Pakistan: Was steckt hinter dem Aufstand in Belutschistan?
28. August 2024Die "Balochistan Liberation Army" (BLA) bekannte sich am Montag (26.08.) zu einer Reihe tödlicher Angriffe in der südwestlichen pakistanischen Provinz Belutschistan, bei denen mindestens 70 Menschen ums Leben kamen, darunter 14 Soldaten.
Die koordinierten Angriffe zielten auf Polizeistationen, Eisenbahnlinien und Autobahnen. Bei dem tödlichen Vorfall übernahmen BLA-Kämpfer die Kontrolle über eine Autobahn und erschossen mindestens 23 Menschen, hauptsächlich Arbeiter aus der benachbarten Provinz Punjab. Die Regierungschefin der Provinz, Maryam Nawaz Sharif, beschrieb dies als "regelrechte Hinrichtungen".
Der pakistanische Premierminister Shehbaz Sharif sagte, die Separatisten wollten die Entwicklungsprojekte des chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridors (CPEC) stören, die darauf abzielen, Pekings Präsenz in Pakistan sowie in Zentral- und Südasien auszubauen, um dem Einfluss der Vereinigten Staaten und Indiens in der Region entgegenzuwirken.
Sharif kündigte Vergeltung für die Gewalt an, die zeitgleich mit dem Besuch eines hochrangigen chinesischen Generals in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad stattfand. Peking hat über den CPEC, der Teil der Belt and Road Initiative (BRI) des chinesischen Präsidenten Xi Jinping ist, massiv in die Region investiert, um Märkte im Nahen Osten, in Europa, Afrika und darüber hinaus zu erreichen.
Wer sind die Belutschen?
Die Belutschen sind eine sunnitisch-muslimische Volksgruppe, die auf beiden Seiten der iranisch-pakistanischen Grenze und auch in Teilen Südafghanistans lebt.
Belutschistan bildet den größten Teil dieser Region, gefolgt von der Provinz Sistan und Belutschistan auf der iranischen Seite. Das Gebiet ist etwa so groß wie Frankreich, aber dünn besiedelt mit etwa neun Millionen Belutschen, die in Stämmen organisiert sind und sich keinem Staat zugehörig fühlen.
Belutschistan ist reich an natürlichen Ressourcen wie Gold, Diamanten, Silber und Kupfer. Dennoch gehört die lokale Bevölkerung zu den Ärmsten im Iran und Pakistan. Ihre Autonomie- oder Unabhängigkeitsbestrebungen werden auf beiden Seiten mit Gewalt unterdrückt.
In Pakistan werden solche Bestrebungen als Versuche angesehen, die Nation zu spalten, während im Iran die Situation noch dadurch verkompliziert wird, dass die Belutschen eine sunnitische muslimische Minderheit in einem überwiegend schiitischen Land sind.
In Pakistan sind laut Amnesty International seit 2011 über 10.000 Belutschen verschwunden.
Was ist die Belutschistan-Befreiungsarmee BLA?
Die BLA ist die größte militante Gruppe der Belutschen und kämpft seit Jahrzehnten gegen die pakistanische Regierung. Sie fordert die Unabhängigkeit Belutschistans. Außerdem ist die BLA gegen die chinesische Expansion in der Region.
BLA-Kämpfer haben Anschläge verübt, insbesondere auf pakistanische Sicherheitskräfte und Pekings CPEC-Projekt. Die ethnischen Belutschen, die in Belutschistan die Mehrheit bilden, sind wütend auf die pakistanische Regierung, weil sie die Ressourcen ihrer Region als unfair ausgebeutet betrachten.
Die BLA und andere separatistische Gruppen argumentieren, dass die lokale Bevölkerung keinen fairen Anteil an den Gewinnen aus den Ressourcen aus ihrer eignen Provinz erhält. Sie werfen Peking außerdem vor, ihre Ressourcen und ihr Land auszubeuten und befürchten, dass der Zustrom chinesischer Investitionen und Arbeiter die Belutschen weiter marginalisieren könnte.
Diese Vorwürfe der Ausbeutung haben den Aufstand der BLA angeheizt und zu verstärkten militanten Aktivitäten geführt, die in den letzten Tagen eskaliert sind. Damit wird die wachsende Unzufriedenheit unter der belutschischen Bevölkerung deutlich.
Die Angriffe vom Montag fielen mit dem 18. Todestag von Nawab Akbar Bugti zusammen, einem ehemaligen belutschischen nationalistischen Führer.
Alarmierende Eskalation
Experten sind angesichts der jüngsten Eskalation der Gewalt alarmiert. "Dies sind aufgrund ihres Ausmaßes äußerst bedeutende Angriffe in Bezug auf die Zahl der Todesopfer, den geografischen Umfang der Angriffe und die große Bandbreite der Ziele, sowohl der Zivilbevölkerung als auch der Sicherheit", sagte Michael Kugelman, Südasien-Experte am Wilson Center in Washington, gegenüber der DW.
Kiyya Baloch, ein pakistanischer Journalist und Kommentator, der regelmäßig über Belutschistan berichtet, glaubt, dass die Angriffe vom Montag aufgrund ihrer sorgfältigen Planung und Koordination ein neues Maß an Gefahrenpotential erreicht hätten. "Das zeigt, dass die Gewaltanwendung des Staates in Belutschistan in den letzten zwei Jahrzehnten nicht effektiv war. Sie geht nach hinten los und verschlimmert die Situation", sagt Baloch der DW.
Seit fast zwei Jahrzehnten liefern sich bewaffnete belutschische Gruppen einen anhaltenden Konflikt mit pakistanischen Sicherheitskräften.
Angriffe trüben das Image der Protestbewegungen
Im gleichen Zeitraum haben verschiedene friedliche Menschenrechtsbewegungen in Belutschistan massiv an Unterstützung gewonnen. Sie setzen sich für die bürgerlichen, politischen und sozioökonomischen Rechte der Belutschen ein und haben mit Kundgebungen in der gesamten Provinz massive Proteste ausgelöst.
"Wir befürchten, dass der Staat im Kampf gegen die neue Welle der Gewalt auch unsere friedliche Bewegung und unsere Forderungen unterdrückt", sagte Hidayat ur Rehman Baloch, Aktivist aus Gwadar, einer Hafenstadt in Belutschistan mit massiven chinesischen Investitionen, gegenüber der DW.
"Der Angriff auf Dissidenten wird die Situation weiter verschlechtern. Die militärischen Angriffe sollten sich gegen die Terroristen richten, die bei den organisierten Angriffen operieren und Gewalt verbreiten", fügt er hinzu.
Analysten befürchten, dass friedliche Aktivisten die Hauptlast dieser Angriffe und etwaiger Vergeltungsmaßnahmen der pakistanischen Regierung tragen werden.
"Ich befürchte, dass friedliche Aktivisten und friedliche Regierungskritiker in Belutschistan betroffen sein könnten, wenn Islamabad ein massives Durchgreifen in Belutschistan einleitet. Und das ist wahrscheinlich", betont Kugelman von der US-Denkfabrik. Die Gefahr bestehe darin, dass Islamabad die Terrorismusbekämpfung als Vorwand nutze, um gegen Dissidenten vorzugehen.
"Es wäre nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Aber es würde die besonders angespannte Situation in Belutschistan noch verschärfen, da sowohl die Bedrohung durch Aufstände als auch die wachsende regierungsfeindliche Stimmung, die in den letzten Monaten zu großen öffentlichen friedlichen Protesten geführt hat, dies mit sich bringt", betont Kugelman.
"Ich glaube, die Regierung versucht schon seit einiger Zeit, friedliche belutschische Aktivisten mit Aufständischen in Verbindung zu bringen. Daher gehe ich davon aus, dass die Regierung solche Angriffe definitiv als Vorwand nutzen wird", sagt Aktivist Baloch besorgt.
Aus dem Englischen adaptiert von Shabnam von Hein