbe dort keine Museen oder man sei unfähig, die eigenen Kunstwerke zu verwalten. Dass man sich nicht sicher sein könne, dass die Objekte des Kulturerbes in Sicherheit seien. Nicht alle sprechen das aus, aber weite Teile der Bevölkerung sind überzeugt davon, dass die Objekte in Europa viel sicherer wären – und dass es vielleicht sogar zum Wohle Afrikas wäre, wenn man sie dort auch behalten würde. Das bedeutet: Es liegt viel Arbeit vor uns, um den Blick zu "dekolonisieren".

Kunsthalle Bremen-Ausstellung Der Blinde Fleck
Emil Nolde, 1913/1914: "Männerkopf" (ebenfalls aus der Ausstellung "​Der Blinde Fleck" von 2017) ​Bild: Nolde Stiftung Seebüll

Streit um das Museum für Ethnologische Kunst, das seine Sammlung im neuen Humboldt Forum präsentieren wird und ein Prestigeprojekt der Bundesregierung ist, gibt es schon lange. Frau Savoy, Sie haben die Debatte um Rückgabe von Objekten und Artefakten aus den ehemaligen Kolonien im Sommer 2017 mit Ihrem geräuschvollen Austritt aus dem wissenschaftlichen Beirat des Humboldt Forums in Deutschland in die Öffentlichkeit gebracht. Heute ist es eines der großen kulturpolitischen Themen. Was ist Ihr grundsätzliches Ziel, worum geht es Ihnen?

Bénédicte Savoy: Also mir ging es ganz lange um die Transparenz der Geschichte der Sammlungen. Die dunkle Seite der Museen, die sonst immer nur ihre goldene Seite präsentieren, war mir wichtig. Und es war wichtig, dass die Öffentlichkeit, gerade die jüngere Generation, sich freuen kann an der Schönheit der Objekte – bei vollem Bewusstsein, dass diese Freude eine Kehrseite hat. Die breitere Öffentlichkeit wusste das nicht, das fand ich nicht richtig. Jetzt aber ist die Debatte da, jetzt wissen alle, dass diese Sammlungen schwierige Geschichten im Rücken haben. Ich finde, dass dadurch ein sehr großer Schritt gemacht wurde. Die Restitution ist eine politische Entscheidung, die müssen Politiker treffen.

Das Interview führte Sönje Storm am 17.01.2019 im Literaturhaus München.

 

Hier finden Sie weitere Informationen zum Humboldt-Forum: "Schatzkammer Berlin"