Pegasus-Affäre: Erste Klagen gegen Ungarn
28. Januar 2022Als Szabolcs Panyi im Frühjahr 2021 erfuhr, dass auf seinem Smartphone die Pegasus-Spionagesoftware eingesetzt worden war, dachte er nicht an eine simple Abhöraktion. Denn die Software schneidet mehr als nur Telefongespräche mit. Sie hat Zugriff auf sämtliche Daten eines Smartphones und kann Mikrofon wie auch Kamera unbemerkt einschalten. "Ich fühlte mich, als seien sie in meine Wohnung und in mein Büro eingebrochen, als hätten sie alles verwanzt, überall versteckte Kameras angebracht und würden mich sogar noch bis unter die Dusche verfolgen", sagt der ungarische Investigativjournalist.
Panyi, Redakteur beim Budapester Investigativportal Direkt36, ist einer von mehreren Dutzend Personen, die der ungarische Staat mit der Pegasus-Software überwachen ließ - widerrechtlich. Denn sie waren keine Schwerkriminellen oder Terroristen, gegen die die Software eigentlich eingesetzt werden soll. Sie waren unbequem oder gefährlich für das System des Premiers Viktor Orban - wegen ihrer Recherchen oder ihrer politischen Aktivitäten.
Weltweit bekannt wurde die Pegasus-Affäre im Juli 2021 - ein Journalistennetzwerk veröffentlichte damals Informationen über geleakte Listen mit rund 50.000 Telefonnummern, die Ziele von Attacken mit der israelischen Spionagesoftware waren. In Ungarn waren 300 Ziele betroffen, darunter die Telefone von Journalisten, Anwälten, politischen Aktivisten, Unternehmern und sogar eines ehemaligen Ministers.
Bessere Kontrolle der Geheimdienste
Nun, ein gutes halbes Jahr nach Bekanntwerden der Affäre, wehren sich sechs Betroffene in Ungarn erstmals rechtlich gegen ihre Überwachung, darunter auch Szabolcs Panyi. Es ist das erste Mal, dass Pegasus-Opfer gegen einen EU-Staat klagen. Die Betroffenen werden in Ungarn Verfahren vor Gericht und bei der Datenschutzbehörde NAIH sowie in Israel beim Generalstaatsanwalt anstrengen. Vertreten werden sie dabei von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (TASZ), einer der wichtigsten ungarischen Bürgerrechtsorganisationen, und vom israelischen Rechtsanwalt Eitay Mack. TASZ gab das Vorhaben am Freitag morgen (28.01.2022) in Budapest erstmals vor der Öffentlichkeit bekannt und schaltete dazu auf ihrer Internetdomain auch eine gesonderte Informationsseite frei.
"Wir wollen zum einen erreichen, dass Betroffene erfahren, welche Informationen und Daten Geheimdienste über sie haben", sagt der TASZ-Jurist Adam Remport, der die Initiative koordiniert, der DW. "Zum anderen möchten wir generell gegen missbräuchliche Überwachung vorgehen und erwirken, dass Geheimdienste in Ungarn besser und unabhängig kontrolliert werden." Das ist, neben der Frage, welche konkreten Daten von seinem Telefon abgeschöpft wurden, auch Szabolcs Panyi wichtig. "Die jetzigen Regelungen sind so gummiartig und breit gefasst, dass in Ungarn jeder überwacht werden kann", sagt er der DW.
Verkauf von Pegasus trotz Bedenken
In Israel wird der Rechtsanwalt Eitay Mack beim dortigen Generalstaatsanwalt ein Gerichtsverfahren gegen den Hersteller der Software, die private NSO Group, sowie gegen das israelische Verteidigungsministerium beantragen, das den internationalen Verkauf genehmigen muss. Mack hat schon mehrfach Klageversuche wegen Pegasus unternommen, unter anderem aufgrund des Einsatzes der Software in Mexiko - bisher allerdings erfolglos.
Doch der Anwalt lässt nicht locker. "Pegasus wurde an den ungarischen Staat verkauft, obwohl es viele Bedenken wegen der rechtsstaatlichen Missstände in Ungarn gab", sagt Mack der DW. "Deshalb möchte ich versuchen, das israelische Verteidigungsministerium unter anderem wegen Nicht-Verhinderung einer Straftat sowie wegen der Verletzung des Rechtes auf Privatsphäre zu verklagen."
Pegasus in Polen
Als die Pegasus-Affäre bekannt wurde, galt Ungarn als einziges EU-Mitgliedsland, in dem eine Regierung die Spionagesoftware gegen Kritiker eingesetzt hatte. Ende 2021 kam heraus, dass auch die PiS-Regierung in Polen dasselbe getan hatte. In beiden Ländern gaben die Regierungen indirekt zu, dass sie Personen mit Pegasus hatten ausspähen lassen.
In Ungarn bestätigte ein Parlamentsabgeordneter und hochrangiger Politiker der Orban-Partei Fidesz im November 2021 gegenüber Journalisten versehentlich, dass das Innenministerium des Landes Pegasus gekauft hatte - eine Aussage, die kurz darauf von der ungarischen Staatsanwaltschaft als "nicht den Tatsachen entsprechend" bezeichnet wurde. Dennoch gibt es kaum Zweifel: Viktor Orban und der ehemalige israelische Premier Benjamin Netanjahu, die seit viel Jahren persönlich befreundet sind, einigten sich über den Pegasus-Kauf wohl während eines Treffens in Budapest im Juli 2017.
Gemeinsamer Feind Soros
Orban und Netanjahu haben einen gemeinsamen Feind: den US-Börsenmilliardär ungarisch-jüdischer Herkunft George Soros, der mit seinem Vermögen zivilgesellschaftliche Aktivitäten fördert. Auch halfen sich die beiden Politiker gegenseitig immer wieder: Ungarn blockierte in der EU wiederholt Israel-kritische Resolutionen. Umgekehrt bescheinigte Netanjahu der Orban-Regierung einen vorbildlichen Kampf gegen Antisemitismus, obwohl es in Ungarn wiederholt stark antisemitisch gefärbte Regierungskampagnen gegen Soros gab.
"Israel hat einen hohen Preis für die Unterstützung durch Ungarn bezahlt, es hat den Antisemitismus der Orban-Regierung gedeckt", sagt Eitay Mack. Der Anwalt ist überzeugt, dass auch die Pegasus-Software Teil der Zusammenarbeit zwischen Orban und Netanjahu war. "Diese Spionagesoftware ist ein Werkzeug der israelischen Diplomatie", sagt Mack.
Eine gewisse Paranoia im System
Sowohl der israelische Anwalt als auch der ungarische Jurist Adam Remport wissen, dass die Verfahren in ihren Ländern unter Umständen jahrelang dauern können. Mack sagt, er werde dennoch nicht nachlassen in seinem Bestreben, dass Israel für den Export von Waffen, auch von Cyber-Waffen wie Pegasus, in autokratische Länder zur Rechenschaft gezogen werden müsse. Remport betont seinerseits, dass TASZ notfalls auch bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg ziehen werde. "Ein Urteil von dort hätte auch gesamteuropäische Bedeutung", sagt der Jurist.
Szabolcs Panyi und seine Kollegen vom Investigativportal Direkt36 haben unterdessen in den vergangenen Monaten immer wieder neue Fälle des Missbrauchs der Pegasus-Software in Ungarn aufgedeckt. Dabei ging es nicht mehr nur um Kritiker der Orban-Ordnung. Ende Dezember etwa veröffentlichten sie Informationen zum Einsatz von Pegasus auf den Telefonen von Leibwächtern des ungarischen Staatspräsidenten Janos Ader - der eigentlich ein langjähriger und enger Weggefährte von Orban ist. "Wenn wir jetzt sehen, dass sogar im engeren Umfeld von Orban Leute ausgespäht werden", sagt Panyi, "dann kommt man nicht umhin festzustellen, dass sogar im Innern des Systems eine gewisse Paranoia herrscht."