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Lebenslüge einer Abgeordneten

Mathias Bölinger5. August 2016

Die SPD-Politikerin Petra Hinz hat ihren Lebenslauf gefälscht. Jetzt ist sie von den Parteiämtern zurückgetreten, bleibt aber Abgeordnete. Wie sie so lange unentdeckt bleiben konnte, kann ihre Partei nicht beantworten.

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Petra Hinz im Bundestag (Bild: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Auf der Bundestagshomepage sind die Spuren des Betrugs inzwischen getilgt. Die Abgeordnete Petra Hinz habe 1983 die Fachhochschulreife erlangt und im Anschluss ein einjähriges Praktikum bei der Sparkasse absolviert, steht jetzt in ihrem offiziellen Webauftritt. Bis vor kurzem hatte sich die Abgeordnete noch Abitur und Jurastudium zugeschrieben. Das war gelogen. Mitte Juli flog auf, dass Petra Hinz, sozialdemokratische Abgeordnete eines Wahlkreises in Essen, ihren Lebenslauf gefälscht hatte.

Seit 2005 hatte die angebliche Juristin im Bundestag gesessen, war Obfrau ihrer Partei im Rechnungsprüfungsausschuss, saß im Haushaltsausschuss - Posten, die keine Schlagzeilen machen, aber mit viel Verantwortung verbunden sind.

Ratlosigkeit und Enttäuschung

"Sie hat ja gute Arbeit geleistet", sagt Klaus Persch. Er ist seit fast 25 Jahren im SPD-Ortsverein Essen-Frohnhausen aktiv, dessen Vorsitzende Hinz bis jetzt war - Persch war seit mehreren Jahren ihr Stellvertreter. Nach wie vor klingt Ratlosigkeit durch, wenn er über die Genossin spricht.

In einer ersten Stellungnahme, kurz nachdem die Vorwürfe gegen die Abgeordnete bekannt geworden waren, hatte der Ortsverein am 21. Juli auf seiner Homepage voller Mitgefühl geschrieben, man sei "traurig", dass dieser "Fehler" nun Hinz' hervorragende politische Arbeit überschatte. Sie werde im Ortsverein "Freunde und auch Hilfe" finden. Man hoffe, sie bleibe Ortsvereinsvorsitzende. "Wir haben ja lange zusammengearbeitet und erstmal an den Menschen Petra Hinz gedacht", sagt Persch heute.

Inzwischen hat die Milde der Genossen allerdings Grenzen. Dass Petra Hinz bis heute ihr Bundestagsmandat nicht niedergelegt hat, trifft auch in ihrem Ortsverein auf Unverständnis. "Heute wäre die Stellungnahme wohl anders ausgefallen", sagt Persch zurückhaltend. Er klingt nicht wütend, eher verwundert. Er sei "schon enttäuscht", sagt er in seinem bedächtigen Ruhrpott-Tonfall. Niemand habe in all den Jahren geahnt, dass große Teile ihres Lebenslaufs frei erfunden waren. "Es ist ja nicht üblich, dass man im Ortsverein Zeugnisse austauscht."

Screenshiot Hinz-Biografie vom 19.07.2016
Corpus Deliciti - Der Lebenslauf von Petra Hinz auf der Homepage des Bundestags Mitte JuliBild: www.bundestag.de

Am Donnerstag ist Hinz immerhin der Aufforderung der Essener SPD nachgekommen und ist von ihren Parteiämtern zurückgetreten. Damit ist sie wohl einer Abwahl durch ihren Ortsverein zuvorgekommen.

Hinz ist seit dem Bekanntwerden der Vorwürfe abgetaucht. Sie hat sich bei der Bundestagsverwaltung krankgemeldet. Presseberichten zufolge befindet sie sich in psychiatrischer Behandlung. Um den Verzicht auf ihr Mandat zu erklären, hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert ihr mehrere Termine angeboten, die sie hat verstreichen lassen. Damit bleibt sie Abgeordnete für ihren Wahlkreis.

Für Empörung in der Presse sorgte jüngst die Tatsache, dass sie so im August - und, je nachdem wann der Termin zustande kommt, möglicherweise auch noch im September - ihre Diäten kassiert. Die belaufen sich auf je 9300 Euro sowie eine Kostenpauschale von 4300 Euro im Monat.

"Offensichtlich geschickt verhalten"

"Wir gehen davon aus, dass sie ihren Worten Taten folgen lässt und im September zurücktritt", sagt der SPD-Fraktionssprecher Rüdiger Petz. Als Fraktion habe man allerdings "wenig Möglichkeiten, Abgeordnete zum Verzicht zu bewegen". Eine Antwort, wie die Abgeordnete so lange mit ihrer Lüge durchkam, hat auch der Fraktionssprecher nicht. "Offensichtlich hat sie sich geschickt verhalten."

Parteizentrale der SPD in Essen (Foto: picture-alliance/dpa)
Der Unmut wächst auch bei den Genossen an der Basis: Parteizentrale der SPD in EssenBild: picture-alliance/dpa/I. Fassbender

Dabei hatte Petra Hinz durchaus nicht nur Freunde. Mehrfach hatten sich Mitarbeiter der Abgeordneten an die Fraktion gewandt, um sich über die Arbeitsbedingungen in ihrem Büro zu beschweren. Der harte Umgang, den sie mit ihren Kollegen pflegte, war berüchtigt. Zeitungen berichteten in den vergangenen Tagen sogar von einem Stammtisch der Hinz-Geschädigten. In zehn Jahren hatte die Abgeordnete mehr als 50 Mitarbeiter.

Zu viele Feinde

Ehemalige Beschäftigte haben gegenüber verschiedenen Medien von strengen Kontrollen berichtet. Zu jedem Telefonat habe sie ein Protokoll sehen wollen, selbst wer auf die Toilette gehen wollte, habe sich bei ihr persönlich abmelden müssen. Bis ins Privatleben hinein habe sie den Mitarbeitern Vorschriften gemacht. Und wenn etwas nicht so lief, wie sie wollte, gab es Wutausbrüche und Kündigungen im Affekt.

Ende Juni machte ein anonymer Briefeschreiber die Zustände öffentlich. Hinz reagierte mit einer Stellungnahme, in der die ganze Härte, die man ihr nachsagt, durchscheint. Sollte der Briefeschreiber SPD-Mitglied sein - "was ich einfach nicht glauben mag" -, müsse er aus der Partei ausgeschlossen werden: "Jemand, der in ehrabschneidender Weise sozialdemokratische Mandatsträger diffamiert und sozialdemokratische Delegierte nötigt, hat in unserer Partei nichts mehr zu suchen."

Wenige Tage später berichtete der Essener Lokalblog "Informer Magazine" über den Vorwurf, Hinz habe ihren Lebenslauf gefälscht. Es gebe Hinweise von mehreren SPD-Mitgliedern aus Essen, die anonym bleiben wollten. Am Ende, so scheint es, hatte sie wohl ein paar Feinde zu viel, um ihre Lebenslüge aufrechtzuerhalten.