NSA/BND-Affäre: Misstrauen überall
11. Juni 2015Edward Snowden hat vor zwei Jahren alles ins Rollen gebracht. Der US-amerikanische Whistleblower enthüllte die globale Überwachung der Telekommunikation durch seinen früheren Arbeitgeber: die National Security Agency (NSA). Journalisten waren und sind dabei behilflich, das Ausmaß der Spionage öffentlich zu machen. Kein Wunder, dass im NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages immer wieder aus Medien zitiert wird. Etwa wenn es um den Vorwurf geht, der Bundesnachrichtendienst (BND) habe der NSA geholfen, europäische Unternehmen und politische Institutionen auszuspähen.
Fast alle Zeugen in dem seit 14 Monaten tagenden Gremium werden mit unangenehmen Anschuldigungen konfrontiert. Auch am Donnerstag ist das so, als unter anderem der Vize-Präsident des Bundesnachrichtendienstes aussagen muss. Guido Müller arbeitet seit 1987 für den BND, kennt den Laden also so gut wie wenige. Kritik am deutschen Auslandsgeheimdienst ist ihm folglich seit Jahrzehnten vertraut. Seinen öffentlichen Auftritt nutzt er, um in der NSA/BND-Affäre eine Botschaft auszusenden: "Aufklärung und Versachlichung ist im ureigensten Interesse des BND." Ob er das ehrlichen Herzens sagt, aus taktischen Erwägungen oder aus beiden Beweggründen, sei dahingestellt.
BND-Vize räumt technische Mängel ein
Müller beschreibt die Arbeit seiner Behörde als gewissenhafte Dienstleistung zum Wohle Deutschlands. Das reicht vom Schutz der Bundeswehrsoldaten in Auslandseinsätzen und reicht bis zur Verhütung von Terrorangriffen durch Dschihadisten. "Dabei befinden wir uns oft in einem Spannungsverhältnis." Vor allem dann, wenn es um den Einsatz "nachrichtendienstlicher Mittel" geht. Spätestens jetzt muss Müller jedes Wort auf seine mögliche Wirkung hin abklopfen. Denn über Methoden, technische und inhaltliche Details muss er schweigen. Dafür sorgt notfalls der hinter ihm sitzende Aufpasser aus dem Kanzleramt. Der verweist im Zweifelsfall bei jedem Zeugen darauf, welche Dinge nur in geheimer Sitzung zur Sprache kommen dürfen. Also unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
BND-Vize Müller darf immerhin ungestört einräumen, dass die technischen Systeme seiner Behörde über die Jahre nicht in "einem Guss" gewachsen seien. Ja, es gebe technische Mängel. Man arbeite aber daran, sie zu beseitigen. Dieser Hinweis ist ihm wichtig, weil der Vorwurf im Raum steht, auch deutsche Bürger seien mit Hilfe des BND ausgespäht worden. Das wäre ein klarer Gesetzesverstoß, der mit Hilfe von Computerfiltern vermieden werden sollte. Noch konnte kein Zeuge plausibel erklären, wie solche Programme die Nationalität etwa eines Internet-Surfers feststellen könnten. Schließlich sagt die Nutzung eines auf "com" endenden Mail-Accounts nichts darüber aus, aus welchem Land der Nutzer stammt.
"Unwidersprochene Vorwürfe müssen nicht zwangsläufig wahr sein"
Ein anderes Schlüsselwort in der transatlantischen Geheimdienst-Affäre heißt "Selektoren". Damit sind Begriffe gemeint, die der BND im Auftrag der NSA in seine Spähprogramme eingespeist haben soll. Ziel seien auch europäische Unternehmen und politische Institutionen gewesen, heißt es in Medienberichten. Zeuge Müller würde dazu gerne auch öffentlich etwas sagen, bedauerlicherweise könne er das aber wegen der Geheimhaltungspflicht nicht. Nur so viel: "Unwidersprochene Vorwürfe müssen nicht zwangsläufig wahr sein." Dummerweise wissen noch nicht einmal die Abgeordneten des Untersuchungsausschusses, was stimmt und was nicht. Denn seit Wochen warten sie darauf, von der Bundesregierung endlich die Liste mit mehreren tausend Selektoren zu erhalten.
Die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD haben dem Kanzleramt nun eine Frist bis zum 18. Juni gesetzt. Der Zustand sei "unerträglich", sagt SPD-Obmann Christian Flisek. Er lässt jedoch offen, welche Folgen es haben könnte, wenn die Regierung weiter blockiert. Die oppositionellen Grünen und Linken wirken da schon entschlossener. Sie schließen eine Klage nicht aus. Auch in einem anderen Punkt gibt es Dissens im Untersuchungsausschuss. Union und Sozialdemokraten hätten kein Problem damit, wenn ein Sonderermittler der Bundesregierung anstelle der Abgeordneten Einblick in die Selektoren-Liste nimmt. Die Opposition pocht hingegen auf einen Ermittlungsbeauftragten ohne Mitspracherecht der Regierung. Sonst wäre das ein "Merkel-Puffer", spottet Grünen-Obmann Konstantin von Notz.
Misstrauen im NSA-Untersuchungsausschuss
Das Misstrauen in der NSA/BND-Affäre hat also mehrere Ebenen: Es besteht zwischen Regierung und Parlament, aber auch innerhalb des Untersuchungsausschusses. Der Aufklärung kann eine solche Gemengelage nur abträglich sein. Auch deshalb hat es ein Zeuge wie der Vize-Präsident des BND trotz aller Bedrängnis relativ leicht. Akten bleiben unter Verschluss, Medien-Berichte basieren auf ungenannten Quellen und die Abgeordneten streiten über den vermeintlichen Königsweg zur größtmöglichen Transparenz in den Geheimdiensten. So lange es weitergeht, kann ein Guido Müller Sätze wie diesen sagen: "Der BND betreibt keine Wirtschaftsspionage." Er könnte sogar recht haben. Sicher sein darf sich allerdings niemand.