Wer bespitzelt Polens Opposition?
4. Januar 2022Als ein internationales Journalistenkonsortium im Juli 2021 die Ergebnisse seiner Recherchen zum Missbrauch der Spionagesoftware Pegasus gegen Politiker, Reporter und Menschenrechtler vorstellte, stand neben autokratischen Staaten in Asien und Afrika wie Aserbaidschan, Saudi-Arabien, Ruanda oder Marokko nur ein EU-Land am Pranger: Ungarn.
Doch nun, ein halbes Jahr später, kommen Informationen ans Tageslicht, die vermuten lassen, dass Polens rechtskonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die Viktor Orbans Staat als Vorbild betrachtet, auch auf diesem Feld mit ihrem ungarischen Verbündeten Schritt gehalten hat: Krzysztof Brejza, ein führender Politiker der liberalen Oppositionspartei Bürgerplattform (PO), teilte kurz vor Weihnachten 2021 mit, sein Smartphone sei zwischen April und Oktober 2019 ganze 33 Mal gehackt worden.
In dieser Zeit leitete Brejza den Wahlkampfstab seiner Partei für die Parlamentswahl am 13. Oktober 2019 - und das polnische Staatsfernsehen TVP veröffentlichte manipulierte E-Mails, die belegen sollten, dass er eine Hasskampagne gegen den politischen Gegner führte. "Das ist kein Zufall", ist sich der 38-Jährige sicher. Tatsächlich seien die Mails illegal aus seinem Telefon gestohlen und dann verändert worden.
Brejza ist nicht das einzige Opfer der Hackerangriffe. Roman Giertych, Ex-Innenminister und mit der liberalen Opposition eng verbundener Anwalt, beklagt 18 Angriffe auf sein Handy. Und auf dem Smartphone der Staatsanwältin Ewa Wrzosek, die sich mit der Regierung wegen der umstrittenen Briefwahlpläne für die Präsidentschaftswahl 2020 angelegt hatte, und die bei der regierungskritischen Staatsanwälte-Vereinigung "Lex Super Omnia" tätig ist, wurden Spuren von sechs Angriffen zwischen Juni und August 2021 entdeckt.
Pegasus-Spur
Die Überwachungssoftware Pegasus ist eine Entwicklung des israelischen Unternehmens NSO. Sie wird weltweit an Staaten verkauft, um diese beim Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität zu unterstützten. Das Programm kann iPhones und Android-Smartphones in Echtzeit ausspähen, Gespräche mitschneiden, Standortdaten lesen und die Kamera heimlich aktivieren. Laut IT-Experten gibt es keinen Schutz gegen derartige Spionagesoftware.
Brejza wurde von Spionageangriffen durch eine AP-Meldung informiert, Wrzosek von der Firma Apple gewarnt. Alle Fälle hat die kanadische Forschungsgruppe Citizen Lab von der Universität Toronto bestätigt. Angesichts der neuesten Enthüllungen spricht Polens Opposition nun vom "polnischen Watergate" und fordert die Einberufung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses - schließlich könnten Wahlergebnisse durch den Einsatz von Pegasus beeinflusst worden sein.
Ahnungslose Regierung
Doch das Regierungslager mauert. "Ich weiß nicht, nach welchem System Sie fragen. Ich weiß nicht, welches System das sein könnte", antwortete kurz vor Jahresende auf Journalistenfragen der Vize-Justizminister Michal Wos. Er betonte, dass auch Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro von illegalen Abhörmaßnahmen nichts wüsste. Tatsächlich zeigt die Staatsanwaltschaft wenig Interesse an dem Fall. Brejzas Anwältin hat Strafanzeige erstattet, eine Antwort steht aus. Im Fall Wrzosek war die Eröffnung eines Verfahrens abgelehnt worden - wegen fehlendem Anfangsverdacht.
Am 3. Januar 2022 versuchte es Wos dann mit einem Witz. "Das ist der Pegasus, den ich in den 90er Jahren gekauft habe", schrieb er auf Twitter und zeigte das Bild einer Playstation. Regierungschef Mateusz Morawiecki deutete sogar an, hinter den Spähaktionen könnten fremde Geheimdienste stehen, von denen es "auf der Welt sehr viele" gebe.
Deal auf höchster Ebene
Doch langsam wird es eng für die Regierung. Immer mehr Dokumente tauchen auf, die Licht ins Dunkel bringen. Wie die linksliberale Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" am 3. Dezember 2021 berichtete, kam es im Juli 2017 in Budapest zu einem Treffen von Viktor Orban, der damaligen polnischen Regierungschefin Beata Szydlo und Israels damaligem Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Dort soll die Entscheidung für den Kauf der Pegasus-Software gefallen sein.
Um den Deal zu verschleiern, wurde die polnische Rechnung auf 25 Millionen Zloty nicht etwa aus der Kasse der Zentralen Antikorruptionsbehörde (CBA), sondern aus einem dem Justizministerium unterstellten "Hilfsfonds für Opfer von Verbrechen" beglichen. Um das zu ermöglichen, musste im Parlament der Status dieses Fonds geändert werden. Den Antrag dazu stellte Vize-Justizminister Wos im Finanzausschuss. Laut "Gazeta Wyborcza" wurde den Abgeordneten dabei verschwiegen, dass es sich um Geld zum Kauf von Spionagesoftware handelte.
Die nächste Abhörsoftware
Israel soll mittlerweile die Zahl der Staaten, die Pegasus nutzen dürfen, von über 100 auf 37 reduziert haben. Unter den Ländern, denen die Lizenz entzogen wurde, sind auch Polen und Ungarn. Die polnische Opposition bezweifelt jedoch, dass das dem Ausspähen ein Ende bereiten wird.
"In den kommenden Tagen werden wir weitere konkrete Namen und Telefonnummern von Abgehörten erfahren", sagt Grzegorz Schetyna, PO-Mitbegründer und ehemaliger Innen- und Außenminister. Und der renommierte Sicherheitsexperte Piotr Niemczyk weist darauf hin, dass die in Nordmazedonien registrierte israelische Firma Cytrox mit "Predator" bereits jetzt eine Alternative zu Pegasus anbietet.
Der PiS-Vorsitzende und Vize-Regierungschef Jaroslaw Kaczynski wandte sich am 27. Dezember 2021 an alle, die sich davor fürchten, abgehört zu werden: "Halb scherzhaft kann ich Ihnen raten, ein Handy wie meines zu nutzen - alt, gebraucht, aber man mit ihm wohl auch filmen, wenn man die richtige Taste drückt", so der rechtskonservative Politiker, der für sein Misstrauen gegen moderne Erfindungen bekannt ist.