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"Piatto": der V-Mann aus dem Knast

Marcel Fürstenau, zurzeit München3. Dezember 2014

Die Geschichte des Rechtsextremisten ist ein lehrreiches Beispiel für den fragwürdigen Umgang des Verfassungsschutzes mit Spitzeln. Nun ist der verurteilte Gewalttäter Zeuge im Strafverfahren gegen Beate Zschäpe.

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Das scherenschnittartige Schattenbild eines Mannes hinter Gitterstäben symbolisiert die Inhaftierung.
Bild: Fotolia/rudall30

Als die mutmaßliche Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) 1998 untertauchte, saß Carsten Szczepanski im Gefängnis. Acht Jahre sollte der drei Jahre zuvor verurteile Neonazi hinter Gittern verbringen - wegen versuchten Totschlags an einem Nigerianer. Die gegen ihn verhängte Strafe wurde allerdings schon bald gelockert. Als Freigänger genoss er Privilegien, von denen viele Inhaftierte nur träumen können. Der großzügig gewährte Rabatt war auf Drängen des Brandenburger Amtes für Verfassungsschutz gewährt worden. Als Gegenleistung erhoffte sich die Behörde exklusive Informationen aus der gewaltbereiten rechten Szene. Die lieferte Szczepanski unter dem Tarnnamen "Piatto" auch.

Spektakulär waren seine Hinweise auf die gesuchten Neonazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Andere Rechtsextremisten würden versuchen, das Trio mit Waffen zu versorgen und ihre Flucht nach Südafrika vorzubereiten. All das erzählte "Piatto" seinen V-Mann-Führern zwei Jahre, bevor der Blumenhändler Enver Simsek am 9. September 2000 in Nürnberg mit gezielten Kopfschüssen ermordet wurde. Der 38-jährige Familienvater war das erste Opfer einer bis 2007 andauernden Mordserie an neun Migranten und einer Polizistin. Bis zum Auffliegen des NSU 2011 suchten Ermittler in ganz Deutschland die Täter fast ausschließlich im familiären Umfeld und im Bereich der Organisierten Kriminalität (OK).

Böhnhardt und Mundlos starben im Wohnmobil

Erst die NSU-Bekennervideos und die im Zwickauer NSU-Unterschlupf gefundene Tatwaffe vom Typ "Ceska" offenbarten den schrecklichen Irrtum. Von den mutmaßlichen Mördern muss sich nur Beate Zschäpe im NSU-Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht (OLG) verantworten. Ihre Komplizen wurden im November 2011 nach einem gescheiterten Banküberfall tot in ihrem ausgebrannten Wohnmobil aufgefunden. Vorher sollen sie sich erschossen haben.

Die Tatwaffe der mutmaßlichen NSU-Mörder: eine Ceska 83.
V-Mann "Piatto" berichtete dem Verfassungschutz frühzeitig, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe Waffen wolltenBild: picture-alliance/dpa

Die Wahrheitssuche in München gestaltet sich vor allem deshalb so schwierig, weil die Hauptangeklagte auch 18 Monate nach Prozess-Beginn schweigt. Von den vier wegen Beihilfe angeklagten Neonazis haben zwei zu Beginn des Strafverfahrens ausgesagt. Einer gab zu, Böhnhardt und Mundlos zur Jahrtausendwende eine Waffe mit Schalldämpfer übergeben zu haben. Dabei handelte es sich höchstwahrscheinlich um die Mordwaffe.

Kritik des NSU-Untersuchungsausschuss an V-Mann-Praxis

Vom ehemaligen Verfassungsschutz-Spitzel "Piatto" versprechen sich am Mittwoch vor allem die Nebenkläger im NSU-Prozess Erkenntnisse über das NSU-Umfeld. Opfer-Angehörige und bei Bombenanschlägen Verletzte vermuten im Gegensatz zur Bundesanwaltschaft ein größeres Netzwerk hinter dem mutmaßlichen Terror-Trio. Noch vor kurzem sah es so aus, als würde "Piatto" gar nicht erst als Zeuge auftreten. Das zuständige Brandenburger Innenministerium verweigerte zunächst die Aussagegenehmigung, weil es sich um die Sicherheit des Rechtsextremisten sorgte. Warum diese Bedenken verflogen sind, ist unklar.

Absehbar ist, dass der 2000 durch Medienberichte enttarnte V-Mann keine konkreten Hinweise zu den zehn Morden machen kann. "Piatto" lebt seit 14 Jahren mit einer neuen Identität und befindet sich im sogenannten Zeugenschutz-Programm. Der Mittvierziger könnte aber Einblicke in die fragwürdige Kooperation des Verfassungsschutzes mit gewalttätigen, im Falle "Piattos" sogar zu hohen Haftstrafen verurteilten Rechtsextremisten gewähren. Diese Praxis kritisierte bereits der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, der im vergangenen Jahr seinen Abschlussbericht vorgelegt hat.

Parlamentarisches Kontrollgremium setzt Sonderermittler ein

Ein V-Mann vom Kaliber "Piattos" habe "der Sache keinen Gefällen getan, sondern den Rechtsstaat an seine Grenzen gebracht", kritisierte damals der Christdemokrat Clemens Binninger. Der gelernte Polizist ist inzwischen Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste (PKG). Vor kurzem hat das PKG den Grünen-Politiker Jerzy Montag zum Sonderermittler ernannt. Er soll klären, warum die Existenz einer CD des Verfassungsschutzes mit NSU-Bezug erst im Sommer dieses Jahres bekannt wurde. Vielleicht tauchen ja auch neue Informationen zu "Piatto" auf. Etwa warum der V-Mann 1999 aus der Haft entlassen wurde, als er gerade einmal die Hälfte seiner Strafe verbüßt hatte.