Belgorod und Kursk: Russen in der ukrainischen Armee
14. März 2024"Unsere Aufgabe ist es, den Bürgern der Russischen Föderation mitzuteilen, dass sie von einem illegitimen Präsidenten regiert werden", sagt der Kommandant des Russischen Freiwilligenkorps Denis Nikitin in einem Video. Es wurde angeblich in einem Panzerwagen aus russischer Herstellung aufgenommen. Am Dienstag berichteten Kämpfer dieser Einheiten, sie hätten die Grenze zu den Regionen Belgorod und Kursk in Russland überschritten. Dabei hätten sie russische Soldaten beschossen und feindliche Militärtechnik erobert.
Gegen Russland kämpfen auf der Seite Kiews somit nicht nur Ukrainer, sondern auch Russen. Sie nennen sich "Russisches Freiwilligenkorps", "Sibirisches Battalion" oder Legion "Freiheit Russlands". Der russische Geheimdienst FSB hat diese Berichte dementiert und stattdessen die Tötung von über hundert Saboteuren gemeldet, die angeblich versuchten, russisches Staatsgebiet zu betreten.
Einheiten nur aus Russen
Spätestens seit Anfang April 2022 ist die Legion "Freiheit Russlands" bekannt. Sie wurde angeblich aus gefangenen russischen Soldaten gebildet, die auf die ukrainische Seite gewechselt waren, - aber auch aus Freiwilligen mit russischem Pass.
Dabei handele es sich um etwa 500 Mann, sagt Ilja Ponomarjow, ehemaliger Abgeordneter der russischen Staatsduma, der heute im Exil lebt und die Einheit vertritt. 2014 hatte er als einziger gegen die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim gestimmt.
Die andere Einheit, das "Russische Freiwilligenkorps", formierte sich im August vergangenen Jahres. Die Stärke der Einheit wird geheim gehalten. Ein Kämpfer mit dem Rufnamen "Kardinal", dessen Militärausweis der DW vorgelegt wurde, sagt jedoch, sie würde Aufgaben einer Kompanie wahrnehmen.
Eine Kompanie besteht aus 30 bis 150 Mann. Der aus dem russischen rechtsradikalen Umfeld bekannte Mitbegründer der Einheit, der Geschäftsmann Denis Kapustin mit dem Pseudonym Denis Nikitin, berichtete Ende vergangenen Jahres, dass das "Russische Freiwilligenkorps" schon seit Herbst 2022 mit der ukrainischen Armee im Einsatz sei.
Neuerdings kämpft für die Ukraine eine weitere Einheit namens "Sibirisches Bataillon". Ukrainischen Medien zufolge kommt die Mehrheit der Kämpfer aus Sibirien und dem Fernen Osten Russlands. Die Existenz eines solchen Bataillons wurde vom ehemaligen Offizier der russischen Armee Wladislaw Amosow bestätigt.
"Echter Nationalstaat"
In sozialen Netzwerken heißt es seitens des "Russischen Freiwilligenkorps", alle Mitglieder würden rechtskonservative Ansichten vertreten. Beispielsweise sieht der Kämpfer "Kardinal" das künftige Russland als einen "echten Nationalstaat der Russen in den ursprünglich russischen Gebieten - unter Berücksichtigung der territorialen Integrität von der Ukraine und Belarus sowie der Nachbarländer". Er betont: "Wir wollen einen Staat für die Russen errichten, der mit allen umliegenden Nationen in Frieden leben will."
Die Angehörigen der Legion "Freiheit Russlands" äußern hingegen ihre politischen Ansichten nicht öffentlich. Ilja Ponomarjow weist darauf hin, dass es in der Einheit keine vorherrschende Ideologie gebe. Sie sei der Prototyp der künftigen Armee der Russischen Föderation, meint er. Ihr Vorteil sei, dass sie sich weder links noch rechts positioniere, weder liberal noch konservativ sei. Die Idee, sich Russlands Aggression zu widersetzen, würde ihre Mitglieder einen, so Ponomarjow.
Auflösung oder Erhalt der Föderation?
Das "Russische Freiwilligenkorps" gehört dem "Zivilrat", einer in Warschau gegründeten neuen Vereinigung russischer Emigranten, an. Anastasia Sergejewa, die dort für internationale Fragen zuständig ist, leitete noch bis vor Kurzem die polnische Stiftung "Für ein freies Russland".
Sie sagt, dem "Zivilrat" würden auch Aktivisten aus Teilrepubliken der Russischen Föderation angehören, und sie würden sich für das Selbstbestimmungsrecht ihrer Völker einsetzen. Der "Zivilrat" hat auf YouTube Videobotschaften an Tschetschenen und Tscherkessen veröffentlicht, in denen diese aufgerufen werden, für die Ukraine zu kämpfen und sich für die Unabhängigkeit ihrer Republiken einzusetzen. Um die Arbeit des "Zivilrats" und die Ausbildung neuer Kämpfer zu finanzieren, bemüht sich Sergejewa um private Spenden.
Der Vertreter der Legion "Freiheit Russlands", Ilja Ponomarjow, sagte der DW Ende 2022, er sei in Gesprächen über eine Zusammenarbeit mit Vertretern verschiedener Länder und Medien gewesen. Im Gegensatz zum "Russischen Freiwilligenkorps", das die Abspaltung von Regionen von der Russischen Föderation zulässt, heißt es von der Legion, Ziel sei, "ein geeintes und unteilbares Russland innerhalb der Grenzen von 1991 zu bewahren". Den Regionen müssten aber weitreichende Befugnisse übertragen werden und ihre ethnische Identität sollte erhalten bleiben. Auch die Legion sammelt für ihre Arbeit Geld - in Kryptowährung.
Rekrutierung von Kämpfern
Bevor das "Russische Freiwilligenkorps" seine Zusammenarbeit mit dem "Zivilrat" begann, hatte es nur Russen aufgenommen, die sich bereits im Ausland aufhielten. Viele von ihnen beteiligten sich laut eigenen Angaben seit 2014 im Asow-Freiwilligenbataillon auf Seiten der Ukraine an den Kämpfen im Donbass.
Heute ist der "Zivilrat" eine Art Rekrutierungszentrum. Anastasia Sergejewa zufolge werden nun auch Männer direkt aus Russland aufgenommen. Auf der Website des Rates wird potenziellen Freiwilligen angeboten, einen Fragebogen in einem Google-Formular auszufüllen oder an ein verschlüsseltes ProtonMail-Postfach zu schreiben. "Die weitere Kommunikation läuft über sichere Systeme, die wir vorschlagen", erläutert Sergejewa, ohne auf Einzelheiten einzugehen.
Wie Oleksij Arestowytsch, einst Berater im ukrainischen Präsidialamt, betont, seien für die Legion "Freiheit Russlands" zunächst nur solche russische Kriegsgefangene rekrutiert worden, die ihre Ansichten geändert hätten. Doch auch die Legion nimmt nach seinen Worten inzwischen Männer auf, die sich noch in Russland befinden.
Auch hier müssen Interessenten zunächst an ein ProtonMail-Postfach ihren Lebenslauf und Kopien von einer ganzen Reihe von Papieren, darunter ihres Ausweises, schicken. Das Aufnahmeverfahren sieht, wie die Legion selbst berichtete, angeblich eine Prüfung durch einen Lügendetektor sowie psychologische und andere Eignungsprüfungen vor.
Lange Zeit standen sich das "Russische Freiwilligenkorps" und die Legion "Freiheit Russlands" kritisch gegenüber. Ihre letzte Operation zeigt jedoch, dass sie auch zusammen gegen einen gemeinsamen Feind kämpfen können.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk