Putin sieht Ukraine in Anschlag verwickelt
24. März 2024Der russische Föderale Sicherheitsdienst (FSB) hat schwere Vorwürfe gegen die Ukraine erhoben. In einer offiziellen Erklärung heißt es, die Terroristen des Anschlags hätten "Kontakte zur ukrainischen Seite".
Bei dem Anschlag auf die "Crocus City Hall" am 23. März waren mindestens 133 Menschen ums Leben gekommen, darunter mehrere Kinder. Weitere Opfer könnten noch unter Trümmern gefunden werden.
Als Erklärung wird genannt, dass die Verdächtigen in der Region Brjansk in der Nähe des Dorfes Chatsun festgenommen worden. Von dort aus führe die Straße zum Kontrollpunkt Troebortnoje an der Grenze zwischen Russland und der Ukraine. Die Verdächtigen könnten geplant haben, nach Belarus zu fliehen.
Einer der Festgenommenen sagte nach Medienberichten, er sei am 4. März nach Moskau geflogen und über den Telegramkanal eines unbekannten Predigers angeworben worden. Ihm zufolge versprach ihm der Organisator des Terroranschlags 500.000 Rubel (etwa 5000 Euro).
Ein anderer festgenommener mutmaßlicher Täter sprach Tadschikisch. Er behauptete, dass ein gewisser Abdullo am Anschlag beteiligt gewesen sei. Er habe ihn rund um den 13. März in Russland getroffen.
"Zentrum für die Verbreitung des Terrorismus"
Russische Medien und Blogger berichten, die Terroristen hätten versucht, in einem Auto der Marke Renault Megane zu entkommen. Sie seien 100 km von der russisch-ukrainischen Grenze entfernt aufgehalten worden, schrieb die Chefin des russischen Propaganda-Senders RT.
Daraufhin beschuldigte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa, in ihrem Telegram-Kanal die westlichen Länder, die Ukraine in ein "Zentrum für die Verbreitung des Terrorismus" zu verwandeln.
Präsident Putin griff diese These in seiner Fernsehansprache auf. Er sagte, dass ein "Fenster der Moglichkeit" für Terroristen vorbereitet worden sei, um in die Ukraine zu gelangen.
Gerüchte um Russischen Freiwilligenkorps
Eine anonyme Quelle der Zeitung "Kommersant" berichtete von einer möglichen Beteiligung des Russischen Freiwilligenkorps (RDK) an der Organisation des Anschlags. RDK besteht aus russischen Staatsbürgern, die auf Seiten der Ukraine gegen Russland kämpfen.
Die Zeitung veröffentlichte keine Bestätigung dieser Information, aber dem Gesprächspartner der "Kommersant" zufolge könnten die Terroristen falsche Bärte und Schnurrbärte getragen haben.
Nach dem Video des Verhörs der festgenommenen mutmaßlichen Täter zu urteilen, stammen sie jedoch aus Zentralasien. Der RDK wies die Vorwürfe zurück und erklärte, dass er keine terroristischen Methoden anwende.
"Provokation des Kremls"
Das ukrainische Außenministerium hat alle Anschuldigungen zurückgewiesen, die Ukraine sei in den Terroranschlag auf den Konzertsaal verwickelt. Im Gegenzug erhebt Kiew schwere Vorwürfe gegen den russischen Geheimdienst FSB.
In einer offiziellen Erklärung bezeichnete das Ministerium die Anschuldigungen als "geplante Provokation des Kremls". Sie könnten dazu benutzt werden, "die Mobilisierung der russischen Bürger zu verstärken.
Strukturen des russischen Geheimdiensts FSB könnten hinter den Anschlägen stecken, heißt es. Die Angst der Öffentlichkeit vor einer terroristischen Bedrohung würde dem amtierenden Präsidenten Putin zu hohen Zustimmungswerten verhelfen.
Ähnlich äußerte sich auch der Oppositionspolitiker Garry Kasparov. Er wies darauf hin, dass Russlands Spitzenpolitiker in den letzten Tagen mehrmals die Aufstockung der russischen Armee gefordert hätten.
"Zusammen mit dem heutigen Terroranschlag könnten sie Teil einer einzigen Sonderoperation des Regimes sein, um die russische Gesellschaft für einen Krieg mit der Ukraine zu mobilisieren."
"Für eigene Zwecke nutzen"
Der in Azerbaidschan lebende russische Islamexperte Ruslan Sulejmanow verweist im Gespräch mit der DW auf die politische Instrumentalisierung des Anschlags.
"Ganz egal, wer dahinter steht, die russischen Behörden werden den Terroranschlag in Moskau wahrscheinlich für ihre eigenen Zwecke nutzen, unabhängig davon, ob sie den wahren Organisator kennen."
Laut Sulejmanow besteht die Hauptaufgabe des Kremls nicht in erster Linie darin, "terroristische Zellen zu zerschlagen, sondern vielmehr die Bevölkerung in Russland, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, gegen einen gemeinsamen Feind in der Ukraine zu mobilisieren, vielleicht sogar die Mobilisierung bald anzukündigen."
Streit über Bekennerschreiben
Unterdessen hat offenbar die Terrormiliz Islamischer Staat die Tat bereits für sich reklamiert. Am Samstag, einen Tag nach dem Anschlag, bekannte sich ein Ableger des sogenannten Islamischen Staats, der sich "Islamischer Staat Provinz Khorasan" (ISIS-K) nennt, zu der Tat. Die Erklärung wurde über die ISIS-nahe Nachrichtenagentur Amaq veröffentlicht und über die Nachrichtenplattform Telegram verbreitet.
Experten sind sich allerdings über den Echtheitsgrad des Schreibens nicht einig. Für Peter Neumann, Professor am King's College London, ist die Version mit der Beteiligung des IS plausibel.
Auf der der sozialen Plattfom "X” stellt er fest, dass ein solches Muster von Terroranschlägen für diese Zelle charakteristisch sei und die ISIS-K-Filiale aktiv "in der ehemaligen Sowjetunion rekrutiert".
Islamexperte Ruslan Sulejmanow hält die IS-Version nicht für glaubwürdig. "Bislang gibt es keine verlässliche Quelle, die den Zusammenhang zwischen ISIS-K und dem Terroranschlag in Moskau bestätigen kann", so Sulejmanow.
Dieser Text wurde aus dem Russischen adaptiert.