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"EU soll deutlich Stellung beziehen"

Rodion Ebbighausen22. Juni 2014

Der Streit geht in die nächste Runde: China hat erneut Ölplattformen in das umstrittene Südchinesische Meer geschickt. Peking schaffe ungestört Fakten - mit globalen Folgen, sagt die Vietnamesin Ton Nu Thi Ninh.

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Diplomatin Ton Nu Thi Ninh (Foto: DW)
Bild: DW/R. Ebbighausen

Deutsche Welle: Sollte sich die EU stärker für eine Lösung der Territorialkonflikte im südchinesischen Meer engagieren?

In der heutigen multipolaren Welt sollten die Hauptmächte, und dazu zählt die EU, ihr Interesse auch auf andere Regionen als die eigene richten und sich dort für Frieden und Sicherheit engagieren. Die USA, die sich schon immer als eine pazifische Macht verstanden haben, haben sich relativ deutlich zu den provozierenden Aktionen Chinas in Vietnams exklusiver Wirtschaftszone geäußert. Die EU, mit der wir sehr gute Beziehungen unterhalten, hat sich nicht so deutlich und vernehmbar geäußert. Dabei ist es nicht so, als würde die EU die Situation nicht verstehen. Es gibt zwei Gründe für die Haltung der EU.

Zum einen hat die EU eine zu enge Perspektive auf das Problem, so, als ob es sich nur um eine Angelegenheit zwischen China und Vietnam handelte. In Wirklichkeit hat die Frage regionale und langfristig globale Bedeutung. Konkret: China hätte seine Ölplattform an irgendeiner anderen Stelle innerhalb der sogenannten "Nine-dash-line", also der äußeren Grenze seiner Souveränitätsansprüche im Südchinesischen Meer, verankern können. China hat sich aber entschieden, dies zuerst auf vietnamesischem Gebiet zu tun.

Wir haben im Vietnamesischen einen Ausdruck: "Ist erst mal der Kopf durch, kommt auch der Rest hinterher." Mit anderen Worten: Kommt China mit seinem Auftreten gegenüber Vietnam davon, ist das eine Botschaft an die anderen Länder der Region. Unter anderem die, dass die Mächte von außerhalb keinen Einfluss ausüben konnten. China schafft also nach seinem eigenen Ermessen Fakten, um die von vielen Seiten bestrittenen Souveränitätsansprüche über 80 Prozent des Südchinesischen Meeres zu untermauern.

Zum anderen konzentriert sich die EU in der Region auf wirtschaftliche und kulturpolitische Themen, während Friedens- und Sicherheitspolitik als zweitrangig behandelt werden. Die EU sollte nach unserer Meinung ihr Profil in dieser Hinsicht schärfen, um dazu beizutragen, eine multipolare Weltordnung durchzusetzen. Wir müssen Mittel und Wege finden, um China davon zu überzeugen, dass es sich nur dann zu einer anerkannten und respektierten Großmacht entwickeln kann, wenn es sich an das Völkerrecht hält und alle Länder, große und kleine, mit Respekt behandelt.

Schaden an einem chineischen Schiff nach dem Zusammenstoß mit einem vietnamesischen am 03.05.2014 (Foto: REUTERS/Ministry of Foreign Affairs/Handout via Reuters)
Zusammenstöße von chinesischen und vietnamesischen Schiffen endeten zuletzt weniger glimpflichBild: Reuters/Ministry of Foreign Affairs

China versucht anstelle einer solchen Ordnung seine eigene Ordnung in der Region, eine "Pax Sinica", zu etablieren. China lässt die Muskeln spielen, damit alle Länder der Region nach seiner Pfeife tanzen. Außerdem maßt sich China einseitig das Recht an, in der Region über Fragen der internationalen Schifffahrt zu bestimmen. Deshalb ist Chinas Auftreten nicht nur für Vietnam und die Länder der Region Grund zu Besorgnis, sondern auch darüber hinaus. Ich hoffe, dass sich die EU näher mit der Angelegenheit befasst.

Welche Art von Unterstützung erwartet Vietnam von der EU?

Die EU sollte zumindest deutlich Stellung beziehen und die Dinge beim Namen nennen: Nämlich dass es sich bei Chinas Vorgehen um einseitige Provokationen handelt, die dem Frieden und der Sicherheit in der Region zuwiderlaufen sowie die internationale Schifffahrt in einer Region beeinträchtigen, die von strategischer Bedeutung für den Welthandel ist.

Einen solchen Standpunkt könnten die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton oder einzelne Außenminister der EU-Staaten auf verschiedenen Foren äußern, beispielsweise auf dem ASEAN-Regionalforum, im ASEAN-plus-eins-Format, auf dem Ostasien-Gipfel oder auf Veranstaltungen wie der jüngsten Vertragsstaaten-Konferenz zum UN-Seerechtsübereinkommen.

Sollten alle an dem Konflikt beteiligten Länder, insbesondere China, ein stärkeres Engagement der EU begrüßen?

China wird davon nicht begeistert sein. Fu Ying, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Nationalen Volkskongress, hat die USA bereits beim Shangri-La-Dialog wissen lassen, dass dieser Streit zwischen China und Vietnam nichts mit den USA zu tun habe. Wenn wir uns dieser Auffassung anschließen, gehen wir den Chinesen in die Falle. Das ist genau die Botschaft, die China an die großen Mächte aussenden will: Dass diese Dinge sie nichts angehen. Dem sollten die großen Mächte entgegenhalten: "In der multipolaren Welt von heute ist es mehr denn je unsere Sache, auf die Prinzipien des Völkerrechts und des gegenseitigen Respekts in den internationalen Beziehungen zu achten."

Ich will eins deutlich sagen: Kein Grad an Verschleierung und Verleumdung seitens Chinas kann die Wahrheit verdecken. Und die Wahrheit ist: China unternimmt einseitige Schritte, die offen das Völkerrecht verletzen. Meine Meinung ist, dass die restliche Welt hier nicht einfach die Rolle des Zuschauers spielen darf. China stellt sich derzeit die Frage: "Kann ich weiter meinen Willen im Südchinesischen Meer durchsetzen? Wenn die großen Mächte sich nicht darum kümmern und wegschauen, dann machen wir das." Die großen Mächte haben also meiner Meinung nach im Interesse der Weltordnung die moralische und politische Pflicht, das Richtige zu tun.

Ton Nu Thi Ninh ist einer der angesehensten außenpolitischen Expertinnen Vietnams. Sie war unter anderem Botschafterin Vietnams bei der EU.

Das Gespräch führte Rodion Ebbighausen.