US-Wahl: die fünf wichtigsten Themen
24. Oktober 2020Coronavirus
Zu Beginn des Jahres hatte noch niemand etwas von einem neuartigen Coronavirus gehört. Knapp elf Monate später dominiert das Thema die politischen Gespräche in Washington: "Es wird wahrscheinlich das größte Thema der Wahl 2020", sagt die Politologin Laura Merrifield Wilson von der University of Indianapolis.
In den USA sind mehr als 225.000 Menschen mit oder an COVID-19 gestorben. Fast 8,6 Millionen Infektionen wurden festgestellt (Stand 22./23.10.2020). Die Arbeitslosenquote hat den höchsten Stand seit dem Ende der "Großen Depression" Anfang der 1940er Jahre erreicht. Auch Präsident Donald Trump erkrankte, was ihn allerdings für nicht einmal zwei Wochen von großen Wahlkampf-Veranstaltungen abhielt.
Eine Maske zu tragen, laut Experten eine einfache Methode, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, ist mittlerweile zu einem politischen Statement geworden.
Darüber, ob Trump die Krise gut managt, gehen die Meinungen weit auseinander. "Diese Wahl ist in vielerlei Hinsicht zu einem Referendum über die letzten acht, neun Monate geworden", sagt der Mediziner Ashwin Vasan vom Columbia University Medical Center in New York. "Darüber, ob die Regierung eine Antwort hatte, ob sie einen Coronavirus-Plan umgesetzt hat."
Konservative sagen, dass die Situation ohne Trump noch schlimmer wäre. Linke kontern, Tausende Menschen hätten nicht sterben müssen, wenn sich die Regierung früher für striktere Regeln in allen Bundesstaaten eingesetzt hätte und auf Gesundheitsexperten gehört hätte.
Gesundheitspolitik
Auch unabhängig von COVID-19 ist Gesundheit ein wichtiges Wahlkampfthema. Die Wahl könnte über die Zukunft der staatlichen Krankenversicherung entscheiden, die Ex-Präsident Barack Obama eingeführt hatte. Das wurde im Zusammenhang mit der Nachfolge der verstorbenen Richterin Ruth Bader Ginsburg am Supreme Court deutlich. Zwar bezog Trumps Kandidatin Amy Coney Barrett während der üblichen Anhörung vor dem Senat keine Stellung zu Obamacare. Es ist aber bekannt, dass sie den "Affordable Care Act", wie es offiziell heißt, kritisch sieht. Kurz nach den Wahlen steht im Supreme Court eine wichtige Entscheidung zur Gültigkeit des Gesetzes an.
Trump will die Krankenversicherung abschaffen, Joe Biden - einst Obamas Vizepräsident - will sie beibehalten. Und auch in der Bevölkerung gibt es entschiedene Befürworter und Gegner von Obamacare, womit die Krankenversicherung ihre Wahlentscheidungen beeinflussen könnte.
Das Coronavirus habe die Gesundheitsversorgung zusätzlich in den Fokus der Wähler gerückt: "Wir befinden uns inmitten einer Pandemie, in der es für Menschen ohne Krankenversicherung schwierig ist, überhaupt Hilfe zu bekommen", sagt Mediziner Vasan. "Nach einer Behandlung müssen sie dann riesige Summen begleichen."
Wirtschaft
"Die Wirtschaft ist ein Muss für amerikanische Wähler - vor allem, wenn sie nicht gut läuft", sagt Politologin Wilson. Und das tut sie nicht. Vor der Corona-Krise konnte Präsident Trump auf drei Jahre robustes Wirtschaftswachstum zurückblicken. Doch mit dem Lockdown im März mussten überall im Land kleine Unternehmen schließen, und Mitte April waren mehr als 23 Millionen Amerikaner arbeitslos. Nach Zahlen der Behörde für Arbeitsmarktstatistik schoss die Arbeitslosenquote in diesen zwei Monaten von 3,5 auf 14,7 Prozent.
Das sind schlechte Nachricht für den Amtsinhaber, der sich drei Jahre lang mit der starken Wirtschaft brüstete. Nun kämpfen Millionen von Amerikanern um ihr Eigenheim oder ihren Lebensunterhalt, und Trump versucht, sie davon zu überzeugen, dass er der beste Mann sei, um die Wirtschaft wieder in die Spur zu bringen.
Für den Kandidaten der Demokraten ist es einfacher: Biden beschuldigt Trump, die Krise falsch angegangen zu sein und verspricht, mit seinem Plan würden Arbeiter und Angehörige der Mittelschicht wesentlich besser fahren, als in vier weiteren Jahren unter Donald Trump. "In einer solchen Situation", sagt Wilson, "ist es normalerweise für den Amtsinhaber schwieriger, weil er es ist, der an der Macht war, der die Zügel in der Hand hatte, der verantwortlich ist."
Ethnische Spannungen
Die Tötung von George Floyd durch Polizisten im Mai hat landesweite Proteste der Bewegung "Black Lives Matter" (BLM) befeuert. Ethnische Spannungen sind Teil der US-Geschichte seit die ersten Sklaven nach Neuengland gebracht wurden. "Aber dieser Sommer", sagt Wilson, "war sicher ein besonderer Moment."
Schwarze und weiße Amerikaner protestieren nicht nur gegen gezielte Polizeigewalt, sondern auch gegen das, was sie als systemischen Rassismus wahrnehmen. Sie fordern, dass die Polizei grundlegend reformiert wird, manche sogar, dass ihr die finanziellen Mittel entzogen werden.
Kritiker der Bewegung, die meisten von ihnen sind Konservative, verweisen auf die Gewalt, die in einigen Städten während der Proteste ausgebrochen ist. Zu ihnen gehört auch Präsident Trump, der die Worte "Black Lives Matter" ein "Symbol des Hasses" nannte und versprochen hat, Gesetz und Ordnung auf den Straßen wiederherzustellen. BLM-Anhänger hat er damit erst recht angestachelt, bei seiner Wählerbasis kommt das gut an.
"Seine Botschaften zielen darauf ab, seine eigenen Wähler zu mobilisieren", sagt die Politologin. "Die Motive, die Versprechen und die Polizei - alles, was Trump in dieser Hinsicht tut, zielt auf seine konservativen Unterstützer ab."
Linke kritisieren, dass Trumps Haltung die Spannungen noch verstärkt, statt - wie es ein Präsident in ihren Augen tun müsste - das Land wieder zu vereinen.
Abtreibung
"Abtreibung ist entscheidend im Rennen um die Präsidentschaft 2020", sagt Wilson. Für einen beträchtlichen Teil von Trumps Wählerbasis, nämlich weiße Evangelikale, ist es das wichtigste Thema überhaupt. Sie stellen nur etwa 15 Prozent der US-Bevölkerung, gehen aber zu größeren Teilen wählen als andere Bevölkerungsgruppen: Bei der Präsidentschaftswahl 2016 gaben sie mehr als ein Viertel aller gültigen Stimmen ab.
Viele dieser konservativen Protestanten vertreten Werte, mit denen beispielsweise Trumps mehrfache Eheschließungen und -scheidungen nicht zu vereinbaren sind. Aber ein Instagram-Post der Abtreibungsgegner von "Students for Life" bringt ihre Haltung auf den Punkt: "Trump hassen? Wir hassen Abtreibung mehr." Und Trump scheint eine sichere Wahl dagegen zu sein: Als erster amtierender US-Präsident nahm er am jährlichen "March for Life" teil, der seit 1974 jedes Jahr abgehalten wird, um gegen das Grundsatzurteil im Fall Roe v. Wade zu protestieren, das 1973 die Abtreibung in den USA faktisch legalisierte.
Für die Amerikaner auf der anderen Seite des Spektrums ist genau das ein weiterer Grund, Trump nicht zu wählen. "Abtreibung ist auch für linke Wähler ein wichtiges Thema", sagt Wilson, "Es gibt eine große Bewegung für Abtreibung innerhalb der demokratischen Partei."
Auch sie sehen ihre Interessen durch die absehbareErnennung der konservativen Coney Barrett zur Supreme-Court-Richterin in Gefahr. Mit ihr könnte das oberste US-Gericht Roe v. Wade kippen. Mit einer Stimme für Biden verbinden demokratische Wähler daher auch die Hoffnung, dass er als Präsident die Gelegenheit erhält, die konservative Mehrheit im Supreme Court durch Ernennung eines progressiveren Richters auszubalancieren.