Kanzlerin beruft Vertraute und Kritiker
25. Februar 2018In Deutschland bestimmt der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin, mit wem er oder sie zusammen am Kabinettstisch sitzen möchte, wer also Minister oder Ministerin wird. Allerdings geschieht das in der Regel in Absprache mit den Vorsitzenden der mitregierenden Parteien. Da Angela Merkel nicht nur Kanzlerin, sondern auch Parteivorsitzende der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) ist, liegt das Personaltableau der CDU ganz in ihren Händen. Dieses Mal war mit besonderer Spannung erwartet worden, für wen sich Merkel entscheidet. Denn die Kanzlerin steht unter Druck.
Das schlechte Abschneiden der CDU bei der Bundestagswahl, die bislang gescheiterte Regierungsbildung, der Aufwind der Rechtspopulisten der "Alternative für Deutschland" (AfD) haben ungewohnt deutliche Kritik laut werden lassen. Außerdem ist ein Streit darüber entfacht, wie konservativ die CDU eigentlich sein will. Darüber hinaus wird - wie in anderen europäischen Ländern - auch in Deutschland diskutiert, welche Zukunft die Volksparteien der Konservativen (CDU) und der Sozialdemokraten (SPD) noch haben. Es gebe einen "Mangel an Ideen und frischem Personal", beschrieb zum Beispiel der Politikwissenschaftler Jens Hacke im Monatsmagazin "Cicero" die brenzlige Lage. Wie reagiert Merkel? Kann sie das Rumoren beruhigen? Verspricht Ihr neues Kabinett Aufwind oder geht es nur um ein "Weiter-So"? Am Sonntag nun hat Merkel ihr Personaltableau in Berlin erst den Parteigremien und dann der Presse vorgestellt.
Merkel-Kritiker wird eingebunden
Die überraschendste Personalie ist die von Jens Spahn. Der 37-Jährige gilt als Nachwuchstalent, der sich in den letzten Jahren geschickt zu einer Symbolfigur der etwas konservativeren CDU-Politiker positioniert hat. Er trat für eine harte Flüchtlingspolitik ein, forderte eine Leitkultur und das Verbot der Vollverschleierung. Spahn ist mit einem Mann, einem Yellow-Press-Journalisten in Berlin verheiratet - er hat also von der gesellschaftspolitischen Modernisierung der letzten Jahre profitieren können.
In der CDU gibt es noch weitaus strukturkonservativere Kreise, den "Konservativen Aufbruch" zum Beispiel. Doch ein solcher Vertreter aus der Partei sitzt nicht mit an Merkels Tisch.
Viele politische Beobachter waren davon ausgegangen, dass Merkel Spahn eher nicht an den Kabinettstisch holt. Denn Minister zu sein, gibt zusätzlichen Einfluss in der Partei. Er soll das Gesundheitsministerium führen. Andererseits kann Merkel Spahn nun in die Kabinettsdisziplin einbinden. Genau das deutete Merkel in der Pressekonferenz auch an: Spahn wisse, was es bedeute, in einem Kabinett zusammen zu arbeiten, so Merkel. Es müsse immer um die Sache gehen. Merkel versuchte zudem, Spahns Rebellen-Image einzufangen. Er sei nicht der einzige mit kritischen Anmerkungen und auch nicht der einzige, der über konservative Wurzeln spreche.
Kein Wechsel im Verteidigungsministerium
Die Koalitionsverhandlungen mit der SPD und den Christsozialen, der bayerischen Schwesterpartei der CDU, endeten mit dem Verlust des Innenministeriums und des Finanzministeriums für die CDU. Auch das war Teil der Kritik der letzten Tage. Dafür besetzt die CDU nun das Wirtschafts- und Energieministerium. Das soll von Peter Altmaier (59) geleitet werden, einem engen Vertrauten von Merkel, der als Kanzleramtsminister die Flüchtlingspolitik und später den Bundestagswahlkampf organisierte.
Das zweite große Ministerium für die CDU - das Verteidigungsministerium - bleibt in der Hand von Ursula von der Leyen (59). Obwohl sie zuletzt harsche Kritik einstecken musste, dass die Bundeswehr in Teilen nicht einsatzfähig sei. Es hatte Gerüchte gegeben, dass von der Leyen nach Brüssel wechselt. Nun bleibt sie vorerst in Berlin. Von der Leyen habe viele Reformen angestoßen, die noch nicht beendet seien, begründete Merkel ihre Wahl.
Die Nachwuchsriege
Als wertkonservativ und dennoch Merkel-nah gilt Julia Klöckner (45). Sie war schon einmal Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium. Nun übernimmt sie es.
Vom Staatsminister im Kanzleramt zum Kanzleramtsminister - eine Stufe rauf auf der Karriereleiter ging es auch für Helge Braun (45). Auch er gehört schon länger zu Merkels Machtzirkel.
Ein wirklich neuer Name ist der der neuen Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft: Anja Karliczek. Die 46-Jährige Betriebswirtschaftlerin trat auf dem Gebiet ihres neuen Ressorts bislang kaum in Erscheinung. Im Bundestag ist sie seit 2013 und hat dort als Parlamentarische Geschäftsführerin in der Bundestagsfraktion der Partei gearbeitet.
Kein Minister aus dem Osten
Mindestens sozio-demografisch betrachtet geht von Merkels Liste ein Signal des Aufbruchs aus. Auf jeden Fall sind die CDU-Minister wesentlich jünger als zuletzt. Betrug das Durchschnittsalter im alten Kabinett zuletzt 63 Jahre, ist es jetzt auf 50 Jahre gefallen. Der Anteil an Frauen war sowieso schon hälftig hoch - nun überwiegen sie sogar.
Es fehlt allerdings ein Minister aus dem Osten Deutschlands. Zwar ist Merkel selbst in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Aber sie gilt im Osten eher als eine Reizfigur, was auch mit der dort starken AfD mit Werten über 20 Prozent zu tun hat. Allerdings hatte sie sich schon vor der Flüchtlingskrise selten als Interessenvertreterin der Ostdeutschen profiliert. Im Vorfeld gab es Druck auch von Ost-Ministerpräsidenten, Merkel solle eine Stimme des Ostens an den Kabinettstisch holen. Dem ist sie nun nicht gefolgt. Sie begründete das in relativ scharfen Worten, dass sie bitte schön selbst als Ostdeutsche angesehen werden möchte. Ihr ostdeutscher Wahlkreis liege in einem Zentrum der Probleme. Sie möchte nicht aus dieser Heimat vertrieben werden.
Wie geht es weiter?
Sollte die CDU an diesem Montag auf dem Bundesparteitag dem Koalitionsvertrag zustimmen - womit gerechnet wird - und sollte das Ergebnis des SPD-Mitgliederentscheids am kommenden Sonntag positiv ausfallen, könnte das Kabinett im März seine Arbeit aufnehmen. Es sei ein "tatkräftiges und auf die Zukunft ausgerichtetes" Team, sagte Merkel.
Die offizielle Ernennung der Minister übernimmt dann, so will es das Grundgesetz, der Bundespräsident.