Kleiner Gipfel ohne Folgen
24. Juni 2020Viel kam nicht heraus beim "EU-China-Summit" am Montag, dem ersten Teil einer Reihe von Gipfeln mit China, die 2020 stattfinden sollen. Corona-bedingt war er bereits um drei Monate verschoben worden und konnte nur per Videoschalte abgehalten werden. Über sechs Stunden konferierten Chinas Premier Li Keqiang, EU-Ratspräsident Charles Michel, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und zeitweise auch Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping miteinander.
"Die Kooperation überwiegt den Wettbewerb", meldete das chinesische Staatsfernsehen danach. "Sich in China zu engagieren und mit China zu kooperieren ist eine Chance und eine Notwendigkeit", sagte Michel. Beide Seiten sind also bemüht, nicht unnötig Porzellan zu zerschlagen. Und beide Seiten haben sich immerhin darauf verständigt, bei der Suche eines Impfstoffs gegen COVID-19 stärker zusammenzuarbeiten und das Investitionsabkommen fertig zu verhandeln. Das wird allerdings nicht einfach.
Keine gemeinsame Abschlusserklärung
"Wir haben weiterhin eine unausgewogene Handels- und Investitionsbeziehung", erklärte von der Leyen nach dem virtuellen Zusammentreffen in Abwesenheit ihrer chinesischen Gesprächspartner vor der Presse. Die Knackpunkte sind Themen wie der ungleiche Marktzugang für EU-Unternehmen und Chinas Umgang mit der Coronavirus-Pandemie. Die Chinesen wiederum sehen von ihrer Seite aus ebenfalls Ungleichgewichte. Zum Beispiel, dass Europa über die Jahre viel mehr in China investieren durfte als China in Europa und dass sich die EU immer wieder in die inneren Angelegenheiten Chinas einmischt, zum Beispiel beim Thema Hongkong. Insofern war es nicht erstaunlich, dass es am Ende der Konferenz nicht einmal eine gemeinsame Abschluss- oder Absichtserklärung gab.
Eins ist offensichtlich: Das China-Jahr der EU, das mit dem ebenfalls verschobenen großen Gipfel in Leipzig im September seinen Höhepunkt hätte haben sollen, läuft anders, als Brüssel sich das gewünscht hat. Das Coronavirus bringt nicht nur die größten wirtschaftlichen Herausforderungen für die Euro-Zone seit Jahrzehnten mit sich, sondern zeigte auch klarer denn je, wie abhängig Europa bereits von China ist. Peking hat dies auch mehrfach deutlich gemacht, etwa indem man betont hat, dass die EU bisher Chinas größter Handelspartner war, dass diese Position aber im ersten Quartal dieses Jahres von den ASEAN-Staaten übernommen wurde.
Machtverschiebung zugunsten von Asien
Offensichtlich geht man in Peking davon aus, dass das auch erst einmal so bleiben wird: Die asiatischen Staaten werden sich schneller von der Corona-Krise erholen als die EU. Und noch in diesem Jahr soll ein länderübergreifendes Freihandelsabkommen in Asien unterschrieben werden. Diese Machtverschiebung macht die Arbeit an dem chinesisch-europäischen Investitionsabkommen, an dem Brüssel und Peking seit gut sechs Jahren feilen, nicht einfacher.
Angela Merkel, die ab der nächsten Woche den EU-Ratsvorsitz für ein halbes Jahr übernimmt, hätte sich eine Unterzeichnung für den September gewünscht. Und sie hat immerhin die Beziehungen zu China an die erste Stelle ihrer außenpolitischen Aufgaben in diesen sechs Monaten gesetzt.
Van der Leyen fordert, dass ein unterschriftsreifer Entwurf bis zum Frühherbst auf dem Tisch liegen muss, wenn es noch klappen soll. Dafür müsse Peking allerdings "substanzielle Verpflichtungen" eingehen, etwa was die Transparenz bei erzwungenen Technologietransfers angeht oder marktverzerrende Subventionen für chinesische Unternehmen.
Peking hat eigene Prioritäten
Dass Peking nicht sofort Tempo macht, weil Brüssel das so will, hat der kleine Videogipfel gezeigt. Die Priorität der chinesischen Regierung liegt nun vor allem darauf, die eigene Wirtschaft zu stabilisieren und den Bürgern Arbeit zu geben. Auch deshalb hat Peking, wie von den EU-Partnern ebenfalls bemängelt, seine Klimaziele innerhalb des Pariser Vertrages noch einmal hintenangestellt: Allein im ersten Quartal 2020 hat China so viele neue Kohlekraftwerke genehmigt wie im gesamten vergangenen Jahr. Auch liegt das groß angekündigte Emissionshandelssystem noch immer auf Eis. Das Kernproblem nach Corona in China: Während die Umweltschützer Sorgen haben, dass die Klimaziele erreicht werden, fürchten die Wirtschaftsplaner, dass strengere Umweltauflagen das schwächelnde Wachstum zusätzlich bremsen. Und die haben nun eher das Sagen.
Dass im vergangenen Jahr die Regeln für die Übernahme systemrelevanter Unternehmen innerhalb der Euro-Zone verschärft wurden, macht die Verhandlungen ebenfalls nicht einfacher. Zudem verhängte die EU-Kommission vor wenigen Tagen erstmals Strafzölle gegen Unternehmen, die nicht in China sitzen, aber trotzdem staatliche Subventionen bekommen - in diesem Fall zwei ägyptischen Tochtergesellschaften der staatlichen China National Building Materials Group Corp (CNBM). Ob dieses Druckmittel funktioniert, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Die Hoffnung von Brüssel: Wenn subventionierte Produkte keinen Marktzugang mehr für Europa bekommen, müssen die Planer von Pekings "Belt-and-Road"-Projekt in großem Stil neu kalkulieren. Denn Europa ist einer der wichtigsten Absatzmärkte innerhalb der riesigen, auch als "Neue Seidenstraße" bekannten Infrastruktur-Initiative.
Europas Angst vor chinesischen Übernahmen
Am vergangenen Mittwoch hat die EU-Kommission zudem ein neues "Weißbuch für faire Wettbewerbsbedingungen in Bezug auf ausländische Subventionen" veröffentlicht, das Übernahmen europäischer Konzerne erschweren soll. Nach der Krise sind viele Unternehmen in Europa angeschlagen und für Übernahmegespräche mit chinesischen Playern offener als zuvor. China wird in dem Dokument zwar nicht namentlich genannt, in der Finanzkrise 2008/09 hatten staatlich subventionierte chinesische Unternehmen jedoch genau unter diesen Vorzeichen groß in Europa eingekauft.
Damals wollte oder konnte sich Brüssel nicht recht über die Konsequenzen klar werden, nämlich dass damit auch Chinas politischer Spielraum in Europa wächst. Das soll dieses Mal anders laufen. "In der heutigen eng verknüpften Weltwirtschaft können solche ausländischen Beihilfen den EU-Binnenmarkt stören und faire Wettbewerbsbedingungen beeinträchtigen", erklärt EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Über diese Ideen müssen die EU-Mitgliedsstaaten jedoch erst einmal diskutieren, bevor sie Gesetz werden.
Peking spielt auf Zeit
Und tatsächlich sind die chinesischen Investitionen in der EU längst rückläufig. 2018 lagen sie bei einem Volumen von 18 Milliarden Euro, 2019 nur noch bei zwölf Milliarden. Das ist ungefähr wieder das Niveau von 2013. Umgekehrt investieren mehr und mehr europäische Unternehmen in China. 2018 steckte alleine Deutschland 90 Milliarden Euro in neue Produktionsstandorte in China. In einer neuen Studie der Europäischen Handelskammer in China gaben neun von zehn europäischen Unternehmen an, ihre Investitionen nicht in andere Länder verlagern zu wollen. Das Problem: Wenn ein europäischer Konzern in China produziert und verkauft, hat das kaum einen Effekt auf die europäische Wirtschaft. Es werden keine Arbeitsplätze geschaffen und kaum Steuereinnahmen erzielt.
Dass Peking weiter versuchen wird, seinen Einfluss in Europa vor allem bilateral auszubauen, ist klar. Denn umso weniger die EU mit einer Stimme spricht, umso weniger ist China gezwungen, sich auf Brüssel zuzubewegen. Und auf Zeit zu spielen, hat bislang gut geklappt. Länder wie Ungarn und Griechenland, aber auch ein G7-Staat wie Italien, haben sich bereits stark von Peking umgarnen lassen. Und die Corona-Krise ist ein willkommener Anlass, um das Tempo beim Zukommen auf Brüsseler Wünsche noch ein bisschen länger zu drosseln.
Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über zwanzig Jahren in Peking.