Deutschlands Retourenrampe
18. April 2014Onlinehandel boomt in Deutschland wie kaum eine andere Branche. Kaum ein Deutscher hat noch nie online geshoppt. Und: Kaum einer packt mehr Pakete aus als Daniel Balcerzak. Täglich. Im Retourenzentrum von Hitmeister nimmt der Lagerist die Rücksendungen entgegen. "Es ist jedes Mal eine Überraschung, wie der Artikel aussieht", erzählt er und zeigt auf einen Mixer, in dem noch Möhrenbrei klebt. "Es gibt Kunden, die schmeißen uns die Kaffee-Maschine noch mit Filter wieder in das Paket."
Ausleihen, Tragen, Retournieren
Die Fritteuse kommt mit Fettgeruch zurück, das teure Besteck braucht der Kunde nach den Feiertagen plötzlich doch nicht - keine Ausnahmen, sondern Balcerzaks Alltag.
Im besten Fall ist das Produkt ordentlich verpackt und beschriftet - und dann geht trotzdem meist das Rätselraten los. "Die Prüfung einer defekten Retoure kann bis zu 20 Minuten in Anspruch nehmen." Manches muss beim Hersteller eingeschickt werden.
Und alle Rücksendungen gehen anschließend als Sonderposten in den Rabattverkauf - ein Schaden von rund 200.000 Euro im Jahr für das Unternehmen.
Mode als Retourentreiber
An die weltweiten E-Commerce-Marktführer kommt Hitmeister, das für 2014 mit rund 40 Millionen Umsatz rechnet, nicht heran - auch nicht in Sachen Retourenquote, sagt der Gründer, Gerald Schönbucher. "Bei uns kommen nur etwa sieben Prozent der Ware zurück" - und das ist wenig. Internationale Händler wie Amazon, Asos oder Zalando verzeichnen bis zu 70 Prozent Retourenquote, je nach Produktkategorie.
4500 Produktkategorien vertreibt Hitmeister, vom Buch über den Gartenstuhl bis zum Kühlschrank - allerdings nur wenig Kleidung. Und hier liegt auch ein Grund für die wenigen Rücksendungen.
Systematisch werden in diesem Segment zwei Größen zur Ansicht bestellt, dann eine wieder zurückgeschickt. Die Schmerzgrenze der Händler liegt dabei weit oben: Schickt ein Kunde einen gebrauchten Artikel zurück, droht zwar die Sperrung des Kundenkontos - aber oft erst beim zweiten oder dritten Mal. Die Möglichkeit, Waren preiswert über's Internet zu vertreiben, ohne teure Mieten für Ausstellungsräume in den Innenstädten, machen die Verluste meist wett.
Kulanz mit Tradition
Ein weiterer Grund, der die Deutschen zu Europameistern im Zurückschicken macht: die Rechtslage. Beträgt der Warenwert der Retoure über 40 Euro, muss in Deutschland bisher gesetzlich nicht der Kunde, sondern der Händler für das Porto aufkommen. Ab Juni wird sich das ändern. Die EU will einheitliche Regelungen. Faktisch wird die deutsche Ausnahme allerdings wohl weiterbestehen, aus Kulanz und aus Tradition - glaubt Holger Schneider, Professor für E-Commerce: "Deutschland ist immer ein Land der Katalogversender gewesen. Nach dem Krieg und auch nach der Wende wurde recht viel über Katalog bestellt." Es gehöre daher zum angelernten Verhalten der deutschen Konsumenten, dass sie die Ware bei Nichtgefallen zurücksenden. "Die Katalogversender der 'alten Schule' haben sehr früh Waren zurückgenommen, sodass die Kunden daran gewöhnt sind", so Schneider.
Profiteur Post
Inzwischen explodiert in Deutschland das Sofa-Shopping: Während Einzelhandel im vergangenen Jahr nur um rund eineinhalb Prozent zugelegt hat, kletterte der Onlinehandel nach Angaben des Bundesverbands des Deutschen Versandhandels um rund 20 Prozent. Der Netto-Umsatz lag bei fast 50 Milliarden Euro. Besonders beeindruckend sei das schnelle, "dramatische Wachstum", sagt Kai Hudetz vom Institut für Handelsforschung: "1999 hatten wir noch ein Online-Volumen in Deutschland von 1,25 Milliarden Euro. Jetzt sind wir so in etwa bei 40 Milliarden Euro."
Der große Profiteur dieses Trends sind deutsche Transport- und Lieferunternehmen. In anderen europäischen Ländern freut man sich schon, wenn die Ware überhaupt ankommt, meint E-Commerce-Experte Schneider. Denn wer - etwa in Italien - schon durch die schlechte Liefer-Infrastruktur lange auf das bestellte Produkt warten muss, der schickt es auch nicht so schnell wieder zurück. Eher wird im Bekanntenkreis nach jemandem gesucht, dem der Pullover vielleicht passt, oder der genau diesen Gegenstand doch braucht.
Während der E-Commerce hier zum Aufbau einer geeigneten Infrastruktur zur Auslieferung der Waren beiträgt, fürchten die Experten für Deutschland den gegenteiligen Effekt: Wohnstraßen könnten verstopfen, wenn der eine Nachbar die DHL, der zweite dann Hermes und der dritte UPS erwartet, die am selben Tag mit blinkenden Lichtern vorm Haus halten, um ihre Pakete zu übergeben.
Sofashopping statt Stadtbummel
Manche fürchten auch die Abgase der Liefertransporter. Andere argumentieren, dass die dafür die Innenstädte vor samstäglichen Ausflüglern in - möglicherweise jahrzehntealten - Rostlauben bewahren könnten. Und dass viele große Unternehmen auf vergleichsweise umweltsensible Lösungen wie Elektroautos setzen würden. Studien, die die Klimaverträglichkeit des Onlinehandels überprüfen, stehen jedoch noch aus.
Und einen trifft der Trend sicher: den kleinen, unabhängigen Designer an der Straßenecke. "Als ein Freund des stationären Handels fürchte ich, dass der Online-Handel in den nächsten Jahren ganz starke Auswirkung auf das Stationärgeschäft haben wird", sagt Kai Hudetz vom Institut für Handelsforschung." Wir werden weiterhin eine massive Verschiebung haben - von stationären Umsätzen hin zu Online-Umsätzen." Er gehe davon aus, "dass wir bis zum Jahr 2020 fast eine Verdoppelung erleben werden, was Online-Umsätze im Nonfood-Bereich angeht." Und Hudetz ist mit seiner Schätzug nicht allein. Von derzeit neun Prozent Marktanteil, so rechnet auch der deutsche Handelsverband, könnte der Internethandel in den kommenden 15 Jahren auf dann 20 Prozent anwachsen.