Polens neue Regierung, ein kurzes Zwischenspiel?
28. November 2023Der neue polnische Parlamentsvorsitzende Szymon Holownia sparte nicht mit scharfen Worten. Am Dienstag (28.11.2023), einen Tag nach der Vereidigung der neuen Regierung unter Premier Mateusz Morawiecki, sagte er: "Ich mag Theater, aber nicht immer gefällt mir der Spielplan."
Die Entscheidung von Präsident Andrzej Duda, den Wahlverlierer mit der Regierungsbildung zu beauftragen und dessen Regierung zu vereidigen, habe "mit den zivilisierten Standards der Demokratie und der Machtübergabe sowie mit der politischen Kultur nichts zu tun."
Bitter fügte er hinzu: "Das, was sich gestern im Präsidentenpalast abgespielt hat, hätte niemals in der polnischen Republik passieren sollen." Die Vereidigung der Regierung Morawiecki sei eine "Ohrfeige für die Demokratie" gewesen.
Dabei war die Zeremonie im Präsidentenpalast in Warschau am Montagnachmittag (27.11.2023) wie immer verlaufen, wie bei allen früheren Ernennungen von Regierungschefs in Polen seit der demokratischen Wende.
Präsident Duda übergab dem Kandidaten der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Morawiecki, die Ernennungsurkunde.
Der alte und neue Regierungschef legte den Eid ab, mit dem in Polen fast obligatorischen Zusatz "so wahr mir Gott helfe". Danach waren seine Ministerinnen und Minister dran. Das Staatsoberhaupt wünschte dem Premier viel Glück. Ein gemeinsames Foto rundete die feierliche Veranstaltung ab.
Der Schein trügt
Doch der Schein der Normalität trügt. Duda ernannte einen gescheiterten Politiker, der keine Mehrheit im Parlament hat, zum Regierungschef. Selbst treue Parteigenossen wie Ex-Minister Jacek Sasin schätzen die Erfolgschancen Morawieckis auf maximal zehn Prozent.
Die Stunde der Wahrheit kommt in 14 Tagen. Dann, spätestens am 11. Dezember, muss sich Morawiecki mit der Vertrauensfrage dem Votum der Abgeordneten stellen.
"Der letzte Akt des politischen Theaters", kommentierte die Internetplattform Onet die Vereidigung. "Regierung ohne Chance auf Vertrauensvotum", titelte die Zeitung Gazeta Wyborcza. Von "Zeitverschwendung" sprach der oppositionelle Abgeordnete Michal Szczerba.
Die Machtverhältnisse sind eindeutig: Die PiS ging aus der Wahl zwar als stärkste Kraft hervor, errang aber nur 194 Mandate. Zum Regieren sind mindestens 231 Mandate erforderlich. Premier Morawiecki hat zwar immer wieder behauptet, dass er Gespräche mit kooperationswilligen Abgeordneten aus anderen Parteien führe, doch bisher wurde kein einziger Name eines möglichen Abtrünnigen bekannt.
Morawieckis Suche nach Partnern
In der vergangenen Woche hatte der designierte Regierungschef offiziell alle Oppositionsparteien zu Koalitionsverhandlungen eingeladen - bis auf die Bürgerkoalition (KO) von Donald Tusk. Sowohl das christlich-konservative Bündnis Dritter Weg als auch die Neue Linke lehnten das Angebot rundweg ab.
Beide Gruppierungen bilden mit Tusks KO ein proeuropäisches Mitte-Links-Bündnis, das bereit ist, sofort die Macht zu übernehmen. Doch Duda ignorierte den Machtanspruch der Koalition und spielte auf Zeit. Die ultrarechte Konfederacja traf sich zwar mit Morawiecki, aber nur, um ihm zu sagen, dass sie als Regierungsstütze nicht zur Verfügung stehe.
Morawiecki betrachtet die Bildung der neuen Regierung als seine letzte Chance, in den nächsten zwei Wochen doch noch Stimmen aus der Opposition zu gewinnen. In seinem neuen Kabinett gibt es nur drei Minister aus der Vorgänger-Regierung. Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak behielt sein Ressort; der bisherige Europaminister Szymon Szynkowski vel Sek stieg zum Außenminister auf; Ex-Arbeitsministerin Marlena Malag übernahm das Entwicklungsministerium.
Minister aus der zweiten Reihe
Die übrigen Fachgebiete fielen Personen aus der zweiten und dritten Reihe zu, die meisten von ihnen sind enge Mitarbeiter von Morawiecki. Das Kulturressort wird die Schauspielerin Dominika Chorosinska leiten, die jahrelang in einer Seifenoper gespielt hatte. In neun von insgesamt 16 Ministerien tragen Frauen die Verantwortung - für polnische Verhältnisse eine Revolution. Duda sprach von einer "Zeitenwende". Insgesamt besteht das Kabinett mehrheitlich aus 40-Jährigen, einige Minister sind noch jünger.
Im Staatsfernsehen TVP warb Morawiecki um Unterstützung und kritisierte, dass sich die Opposition von Rache leiten lasse. "Es lohnt sich, das zu suchen, was verbindet, nicht das, was trennt", sagte er. Er hoffe, dass sich im Parlament "231 Gerechte" fänden, die die von ihm aufgestellten "Zehn Gebote polnischer Angelegenheiten" akzeptierten.
Kaczynskis Kehrtwende
In einem Interview für die polnische Nachrichtenagentur PAP verriet PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski am Montag, dass er der geistige Vater dieses Experten-Kabinetts sei. "Das ist meine Idee", erklärte er. "Es geht darum, dass in dieser Regierung nicht zu viele Politiker vertreten sind. Wir wollen neue Gesichter anbieten."
"Diese Regierung basiert auf einer Lüge", kommentiert Jacek Nizinkiewicz in der Zeitung Rzeczpospolita. "Es sollten neue Gesichter und Experten kommen, es gibt allerdings alte Namen und kaum Experten", schreibt er.
"Niemand wollte in die neue Regierung", betonte der Kommentator und erinnerte daran, dass noch vor wenigen Tagen Blaszczak seine Beteiligung an der Regierung kategorisch ausgeschlossen habe. Es bedurfte einer Intervention von Kaczynski, um ihn zur Änderung der Entscheidung zu bewegen.
Es geht um Geld und Posten
Kaczynski will den Zeitrahmen, den ihm die Verfassung gibt, maximal ausschöpfen, um seiner Partei einen sicheren Übergang in die Opposition zu ermöglichen. Es werden immer noch lukrative Posten an verdiente Parteigenossen und fette Subventionen an mit der PiS verbundene Institutionen verteilt.
Bis zuletzt versuchte die Regierung, sich finanziell und rechtlich gegen mögliche Interventionen der künftigen Regierung abzusichern. Eine am Montag vorgenommene Änderung der Vorschriften soll die Herrschaft der PiS in den von ihr kontrollierten öffentlichen Medien zementieren.
Gleichzeitig soll eine Legende für die künftigen Wahlkämpfe gestrickt werden, um die eigenen Wähler bei der Stange zu halten. "Wir haben bis zum Ende gekämpft. Die böse, von Deutschland gesteuerte Opposition ist daran schuld, dass diese erfolgreiche Regierung nicht weiter arbeiten kann", so das Narrativ. Im April 2024 finden die Kommunalwahlen statt, zwei Monate später wird das Europäische Parlament gewählt.
Parlament setzt Untersuchungskommissionen ein
Ungeachtet des Regierungsauftrags an Morawiecki - allgemein als Himmelfahrtskommando eingestuft - arbeitet die Mitte-Links-Koalition im Parlament bereits auf Hochtouren und bereitet sich auf die Regierungsübernahme vor. Ein parlamentarisches Verfahren über die staatliche Finanzierung der künstlichen Befruchtung ist bereits eingeleitet worden.
Parlamentarische Untersuchungskommissionen sollen unter anderem herausfinden, ob die von der PiS-Regierung kontrollierten Geheimdienste die Opposition mit dem Spionage-System Pegasus bespitzelt haben. Auch der Visa-Skandal, der den Wahlkampf überschattet hatte, soll untersucht werden. Nach Medienberichten sollen polnische Visa in Afrika und Asien gegen Geld angeboten worden sein.
Die neue Regierung, die Donald Tusk leiten wird, kann wahrscheinlich erst am 13. Dezember vereidigt werden. Die Medien sehen darin eine Rache des Präsidenten. Denn für die geschichtsbewussten Polen ist dieses Datum negativ besetzt.
Sie assoziieren diesen Tag mit der Verhängung des Kriegsrechts durch die kommunistischen Militärs im Jahr 1981. Tusk versucht diese für ihn ungünstige Deutung umzudrehen. "An diesem Tag feiern wir das Lucia-Fest, ein Symbol für Licht inmitten des dunklen Winters", erklärte der künftige Premier.