Die NATO und Osteuropa
7. Juli 2016Zu Zeiten der kommunistischen Diktatur und des Warschauer Paktes zirkulierte in Rumänien ein populärer Witz: Von allen Nachbarn des Landes sei nur einer loyal - das Schwarze Meer. Jetzt scheint sich auch das geändert zu haben. Die Krim-Annexion durch Moskau und der Krieg im Osten der Ukraine haben für erhebliche Unruhe in Südosteuropa gesorgt. Vor allem Rumänien fühlt sich bedroht und will beim NATO-Gipfel in Warschau verbindliche Zusagen für eine Stärkung der Südostflanke, ähnlich wie in Polen und im Baltikum, plädieren. Das Schwarze Meer sei schon längst ein "russischer See", hört man immer wieder aus Bukarest.
Die NATO nimmt das zusätzliche Sicherheitsbedürfnis seiner osteuropäischen Mitgliedsstaaten sehr ernst. Das zeigt nicht nur die angekündigte Präsenz der rund 4.000 Soldaten im Baltikum und Polen. Auch eine "maßgeschneiderte Entscheidung für die Südost-Region" soll laut NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Warschau abgesegnet werden. Auf dem Gipfeltreffen der Allianz soll der US-Raketenschutzschild in Südrumänien der NATO unterstellt und die Einrichtung einer multinationalen Brigade in Rumänien beschlossen werden.
Kein Signal der Militarisierung
Im Gespräch mit der DW hat der deutsche General Heinrich Brauss, beigeordneter Generalsekretär der NATO für die Verteidigungspolitik und Streitkräfteplanung im Internationalen Stab der Allianz, das Vorgehen der Allianz an ihrer Ostflanke auf den Punkt gebracht: "Unsere Abschreckungs-Strategie ist, wie wir es im NATO-Jargon nennen, auf 360 Grad ausgerichtet. Also auf den Osten, Süden, aber auch auf den Südosten". Es sei klar, so Brauss, dass der Ostseeraum von großer Bedeutung sei, aber ebenso klar sei, dass das Schwarze Meer kein russisch dominiertes Meer werden könne und dürfe.
Katarzyna Kubiak und Wolfgang Richter, Sicherheitsexperten des deutschen Think-Tanks "Stiftung Wissenschaft und Politik", haben im DW-Interview die Strategie der Allianz in Osteuropa erläutert: "Wir können nicht ausschließen, dass die Vorbereitungen für Raketenabwehrstellungen in Rumänien und Polen im Kontext mit den Rückversicherungsmaßnahmen der NATO für die östlichen Bündnispartner wahrgenommen werden - vor allem in Russland und den Stationierungsländern". Konzeptionell habe das eine mit dem anderen jedoch nichts zu tun, obwohl das zeitliche Zusammentreffen etwas anderes nahezulegen scheine, so die Experten.
Wenn von Warschau nur ein Signal der Aufrüstung und des Truppenaufmarsches im Baltikum ausginge, so wäre eine schleichende Remilitarisierung der Grenzen zwischen der NATO und Russland bzw. Weißrussland zu befürchten, glauben die beiden SWP-Sicherheitsexperten: "Dann wären wir zwar noch nicht im Kalten Krieg; die Instabilität würde aber weiter zunehmen und eine neue Teilung Europas wäre zu befürchten".
"Es liege an Russland"
Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz, hat bei einem Treffen mit Vertretern der Auslandspresse in Berlin die NATO-Strategie in Osteuropa verteidigt. Die bedrohliche Lage für die östlichen Bündnispartner - durch die Ereignisse in der Ukraine und der gesamten Region - sei nicht durch die NATO entstanden.Von Seiten Moskaus werde mit "gewaltigen Propaganda-Argumenten" gearbeitet, erklärte Ischinger. Die NATO habe auf das Sicherheitsbedürfnis der Osteuropäer "maßvoll reagiert", die vier Bataillone in Polen und im Baltikum stünden nicht im Widerspruch zur Russland-NATO-Grundakte.
Ischinger wünscht sich allerdings vom Warschauer Gipfel auch eine "glaubwürdige Bekräftigung des Angebots an vertrauensbildenden Maßnahmen“ in Richtung Moskau. Von russischer Seite erwarte er dieselbe Zurückhaltung: "Russland darf auf den maßvollen Charakter der NATO-Maßnahmen nicht überreagieren und nicht selber eine Aufrüstungs-Spirale in Gang setzen", so Ischinger. Es liege an Russland, das bestehende Angebot zur Zusammenarbeit mit der Allianz anzunehmen.
Doch auch ein zweites Thema wird den NATO-Gipfel beschäftigen. Neben den bereits als „historisch“ angekündigten Entscheidungen wird ein klares Zeichen von Großbritannien nach dem alles überschattenden „Brexit“ erwartet. Nicht nur die Osteuropäer befürchten, dass ein möglicher EU-Austritt Großbritanniens nach dem Referendum die Position der Allianz an ihrer Ostflanke schwächen würde. London darf sich nicht isolieren und wäre gut beraten, nicht auf seine wesentliche Rolle in der NATO zu verzichten. Eine Schwächung der Allianz wäre das falsche Signal, dass von diesem Gipfel ausginge und würde alle wichtigen Entscheidungen relativieren.