Online-Boom mit Börsen-Blase?
1. Oktober 2014Der Glaube an die Zukunft des e-commerce ist groß, zumindest bei den Anlegern. Seit diesem Mittwoch wird der Online-Modehändler Zalando an der Börse gehandelt, ab Donnerstag die Start-up Schmiede Rocket Internet. Bereits im Vorfeld waren die Aktien beider Unternehmen deutlich überzeichnet und es geht - zumindest für deutsche Verhältnisse - um richtig viel Geld. Bei Rocket Internet wird damit gerechnet, dass es der größte deutsche Börsengang seit 2007 wird.
Der Ansturm auf die Aktien der beiden Börsenneulinge erstaunt, wenn man sich die Geschäftszahlen anschaut, denn gegenwärtig haben beide Unternehmen keine großen Gewinne vorzuweisen. Zalando häufte jahrelang vor allem Verluste auf und ist gerade erst - pünktlich vorm Börsengang - in die schwarzen Zahlen vorgedrungen. Zuletzt gab es im zweiten Quartal einen Gewinn von 29 Millionen Euro.
Bei Rocket Internet ist noch mehr Glaube an den Erfolg nötig: Oliver Samwer und seine zwei Brüder kopieren bewährte Internet-Geschäftsmodelle und übertragen diese auf Länder wie Russland, Brasilien oder Nigeria, also auf Länder, in denen der Online-Handel noch in den Kinderschuhen steckt. Die von den Samwers gegründeten Firmen schreiben jedoch noch teils hohe Verluste.
Teuer, aber nicht unbedingt zu teuer
Daraus ließe sich aber nicht grundsätzlich ableiten, dass Rocket Internet völlig überbewertet sei, meint Tobias Kollmann, Professor für e-business an der Universität Duisburg-Essen. "Wir befinden uns in einem Bereich, der immer noch sehr stark von Reichweiten lebt", sagt er. Erst wenn eine große Reichweite da sei, könnten entsprechenden Einnahmen erzielt werden und diese Reichweite sei erst mal unglaublich teuer zu erzeugen, so Kollmann im Gespräch mit der DW. Zudem gebe es im Augenblick nicht so viel derart Vielversprechendes, wie es das erfahrene Team der Samwer-Gruppe bietet, sagt der Wirtschaftshistoriker Klemens Skibicki, der an der Cologne Business School lehrt.
Déjà vu am Aktienmarkt
Dennoch erinnert das derzeitige Börsengeschehen an die Internet-Euphorie um die Jahrtausendwende. Inmitten des Technologie-Booms wurde in Deutschland 1997 das Börsensegment "Neuer Markt" geschaffen, damit junge Unternehmen rasch an Eigenkapital kommen können. Bis 2000 schossen die Kurse vieler Internet- und IT-Firmen in astronomische Höhen, bevor sich nach dem Platzen der "Dotcom-Blase" ins Bodenlose abstürzten. Zu viele hatten sich von den großartigen Zukunftsvisionen der Unternehmen mitreißen lassen, während die Geschäftsgrundlage häufig eher dürftig war. 2003 stellte die Deutsche Börse den Neuen Markt wieder ein.
Nun scheint die Euphorie von damals zurückzukehren. Der amerikanische S&P 500 Index für Technologieaktien ist in den letzten fünf Jahren um rund 100 Prozent gestiegen. Damit liegt er wieder auf dem Niveau, das er zu Zeiten des Börsenbooms 2000 und kurz vor der Finanzkrise 2007 hatte. Als der Nachrichtendienst Twitter an die Börse ging, waren die Anteile begehrt wie die berühmten heißen Semmeln. Auch der Aktienkurs des Sozialen Netzwerks Facebook ist seit Börsenstart kräftig in die Höhe geschossen. Mitte September legte dann noch der chinesische Online-Riese Alibaba in New York mit 25 Milliarden Dollar den größten Börsengang aller Zeiten hin.
Schillert schon die nächste Blase?
Befeuert werden Börsengänge derzeit wohl auch durch die Niedrigzinspolitik der Notenbanken. Nicht nur institutionelle Investoren suchen wegen der niedrigen Zinsen nach lukrativen Anlagemöglichkeiten. Vor allem Wachstumswerte würden stärker nachgefragt, sagt Martin Steinbach. Er kümmert sich bei der Unternehmensberatung Ernst & Young um Börsengänge. Die Gefahr einer Überhitzung sieht Steinbach aber noch nicht. Zum einen sei die reine Zahl der Börsengänge noch weit vom Niveau des Jahres 2001 entfernt, vor allem aber seien die Investoren heute vorsichtiger und wählerischer als früher.
Dass sich eine neue Blase bildet, wie um die Jahrtausendwende, daran glaubt auch Tobias Kollmann nicht. "Wir sind inzwischen 15 Jahre weiter", so Kollmann, "sowohl die Investoren als auch die Unternehmen wissen inzwischen, wie gewisse Dinge funktionieren oder auch nicht funktionieren."
Auch wenn wir jetzt wieder einen Hype haben, er sei völlig anders gelagert als um die Jahrtausendwende, meint auch Klemens Skibicki. "Als das Internet Mitte der neunziger Jahre kam, war das wie eine Riesen-Wette", so Skibicki. "Was wir heute erleben, ist ein Run auf viele bewährte Geschäftsmodelle." Beispiel Facebook. Als das Soziale Netzwerk 2012 an die Börse ging, habe es bereits ein bewährtes Geschäftsmodell gehabt und damit Geld verdient. 1997 bis 2000 hätte dagegen noch keiner Geld verdient. "Dieser Prozess ist jetzt anders gelagert. Man hat verstanden, dass im Internet sehr viel Geld zu verdienen ist und das das Internet tatsächlich einen starker Strukturwandel darstellt." Trotzdem könne natürlich nicht jeder online Geld verdienen und es werde damit Bereinigungsprozesse geben, sagt Skibicki.
Insgesamt ist er aber überzeugt: e-commerce habe eine große Zukunft. "Wir sehen es ja daran, wie Google, Facebook oder Amazon unser Leben heute bestimmen. Und diese jungen Unternehmen haben es geschafft, in wenigen Jahren zu den wertvollsten Unternehmen der Welt zu werden. Google hat am Wochenende seinen 16. Geburtstag gefeiert - Facebook ist zehn Jahre alt und hat in der letzten Woche die 200 Milliarden Dollar Grenze der Marktkapitalisierung überschritten. "Das ist mehr, als die Hälfte der Dax-Unternehmen zusammen wert sind", so Skibicki. "Jetzt kann man sagen: übertrieben! Nicht unbedingt, meine ich, denn es steckt auch ziemlich viel Potential dahinter."
Neue Chancen für Anleger
Ein Ende des Börsenbooms ist erst mal nicht in Sicht. Aktienbewertungen seien derzeit relativ hoch und verschaffen so Neuemissionen Rückenwind, erklärt Martin Steinbach von Ernst & Young. Dementsprechend erwartet Steinbach in diesem Jahr weitere Börsengänge in Deutschland. Insgesamt könnten es bis zu 20 werden.
Allein mit Zalando und Rocket Internet steigt das Volumen der Börsengänge in Deutschland in diesem Jahr nach dem "IPO-Barometer" von E&Y auf mehr als drei Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr hatten Börsengänge in Deutschland insgesamt nur 2,35 Milliarden Euro gebracht. 2014 könnte damit das beste Jahr für Börsengänge seit 2007 werden – damals sammelten deutsche Unternehmen fast acht Milliarden Euro ein.