Putins Tag für schöne Worte
10. Mai 2006Manchmal klingt noch der sperrige Stil des alten KGB-Apparatschiks durch. Etwa wenn der Präsident - wie im vergangenen Jahr - die Entwicklung zur Demokratie "die wichtigste politisch-ideologische Aufgabe" nennt. Aber ansonsten ist Putins Rede zur Lage der Nation ein Medienevent. Journalisten spekulieren vorher munter über die möglichen Inhalte, geben dem Präsidenten Ratschläge, was er sagen soll, und zerbrechen sich den Kopf, warum das Datum der Ansprache noch einmal verschoben wurde. Doch nicht immer sind die russischen Hauptstadtjournalisten der Adressat der Präsidentenrede. "Wenn er erklärt, in Russland würde sich Demokratie entwickeln, während der Westen kritisiert, dass genau das nicht passiert, dann ist das noch mal ein Versuch, im Ausland den eigenen Standpunkt deutlich zu machen", stellt Hans-Henning Schröder fest, Russlandexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Mit der realen Politik wenig zu tun
Artikel 84 der russischen Verfassung verpflichtet den Präsidenten, "sich an die Bundesversammlung mit alljährlichen Botschaften über die Lage im Land und über die Grundrichtungen der Innen- und Außenpolitik des Staates" zu wenden. Mit der tatsächlichen Politik muss das allerdings nichts zu tun haben. So kündigt Putin seit Jahren einen verstärkten einen Kampf gegen die Korruption an, ohne dass daraus weitere Konsequenzen folgen. Dann erklärt er Russland zu einer "europäischen Demokratie" und betont die Bedeutung der Pressefreiheit, nachdem er sämtliche Fernsehsender unter staatliche Kontrolle gebracht hat und die Mediengesetze stark verschärft hat. Oder er verkündet auf dem Höhepunkt des Prozesses gegen den Öl-Oligarchen Chodorkowski, dass die Steuerbehörden "kein Recht haben, die Wirtschaft zu terrorisieren."
Das Parlament kommt zum Präsidenten
Die Abgeordneten von Duma und Föderationsrat , den beiden Parlamentskammern, versammeln sich im Kreml versammeln und lauschen den Worten ihres Präsidenten andächtig. Denn um Rechenschaft abzulegen, kommt nicht der Präsident ins Parlament, sondern das Parlament zu ihm. Eine anschließende Aussprache gibt es nicht. Politisch bedeutend war die Rede, die der Präsident seit 1994 einmal im Jahr hält, ohnehin nur in den Anfangsjahren der Jelzin-Ära. "Der hat sich da hingestellt und hat eine Duma niedergerungen, die in der Mehrheit gegen ihn war. Das war ein politischer Ringkampf", erinnert sich Schröder. Das hat sich gründlich geändert. Seit Putin Präsident ist, sind die Abgeordneten folgsam und müssen von ihrem Präsidenten nicht mehr eigens überzeugt werden. "Die Duma dient ihm dann eher als Schaufenster, in dem er seine wechselnden Botschaften verkündet."