Propagandakrieg gegen Serbien
30. Juni 2014Brutal jagt eine Schar Soldaten den russischen Zaren auf dieser Propagandakarikatur. Einer stammt aus Österreich-Ungarn, zwei andere aus Deutschland, wie die Pickelhaube eindeutig zeigt. Doch Nikolaus II., in einen herrschaftlichen Mantel gekleidet, die Krone auf dem Kopf und das Zepter unter seinem Arm, der vor den spitzen Bajonetten seiner Verfolger flieht, ist gar nicht das eigentliche Ziel. In Nikolaus' Pelz sitzt eine große Laus mit acht Beinen, die sich fest an den Monarchen krallt. "Serbien", steht darüber. Dem Zaren werden folgende Worte in den Mund gelegt: "Da habe ich mir ja eine nette Laus in den Pelz gesetzt!" Darunter wird der Name des russischen Monarchen zusätzlich verhöhnt: "Niko-Laus".
Unterhalb der Gürtellinie
Dieser deutsch-österreichischen Karikatur aus dem Jahr 1914 fallen somit gleich zwei Nationalitäten zum Opfer: Russen und Serben zugleich werden hier verspottet. Serbien wird als Laus dargestellt, also als ein blutsaugender und krankheitsübertragender Parasit, eine wahre Plage. Zugleich aber auch ein leichtes Opfer. "Zertreten wie eine Laus", lautet eine Redewendung im Deutschen. Russland ist in dem Bild von der angeblichen "serbischen Laus" befallen, womit die politischen Gegebenheiten in Europa zu Beginn des Krieges dargestellt werden sollen.
In der Tat war Russland im Jahr 1914 Serbiens Schutzmacht. Zugleich kommt in diesem Bild aber auch ein rassistisches Vorurteil gegenüber Russland zum Ausdruck. In der Propaganda der Mittelmächte galten die Russen nämlich als barbarisches Volk, ohne Kultur und Hygiene.
Ein jahrzehntealter Konflikt
Dabei war der Konflikt zwischen Serben und Russen auf der einen, Österreich-Ungarn auf der anderen Seite, im Jahr 1914 bereits Jahrzehnte alt. Die drei Mächte stritten um Macht und Territorien auf dem Balkan. Sie profitierten von der Schwäche des Osmanischen Reichs, das zuvor über Jahrhunderte weite Teile des Balkans beherrscht hatte, darunter auch Serbien.
Erst 1867 hatte das Fürstentum Serbien die letzten osmanischen Truppen aus seinem Territorium vertrieben, 1878 erkannten die europäischen Großmächte auf dem Berliner Kongress die serbische Souveränität an. Unter den anderen dort geschlossenen Vereinbarungen stach vor allem eine hervor: Österreich-Ungarn wurde das Recht zugesprochen, Bosnien-Herzegowina zu besetzen. Eine Regelung, die erhebliche Konsequenzen für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges haben sollte.
Ein großserbisches Reich
Viele Serben lebten außerhalb des eigentlichen serbischen Staates – unter anderem in Bosnien-Herzegowina, das nun österreichisch war. "Unsere Pflicht ist es jetzt, die Grundsteine und Mauern des ehemaligen serbischen Reiches auszugraben und unsere Zukunft unter den Schutz des historischen Rechtes zu stellen", schrieb dagegen bereits Mitte des 19. Jahrhunderts der serbische Innenminister Ilija Garašanin. Das mittelalterliche serbische Reich, auf das Garašanin hier anspielte, war um ein Vielfaches größer als sein modernes Serbien gewesen. Ein Großserbien zu gründen, wurde fortan im 19. und 20. Jahrhundert das Ziel vieler serbischer Politiker und Nationalisten.
Österreich-Ungarn beobachtete diese serbische Politik mit Misstrauen. Und sah sich darin bestätigt, als am 28. Juni 1914 der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo von einem bosnischen Serben namens Gavrilo Princip ermordet wurde – unterstützt von der serbischen Geheimgesellschaft "Schwarze Hand", die das großserbische Motto führte: "Vereinigung oder Tod".
"Serbien muss sterbien!"
In Österreich-Ungarn schlugen die Wellen der Empörung hoch. Schließlich erging am 23. Juli ein österreichisches Ultimatum an Serbien. Neben der Forderung, dass österreichische Polizeibeamte auf serbischem Territorium ermitteln dürften, beinhaltete die Schrift noch einen weiteren Punkt: Man verlangte von der Regierung Serbiens, "daß sie die gegen Österreich-Ungarn gerichtete Propaganda verurteilt, das heißt die Gesamtheit der Bestrebungen, deren Endziel es ist, von der Monarchie Gebiete loszulösen, die ihr angehören, und daß sie sich verpflichtet, diese verbrecherische und terroristische Propaganda mit allen Mitteln zu unterdrücken." Genau die Propaganda, die Gavrilo Princip beim Mord an Erzherzog Franz Ferdinand beeinflusste. Doch es war zu spät für Verhandlungen, am 28. Juli 1914 erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Für das Kriegsziel hatte die Propaganda schnell eine Formel gefunden: "Serbien muss sterbien!"
Die Schuldfrage
Dieser Satz fand sich auf vielen Propagandamaterialien. Auch auf einer 1914 vielverbreiteten Karikatur: Die gewaltige Faust Österreichs schlägt hier auf das kleine Serbien nieder. Stark klischeehaft überspitzt trägt das kleine Männchen, das Serbien darstellt, die Waffen eines Meuchelmörders bei sich: ein Messer und eine Bombe. Österreicher und Deutsche sollten glauben, dass sie in Bezug auf die Serben gegen einen vorgeblich heimtückischen und hinterlistigen Feind kämpften – der die ganze Schuld am Ausbruch dieses Krieges trug. Welche verheerenden Folgen die aggressive Propaganda zeitigen konnte, zeigte sich in der serbischen Ortschaft Sabac. Österreichische Soldaten ermordeten hier dutzende serbische Zivilisten – bereits wenige Tage nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs.