Nüchtern bis an die Schmerzgrenze
9. März 2018Es gibt eine Wortschöpfung, eine Bezeichnung, die Olaf Scholz wohl zeitlebens nachhängen wird und die tatsächlich eine Menge über ihn aussagt. Aus "Scholz" und "Automat" machte die Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" im Jahr 2003 "Scholzomat", weil sich der damalige SPD-Generalsekretär praktisch nur noch in technokratischen Sprechformeln äußerte.
Wie eine Maschine, deren Aufgabe darin besteht, unbeirrt Politik zu verkaufen. Es ging damals um die umstrittene Arbeitsmarktreform Agenda 2010, die für die Betroffenen harte Einschnitte mit sich brachte. Scholz musste sie öffentlich verteidigen, vor allem auch gegen die Angriffe aus der eigenen Partei.
"Ich war der Verkäufer der Botschaft. Ich musste eine gewisse Unerbittlichkeit an den Tag legen", sagte Scholz später. Er habe sich "wirklich als Offizier" gefühlt. "Es gab keinen Spielraum." Nicht um seine eigenen Befindlichkeiten sei es gegangen, sondern darum, "absolut loyal" gegenüber Bundeskanzler und SPD-Chef Gerhard Schröder und der SPD zu sein. "Ich wollte nicht mich retten, sondern meine Partei."
Gedankt hat es ihm niemand
Am Ende ging nicht nur der Rettungsversuch schief, sondern Olaf Scholz hatte auch ein Image weg, das er lange nicht mehr loswurde. In der Öffentlichkeit galt der Jurist als langweiliger und spaßbefreiter Bürokrat, in der SPD als ein Genosse, der mit der Emotionalität der Basis nichts anfangen konnte, der nervte und unbeliebt war. Das zahlten sie ihm lange mit schlechten Wahlergebnissen auf Parteitagen heim. Dabei hatte Scholz nur vernünftig und loyal sein wollen. Ein introvertierter, sachorientierter Pragmatiker aus Hamburg, der nur so viel sagt wie unbedingt nötig. Der versucht, möglichst geräuschlos und effizient zu arbeiten.
Politische Kategorien wie rechts oder links scheinen auf den gebürtigen Osnabrücker nicht zuzutreffen, auch wenn er als stellvertretender Vorsitzender der SPD-Jugendorganisation Jusos noch radikalsozialistische und kapitalismuskritische Thesen vertrat. Doch zwischen seinem SPD-Eintritt als Schüler im Jahr 1975 und seiner Wahl in den Bundestag 1998 liegen viele Jahre. Jahre, in denen Scholz als Fachanwalt für Arbeitsrecht mit eigener Kanzlei in Hamburg viel darüber lernte, wie Wirtschaft und selbständiges Unternehmertum funktioniert. Das prägte ihn.
In Hamburg hat er sich einen Namen gemacht
Heute gilt der 59-Jährige in der SPD als Fachmann für die Themen Arbeit und Finanzen. Sein politisches Rüstzeug hat er sich als Hamburger Innensenator, als Bundesarbeitsminister in der ersten großen Koalition unter Angela Merkel und schließlich als langjähriger Regierender Bürgermeister von Hamburg verdient. "Wer Führung bei mir bestellt, der bekommt sie", mit diesen Worten trat er 2011 in der Hansestadt an. An Selbstbewusstsein hat es Scholz noch nie gemangelt. Sein Augenmerk gilt den Bürgern, die hart arbeiten und sich an die Regeln halten.
Innere Sicherheit ist ihm genauso wichtig wie solide Finanzen. Für die Bundesländer handelte der Regierende Bürgermeister Hamburgs mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die Neuordnung des Bund-Länder-Finanzausgleichs aus. "Die schwarze Null ist im Koalitionsvertrag vereinbart, weil alle drei Koalitionspartner dies richtig finden", betont Scholz, der ein Befürworter der Regelung ist, dass der Bund schon jetzt und die Länder ab 2020 keine neuen Schulden mehr machen dürfen.
Können Sozialdemokraten mit Geld umgehen?
Trotzdem schlägt dem SPD-Politiker und zukünftigen Bundesfinanzminister aus den Reihen von CDU und CSU ein über Jahrzehnte zementiertes Vorurteil entgegen. "Wenn in Zukunft die Sozialdemokratie das Finanzministerium besetzt, dann werden unsere Haushaltspolitiker noch mehr aufpassen müssen, dass wir nicht Schulden auf dem Rücken unserer Kinder und Enkel machen", sagte die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel auf dem politischen Aschermittwoch ihrer Partei in Demmin.
Olaf Scholz wird das zu werten wissen. Schließlich kam es in der Union gar nicht gut an, dass die Kanzlerin das Finanzministerium an die SPD abgegeben hat. Allerdings gibt es zwischen Union und SPD jenseits der schwarzen Null tatsächlich unterschiedliche Auffassungen in der Finanzpolitik. Schon lange drängt die SPD darauf, das deutsche Spardiktat in Europa zu beenden. Eine Forderung, die auf der Linie des französischen Präsidenten Emmanuel Macron liegt.
Europa stärken, aber nicht um jeden Preis
Dessen proeuropäische Ideen unterstützt Olaf Scholz zwar, und er ist auch der Auffassung, dass Deutschland als wirtschaftlich stärkstes Land in der EU eine besondere Verantwortung trägt. Seine finanzpolitische Stabilität will sich der zukünftige Bundesfinanzminister dafür aber nicht in Unordnung bringen lassen.
Ob Olaf Scholz gerne von Hamburg nach Berlin wechselt? "Ich bin in keiner meiner früher ausgeübten Funktionen so mit mir im Einklang gewesen", sagte er, nachdem er 2015 als Hamburger Regierungschef wiedergewählt worden war. Das änderte sich nach den schweren Krawallen beim G20-Gipfel in Hamburg im vergangenen Jahr zwar vorübergehend. Scholz räumte Fehler ein. Sein Sicherheitskonzept sei nicht aufgegangen. Doch während die Krawalle und ihre Folgen in Hamburg nicht vergessen sind, spricht bundesweit kaum noch jemand darüber.
Starker Mann an ihrer Seite
In Hamburg gelang dem Politiker, was ihm in bundespolitischer Funktion in Berlin stets verwehrt geblieben war. Scholz wird von der Mehrheit der Hanseaten geschätzt. In der SPD ist das nach wie vor nur bedingt der Fall. Zwar wird Scholz zugute gehalten, dass er verlässlich ist, aber das Herz der Genossen hat er nie erobern können. Derzeit ist Scholz zwar SPD-Chef, aber nur kommissarisch und vorübergehend vom Vorstand ernannt und ohne Wahl durch die Partei. Ein undankbarer Job, aber irgendjemand aus dem Vorstand musste ihn ja übernehmen, nachdem Martin Schulz plötzlich nicht mehr wollte.
Als Parteivorsitzender stand Scholz auch auf der Bühne, als am 4. März die Ergebnisse des SPD-Mitgliederentscheids zur großen Koalition bekannt gegeben wurden. Sein Kommentar dazu war so technisch und emotionslos, dass man schon wieder an den "Scholzomat" erinnert wurde. Dabei wollte der SPD-Chef, wie er später selbst sagte, lediglich neutral erscheinen und die ohnehin enttäuschten GroKo-Gegner in der Partei nicht weiter vor den Kopf stoßen. Denn er selbst hatte schließlich für die große Koalition geworben.
Aber eigene Befindlichkeiten tun für Scholz in der Regel nichts zur Sache. Am 22. April wird er den Parteivorsitz wieder abgeben, dann stellt sich Andrea Nahles, die SPD-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, auf einem Sonderparteitag zur Wahl. Sollte die Personalie durchgehen, werden Nahles und Scholz das künftige starke Gespann in der SPD sein. Sie an der Parteispitze, er als Vizekanzler in der Regierung. Olaf Scholz wird auch diesen Auftrag so erledigen, wie er alles angeht: ruhig, gelassen und ohne sich in den Vordergrund zu spielen. Was nicht heißt, dass er nicht aus dem Hintergrund seine Fäden ziehen kann und wird.