Der schwierige Umgang mit China
13. September 2020Drei große Tage sollten es werden. Leipzig sollte im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit stehen: Beim ersten Treffen eines chinesischen Präsidenten mit allen 27 Staatschefs der EU. Der EU-China-Gipfel vom 13. bis zum 15. September war als geopolitischer Höhepunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft geplant, mit Kanzlerin Angela Merkel als Gastgeberin.
Jetzt kommen nur die Demonstranten nach Leipzig. Begleitet von einem massiven Polizeiaufgebot gingen am Samstagabend einige Hundert Anhänger der linken Szene "gegen die Festung Europa und das autoritäre Regime Chinas" auf die Straße - der Gipfel selbst dagegen findet nur noch virtuell statt, verkürzt auf einen Tag. Zu der Videokonferenz am Montag (14.9.) mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping wollen sich der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zusammenschalten - und eben Angela Merkel als amtierende Ratspräsidentin.
Als Berlin Anfang Juni das große Gipfeltreffen abgesagt hat, wurde die Corona-Pandemie als Grund genannt. Aber der Rückbau des Treffens passt in die politische Landschaft. Chinas Ruf in den Hauptstädten Europas hat in jüngster Zeit stark gelitten. Die massive Unterdrückung der Uiguren, das harte Vorgehen in Hongkong haben zu Protesten auch in europäischen Parlamenten geführt. Lucrezia Poggetti, Expertin für EU-China-Beziehungen beim Berliner Think-Tank Merics, verweist gegenüber der DW zusätzlich auf den Unmut über den intransparenten Umgang Chinas mit Corona, speziell die sogenannte Masken-Diplomatie: "Das wurde als schamlose PR-Kampagne betrachtet, in der China in vielen Fällen sogar den Export von medizinischen Hilfsgütern als Hilfe etikettierte."
Systemrivale China
In Europa findet ein Umdenken in Bezug auf die Beziehungen zu China statt. Das Unbehagen mit Chinas immer aggressiverer Politik nach außen und der wachsenden Unterdrückung von Meinungsfreiheit und Menschenrechten im Inneren fand seinen offiziellen Ausdruck im März 2019. Da stellte die EU-Kommission in Brüssel eine Europäische China-Strategie vor. Schon auf der ersten Seite wird festgehalten: China sei für Europa eben nicht nur Partner im Kampf gegen den Klimawandel; es sei nicht nur wirtschaftlicher Konkurrent. China wird als "Systemrivale" identifiziert, der "alternative Governance Modelle" fördere. Was nichts anderes bedeuten soll als: Peking versucht weltweit sein autokratisches Herrschaftssystem als Gegenentwurf zur Demokratie europäischen Zuschnitts zu etablieren.
Der EU-Außenbeauftragte Joseph Borell unterstrich diesen Punkt noch einmal in einem Interview mit dem französischen Journal Le Dimanche Anfang Mai. Darin kam Europas Chefdiplomat zu dem Urteil, Europa sei in seinen Beziehungen zu China "ein wenig naiv" gewesen, jetzt aber verfolge man einen realistischeren Ansatz.
Mit diesem Ansatz ist ein neuer, ein rauerer Ton in die Brüsseler Rhethorik gekommen. Ablesbar war der auch an dem Pressestatement von Charles Michel und Ursula von der Leyen nach ihrem Videogipfel mit Xi Jinping und Chinas Premier Li Keqiang Ende Juni. Der Präsident des Europäischen Rates Michel sprach da zwar auch von großer gegenseitiger Abhängigkeit in der Wirtschaft, von notwendiger Zusammenarbeit beim Klimawandel und der Pandemiebekämpfung. Dann folgte das "aber": "Wir müssen auch erkennen, dass wir nicht dieselben Werte, politischen Systeme oder Ansätze zum Multilateralismus teilen. Wir werden uns mit klarem Blick und Selbstbewusstsein engagieren, die Interessen der EU energisch verteidigen und fest zu unseren Werten stehen".
Kommissionschefin von der Leyen stieß ins selbe Horn: Damit sich die Beziehungen zu China weiter entwickeln können, müssten sie stärker auf Regeln und auf ausgeglichenem Geben und Nehmen angelegt sein.
Stillstand beim Investitionsabkommen
Dazu soll eigentlich das "Umfassende Investitionsabkommen" beitragen, das CAI. Seit sechs Jahren wird darüber verhandelt. Die Ziele: Mehr Marktzugang und faire Wettbewerbsbedingungen, Hürden für Investitionen abbauen, die Rolle von Staatsunternehmen verringern und auch Nachhaltigkeit verankern. Für eine Einigung mit der EU muss sich China nach Ansicht europäischer Firmen allerdings noch deutlich bewegen. "Die europäische Seite hat sehr deutlich gemacht, dass es China nicht in der Mitte treffen kann", sagte Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China, der Nachrichtenagentur dpa. Weil chinesische Firmen in Europa bereits offene Märkte und faire Wettbewerbsbedingungen vorfinden. Anders als europäische Firmen in China. Deshalb sei es an Peking, "die Lücke zu schließen", sagt Wuttke. Optimistisch, dass das gelingt, ist er nicht.
Chinas Außenminister Wang Yi hatte bei einem Besuch in Brüssel letzten Dezember noch betont, Europa stünde 2020 auf der diplomatischen Agenda Pekings ganz oben. Dabei hatte Pekings Chefdiplomat das Investitionsabkommen als wichtigstes wirtschaftspolitisches Projekt dargestellt. Aber Reinhard Bütikofer, für die Grünen im Europa-Parlament und dort Vorsitzender der Delegation für die Beziehungen zu China, sieht keinen Fortschritt. An keiner der wesentlichen Fronten habe es einen Durchbruch gegeben, stellte Bütikofer in einem Merics-Briefing klar.
Anti-China-Trip
Vor zwei Wochen war Wang Yi erneut in Europa. Vor dem anstehenden Gipfel - und nach dem Besuch von US-Außenminister Pompeo in mehreren Hauptstädten Mittel- und Südosteuropas, einer Reise, die das Nachrichtenmagazin Spiegel als Anti-China-Trip betitelte. Die chinesische Regierung wolle die Bildung einer transatlantischen Front gegen China verhindern, ist Merics-Expertin Poggetti überzeugt. Die Regierung blicke mit Besorgnis auf einen Ausschluss des Telekommunikationsherstellers Huawei beim europäischen Ausbau des superschnellen Mobilfunknetzes 5G. Großbritanniens und Frankreich haben bereits entschieden, nicht mit Huawei zusammenzuarbeiten.
Europa hat bislang keinen einheitlichen Umgang mit dem chinesischen Konzern gefunden. Die USA üben seit Monaten wachsenden Druck auf ihre Partner aus, Huawei vom Ausbau der 5G-Mobilfunknetze auszuschließen. Sie warnen, der weltgrößte Netzwerkausrüster könne über seine Produkte spionieren oder kritische Infrastruktur sabotieren. Die deutsche Bundesregierung hat sich in der Frage noch nicht eindeutig positioniert.
Kühler Empfang bei Charmeoffensive
Wang Yis erste Auslandsreise in Corona-Zeiten war als Charmeoffensive Richtung Europa gedacht. Aber die neue Sicht auf China hat den Empfang kühler ausfallen lassen als erwartet. Auch in Berlin fand der deutsche Außenminister klare Worte. Heiko Maas forderte die Rücknahme des Nationalen Sicherheitsgesetzes, das praktisch die rechtsstaatliche Eigenständigkeit Hongkongs beendet. Für die Uiguren in Chinas Nordwestprovinz Xinjiang verlangte er den Einsatz einer UN-Beobachtermission. Und sehr deutlich wies Maas Drohungen Wang Yis gegenüber Tschechien zurück, weil Prag einen Diplomaten nach Taiwan entsandt hatte.
Gleichzeitig mit dem Besuch Wangs in Berlin Anfang des Monats veröffentlichte das Bundeskabinett seine "Indo-Pazifik-Leitlinien". Die sind Ausdruck des Wunschs, die deutschen Beziehungen zu Asien zu diversifizieren. Deutschland will sich breiter aufstellen, weitere Freihandelsabkommen abschließen - und die beträchtliche wirtschaftliche Abhängigkeit von Peking verringern. Bei der Vorstellung das Papiers erklärte Außenminister Maas: "Wir stärken dabei den Gedanken einer multipolaren Welt, in der sich kein Land zwischen Machtpolen entscheiden muss." Es liegt auf der Hand, dass Maas die USA und China meinte.
Deren geopolitischer Konflikt wird auch beim EU-China Gipfel mitschwingen.