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Nigerias Stromwunder

Gwendolin Hilse7. August 2015

Seit Wochen stehen die Generatoren in Nigeria immer häufiger still: Mehr Strom wird nun in das Netz gespeist. Eine Entwicklung, die bei Millionen Nigerianern Hoffnungen schürt. Aber woher kommt dieser Extrastrom?

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Bild: picture-alliance/dpa

Wer an Nigerias Megapolis Lagos denkt, der denkt zunächst an Verkehrschaos und Smog. Aber auch an das donnernde Geräusch von Dieselgeneratoren, die seit Jahren den Soundtrack der Stadt bestimmen. Doch in den letzten Wochen verstummen diese immer häufiger: "Wir haben jetzt mehr Strom als je zuvor", berichten Einwohner der Neun-Millionen-Metropole.

Zum Teil hätten Stadtviertel in Lagos 24 Stunden am Tag Strom - ohne jegliche Ausfälle, berichtet Zakari Yao, der einen kleinen Laden in Lagos betreibt. "Früher musste ich immer wieder den Kühlschrank ausstellen, um so die Kosten für den Generator zu senken." Aber jetzt fließe regelmäßig Strom aus der Steckdose und er könne endlich wieder gekühltes Wasser und gefrorene Lebensmittel anbieten. Auch Mechaniker und Schweißer atmen auf: Für diese Arbeiten brauchen sie viel Strom - und wer vom Generator abhängig ist, für den wird es schnell teuer: "Teilweise habe ich im Monat bis zu 5000 Naira ausgegeben", sagt der Besitzer einer Autowerkstatt. Umgerechnet 23 Euro, nur um den Generator zu füttern - das ist viel Geld, wenn man bedenkt, dass ein durchschnittliches Monatseinkommen in Nigeria rund 90 Euro beträgt. Auch an den Tankstellen stehe nun das Benzin zu bezahlbaren Preisen und in eheblichen Mengen zur Verfügung.

Stromausfälle und Benzinknappheit prägen Afrikas Erdölgiganten

Stromausfälle sind charakteristisch für Nigeria: Sie dauern Tage, Wochen, manchmal sogar Monate. Das veraltete Stromnetz kann einfach nicht den Bedürfnissen von Afrikas meistbevölkertem Land gerecht werden. Obendrein gibt es oft tagelang kein Benzin an den Tankstellen, denn Nigerias marode Raffinieren sind oft außer Betrieb und könnten selbst bei Höchstleistung nicht genügend Benzin herstellen. Deshalb wird es teuer importiert - eine Ironie, bedenkt man, dass Nigeria der größte Rohölproduzent Afrikas ist.

Bisher kommt von dem Ölreichtum bei der Bevölkerung wenig an: Was bleibt ist ein verschmutztes Nigerdelta.
Was vom Öl bleibt, ist ein verschmutztes Nigerdelta.Bild: DW/M. Bello

Die Nigerianer haben über die Jahre gelernt, mit der Situation zu leben und eigene Wege zu finden, um sich zu versorgen: Wer das Geld hat, besorgt sich einen Generator und kauft das Benzin zu überhöhten Preisen auf dem Schwarzmarkt. Eine Situation, unter der die Wirtschaft jahrelang gelitten hat. Laut dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) leben zwei Drittel der rund 169 Millionen Einwohner in extremer Armut. Nach Einschätzung des UNDP wird Nigeria fast alle Millenniumsentwicklungsziele verfehlen.

Ende Mai noch titelte die Tageszeitung Premium Times: "Nigerianische Energiekrise verschlimmert sich: Nur fünf von 23 Elektrizitätswerken aktiv". Grund sei vor allem eine mangelnde Benzinversorgung, um die Kraftwerke anzutreiben. Etliche Präsidenten haben in der Vergangenheit versprochen, das Energieproblem anzugehen - ohne sichtbare Ergebnisse. "Die politische Elite hat einfach zu lange von den Geldern aus dem Energiesektor profitiert", sagt Bashir Kurfi, Dozent für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Ahmadu Bello University in der nordnigerianischen Stadt Zaria und Vorsitzender der Nichtregierungsorganisation Network for Justice. "In den Dienstzeiten von Obasanjo und Jonathan wurden mehr als 300 Milliarden Dollar in den Energiesektor gesteckt - und trotzdem gibt es keinen Strom." Mit dieser Summe könne man Energieprojekte für die ganze Region stemmen, so Kurfi: "Und wenn ich die ganze Region meine, dann rede ich von West- und Zentralafrika."

Woher der plötzliche Wandel?

Seit Muhammadu Buhari vor zwei Monaten sein Amt als Präsident angetreten hat, scheint sich jedoch etwas getan zu haben: Die Stromversorgung ist stabiler, alte Raffinieren nehmen ihre Arbeit wieder auf und günstiger Sprit ist an den Tankstellen erhältlich. Garba Ibrahim Sheka, Wirtschaftsprofessor an der Bayero Universität in Kano, ist sich sicher: Diese Entwicklungen haben mit den neuen Reformen im Ölsektor, insbesondere in der staatlichen Ölfirma NNPC (Nigerian National Petroleum Corporation) zu tun. Anfang der Woche wurde der alte NNPC-Chef Joseph Thlama Dawha entlassen, es folgten weitere Abteilungsleiter.

Aber ob der Umbau im Ölkonzern sich unmittelbar auf die Stromversorgung auswirkt, bleibt unklar. "Für uns ist nicht ersichtlich, woher der Strom plötzlich kommt", sagt Sheka. Bisher habe die Regierung in diesem Sektor weder Reformen angetrieben noch zusätzliche Gelder investiert. Fakt sei jedoch, dass seit Buharis Amtsantritt im Mai mehr Strom im Netz sei, sagt der Wirtschaftsprofessor im DW-Interview. Am 24. Juli sagte Sam Amadi, der Vorsitzende der staatlichen Kommission zur Elektrizitätsregulierung (NERC), der nigerianischen Zeitung The Guardian, dass der Strom, der in das Netz gespeist werde, mit 4.545 Megawatt einen neuen Höchststand erreicht habe. Auslöser sei eine bessere Benzinversorgung der Kraftwerke. Dabei haben die Raffinerien In Port Harcourt und Warri aber erst am 29. Juli ihre Arbeit wieder aufgenommen.

Die Früchte von Buharis Kampf gegen Korruption

Buharis Rundumschlag in der NNPC und anderen Regierungsorganen zeige klar dessen Willen, gegen die grassierende Korruption vorzugehen, so Wirtschafsprofessor Sheka im DW-Gespräch. In den letzten Monaten wurden immer mehr Stellen aufgedeckt, an denen Gelder veruntreut wurden, und die Verantwortlichen entlassen. "Dies ist eine klare Warnung für die Verantwortlichen im Energiesektor, ihre Arbeit richtig zu machen. Das kann zu erheblichen Verbesserungen führen." Auch Bashir Kurfi von der Universität Zaria ist sich sicher, dass diejenigen, die sich mit Vandalismus im Nigerdelta, Ölpiraterie und dem Import von Benzin und Generatoren jahrzehntelang bereichert haben, nun erst einmal verunsichert seien. "All diese Leute sehen nun, dass der neue Präsident an diesen Geschäften nicht interessiert ist", so Finanzexperte Kurfi. Sie würden erst einmal abwarten, was für Maßnahmen die neue Regierung ergreift. "Deshalb ist es umso wichtiger, dass Buhari in den nächsten Monaten ein starkes Kabinett aufstellt."

Mohammadu Buhari
Mit Amtsantritt erklärte Buhari der Korruption den Krieg.Bild: Ekpei/AFP/Getty Images

Mitarbeit: Mansur Bala Bello