Gemeinsam gegen Piraterie in Westafrika
18. März 2014
Sie greifen nachts an oder in den frühen Morgenstunden: In kleinen Jollen oder Schnellbooten schwärmen die Piraten von ihrem "Mutterschiff" aus. Schwer bewaffnet attackieren und entern sie Tanker und Frachter vor der westafrikanischen Küste. Der Golf von Guinea ist heute eines der gefährlichsten Seegebiete der Welt. 54 Piratenangriffe hat die Internationale Seeschifffahrts-Organisation der Vereinten Nationen (IMO) 2013 in den Gewässern zwischen der Elfenbeinküste im Norden und der Demokratischen Republik Kongo im Süden registriert. Zum Vergleich: Vor der Küste Ostafrikas - lange eine Hochburg von Piraten - waren es im gleichen Jahr 20 Übergriffe. Noch 2011 versuchten Seeräuber 237 Mal, Handels- oder Versorgungsschiffe im Golf von Aden und vor Somalia anzugreifen. Heute ist die Gefahr durch Piraten dort erheblich gesunken - vor allem aufgrund verstärkter Militäraktionen, darunter der EU-Einsatz Atalanta.
Piraterie in Westafrika, am Golf von Guinea, sei keinesfalls ein neues Phänomen, sagt Ian Millen, Direktor der Sicherheitsfirma Dryad Maritime, die seit Jahrzehnten Risikoanalysen anbietet und für Klienten Seegebiete überwacht. "Zwar gab es in den letzten Jahren einen leichten Anstieg, aber maritime Verbrechen und Piraterie gibt es am Golf von Guinea schon seit Langem." Auch die Statistiken der IMO zeigen, dass die Zahl maritimer Überfälle vor der westafrikanischen Küste seit 2001 konstant ist.
Allerdings gehen die Piraten vor der westafrikanischen Küste immer brutaler vor: Im vergangenen Jahr gab es 26 Schusswechsel zwischen Piraten und Sicherheitspersonal - mehr als in jeder anderen Region auf der Welt. Dabei gab es hunderte Schwerverletzte und ein Todesopfer. Seit 1995 kamen insgesamt 46 Seemänner ums Leben.
Hohe wirtschaftliche Verluste
Durch Piraterie verzeichnet die Weltwirtschaft jährlich Einbußen von rund 18 Milliarden Euro, heißt es in einer gemeinsamen Studie von Interpol, Vereinten Nationen und Weltbank. Allein 2011 haben somalische Piraten laut dem Büro der Vereinten Nationen für Drogen und Kriminalität (UNODC) 124 Millionen Euro an Lösegeld erpresst. 2013 dagegen gab es keine Zahlungen mehr.
Nigerianische Piraten haben sich mehr auf große Öltanker und deren Ladung spezialisiert als auf Lösegeldzahlungen durch Entführungen. Die Länder am Golf von Guinea pumpen täglich mehr als drei Millionen Barrel Rohöl aus dem Boden. Erbeuten die Seeräuber Öl oder Gas, verkaufen sie es mit hohem Gewinn auf dem Schwarzmarkt. "In Nigeria, insbesondere in der Region des Niger-Deltas, gibt es schon seit ein paar Jahren eine sehr gut entwickelte kriminelle Infrastruktur, die sich auch auf die Bohrinseln vor der Küste ausgeweitet hat", sagt Ian Millen von Dryad Maritime.
Piraterie als Alternative zur Armut
Zu den häufig zitierten Ursachen der Piraterie gehören schwache Regierungen und Perspektivlosigkeit an Land. Das Problem sei aber nicht in erster Linie die Arbeitslosigkeit, sagt Isaac Isuku, Journalist einer Radiostation im Niger Delta. "Es liegt viel mehr daran, dass die Arbeiter sehr schlecht bezahlt werden. Der Lohn, den sie bekommen, reicht einfach nicht aus, um die Lebenshaltungskosten zu decken.
Obwohl Nigeria seit den 1990er Jahren im großen Stil Öl exportiert, kommen die Gewinne nach wie vor nicht bei der Bevölkerung an. Es seien vor allem die Eliten, die sich am schwarzen Gold bereicherten, kritisieren Menschenrechtler. Zurück bleiben verschmutzte Gewässer, brennende Ölfelder und Frustration in der Bevölkerung. Fast zwei Drittel der insgesamt 151 Millionen Nigerianer leben unterhalb der Armutsgrenze. "Das ist der Grund, warum immer mehr junge Männer in die Versuchung kommen, sich nach Alternativen umzuschauen, um die täglichen Bedürfnisse zu stillen."
Kein internationaler Einsatz in Westafrika
Die internationale Gemeinschaft äußert sich immer wieder besorgt über die steigende Zahl der Piratenangriffe am Golf von Guinea. Europa etwa bezieht rund 40 Prozent seines Ölbedarfs aus der Region. "Natürlich haben die EU und andere Staaten genau aus dem Grund ein Interesse daran, dass sich diese Region stabilisiert", sagt Piraterie-Experte Ian Millen. Doch seien die Möglichkeiten einer internationalen Intervention begrenzt, denn bei den betroffenen Ländern handele es sich nicht - wie bei Somalia - um gescheiterte Staaten, die ihre grundlegenden Funktionen nicht mehr selbst erfüllen können.
Dazu kommen Fragen der Zuständigkeit - und auf die haben die betroffenen westafrikanischen Länder bislang keine gemeinsame Antwort. Während die Piraten in Ostafrika vor allem auf offener See und in internationalen Gewässern angreifen, attackieren Seeräuber an der Westküste Hafengebiete oder Ankerplätze. Besonders betroffen sind die Territorialgewässer vor der nigerianischen, togolesischen und beninischen Küste. "Das sind drei eigenständige Nationen mit eigenen Seegrenzen, Hoheitsrechten und gesetzlichen Bestimmungen, was in ihren Gewässern passieren darf", erklärt Ian Millen. "Deshalb ist es vor der Westküste eine ganz andere Situation als im Indischen Ozean, wo es eine internationale Reaktion gab, die auch sehr erfolgreich war."
Bisher haben die Küstenstaaten am Golf von Guinea schlecht miteinander kooperiert, aber genau das soll sich künftig ändern: Am 25. Juni 2013 unterzeichneten Staatschefs von 22 west- und zentralafrikanischen Staaten in Kamerun einen allgemeinen Verhaltenskodex zur Prävention von Piraterie und rechtswidrigen Aktivitäten auf See. Dieser Kodex enthält unter anderem gemeinsame Richtlinien im Kampf gegen Piraterie und maritime Verbrechen.
Ghana ergreift die Initiative
"Die Notwendigkeit einer multilateralen Zusammenarbeit am Golf von Guinea kann nicht überbetont werden", wird Admiral Geoffrey Mawuli Biekro in einer Pressemitteilung der ghanaischen Marine zitiert. "Denn die meisten der kriminellen Aktivitäten in dieser Region sind transnational und die Kriminellen profitieren ganz klar von der Angreifbarkeit bestimmter Regionen."
Ghana hat ein besonderes Interesse an Stabilität im Golf von Guinea. Denn 2007 hat der westafrikanische Staat Gas- und Ölfelder vor seiner Küste entdeckt und fördert seit 2010 täglich rund 100.700 Barrel Rohöl. Deshalb will Ghana die Kooperation der westafrikanischen Küstenstaaten vorantreiben. Vom 17.03.2014 bis 20.03.2014 findet in Ghanas Hauptstadt Accra erstmals eine internationale Konferenz zur Küstenüberwachung in Afrika statt. "Wir hoffen auf eine bessere Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn und internationalen Partnern im kommenden Jahr", sagt Admiral Mawuli Biekro.
Das sei ein erster Schritt in die richtige Richtung, sagt See-Expert Ian Millen. Sobald das Problem einmal erkannt sei, könne man den Piraten den Wind aus den Segeln nehmen. "Aber jetzt müssen auch wirklich Taten folgen".