Nigeria hofft auf Freiheit für Schülerinnen
18. Oktober 2014Ein halbes Jahr ist es her, dass Nigerias islamistische Boko-Haram-Miliz mehr als 200 Schülerinnen aus der Kleinstadt Chibok im äußersten Nordosten des Landes entführte. Lange schien es so, als würde nichts passieren. Nun haben Äußerungen der Regierung Hoffnungen auf eine Freilassung der Mädchen geweckt. Regierungssprecher Mike Omeri bestätigte am Freitag (17.10.2014) im Gespräch mit der DW Informationen, dass Regierung und Rebellen bei Gesprächen im Nachbarland Tschad einen Waffenstillstand vereinbart hätten. "Nigerias Präsident Goodluck Jonathan und der tschadische Präsident Idriss Déby haben mit Danladi Ahmadu, einem Sprecher von Boko Haram, verhandelt", so Omeri. "Boko Haram hat versprochen, das Morden einzustellen und die Regierung will es ihnen gleichtun."
Die Einigung sei "ein bedeutender Schritt in Richtung Frieden" in den umkämpften Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa im Nordosten Nigerias und im ganzen Land, sagte Omeri im Haussa-Programm der DW und machte Hoffnung: "Die Chibok-Mädchen werden nach Hause zu ihren Müttern, ihren Familien und Freunden zurückkehren."
Auch ein enger Vertrauter des Präsidenten bestätigte den Waffenstillstand gegenüber der Deutschen Welle. Dieser sei nicht an Bedingungen geknüpft, sagte Hassan Tukur auf Nachfrage der DW. Nun gelte es, zu überwachen, ob diese Waffenruhe halten werde. "Ich bin vorsichtig optimistisch, dass wir diesmal einigen Erfolg haben werden", sagte Tukur. Er erinnerte daran, dass die Miliz vergangene Woche 27 im Kamerun entführte Geiseln wie versprochen freigelassen hatte. Nachdem Verhandlungen mit der Miliz zuvor immer ergebnislos verlaufen seien, habe Boko Haram damit guten Willen gezeigt. Er hoffe, dass damit das Ende der Krise eingeläutet sei. Was das Schicksal der Schülerinnen angeht, blieb Tukur indes zurückhaltend. Die Miliz habe ihre Bereitschaft erklärt, die Mädchen freizulassen, sagte er. Einzelheiten müssten aber in einem weiteren Gespräch diskutiert werden.
Angehörige atmen auf
Angehörige der entführten Mädchen nahmen die Nachricht dennoch erleichtert auf. "Wenn sich diese Waffenstillstandsvereinbarung bestätigt, bedeutet das, dass wir fast am Ende der Gewalt in Nordnigeria angekommen sind", sagte Malam Ali der DW am Telefon. Seine beiden Töchter hätten kurz vor dem Schulabschluss gestanden, berichtet er. Auch sie wurden von den Rebellen verschleppt.
Für Ali, der die Kleinstadt Chibok inzwischen verlassen hat, war das ein schwerer Schlag: "Ich hatte sogar mein Feld verkauft, damit sie in die Schule gehen können." Noch ist er in Sorge, dass die Gewalt wieder beginnen könnte. Der Waffenstillstand sei eine Geste, die jeder in der Gegend begrüße, sagte Ali der DW.
Erfolgreiche Twitter-Kampagne?
In den sozialen Netzwerken gibt es ebenfalls eine Welle von Reaktionen. "Es ist unsere Hoffnung, dass die Waffenruhe Frieden in den Norden Nigerias bringen wird und dass die Gewalt und das viele Blutvergießen endlich ein Ende haben", postete Zainab Usman Shitu Mahuta aus der nordnigerianischen Stadt Katsina auf der Facebook-Seite des Haussa-Programms der DW.
Zugleich spielt die Chance auf eine Freilassung der Schülerinnen eine große Rolle in der Diskussion. "Ich bete dafür, dass dieser Waffenstillstand zwischen der Regierung und den Boko-Haram-Terroristen funktioniert", twitterte Emeka Okoye unter dem Hashtag #BringBackOurGirls. "Die Mädchen haben jetzt nun schon sechs Monate gelitten." Unter dem Hashtag hatten nigerianische Aktivisten eine Kampagne gestartet, die bald von internationalen Persönlichkeiten aufgegriffen wurde. Nachdem dort noch am morgen der Duisburger Islamforscher Thorsten Schneiders gefragt hatte, ob sich eigentlich noch irgendjemand für die entführten Mädchen interessiere, freute sich abends der Blogger Mark Lawrence: "Dass die Mädchen freigelassen werden, ist das Verdienst all jener Nigerianer, die die #BringBackOurGirls-Kampagne sechs Monate lang fortgeführt haben". John Elnathan gab indes zu bedenken, dass vor und nach den Chibok-Mädchen hunderte andere in der Region entführt wurden: "Auch die zählen!"
Angst vor Luftnummer
Viele äußerten jedoch auch Zurückhaltung. Joe Brock, stellvertretender Leiter des Büros der Nachrichtenagentur Reuters im südlichen Afrika, teilte per Twitter mit, der Waffenstillstand ziele wohl eher auf einen Geiselaustausch und die Freilassung der Schülerinnen aus Chibok und nicht auf eine wirkliche Entwaffnung der Rebellen. Viele Nigerianer zeigten sich irritiert, weil die Ankündigung der Regierung genau in den Auftakt des Präsidentschaftswahlkampfs fällt. Präsident Goodluck Jonathan wird voraussichtlich erneut kandidieren.
Im Nordosten, der besonders unter dem Boko-Haram-Terror leidet, hat der Präsident aber viele Gegner. Manche fürchten eine Luftnummer. "Ich hoffe, dass diese böse Regierung die Wahrheit erzählt und nicht versucht, uns zu täuschen", kommentierte etwa Ousman Adamu Usman aus dem nordostnigerianischen Bundesstaat Taraba auf der DW-Facebook-Seite. Auch Mudassir Ahmad aus Shagari äußerte dort seine Sorge, die Politiker wollten die Erfolgsmeldung als Wahlkampfpropaganda nutzen.
Offene Kritik an Jonathans Regierung äußerten Nigerianer auch auf der Webseite der nigerianischen Tageszeitung Premium Times - einer der ersten Zeitungen, die die Nachricht über den Waffenstillstand und eine bevorstehende Freilassung in Umlauf gebracht hatten. Ein Nutzer kritisierte, dass der Präsident in der Vergangenheit stets Verhandlungen verweigert habe. "Wenn Goodluck Jonathan das früher getan hätte, was er jetzt tut, hätten 11.000 Menschenleben gerettet werden können." Ein anderer kritisierte, warum Jonathan nicht die Geldgeber von Boko Haram festgenommen habe, und warnte: "Wenn dieser Friedensvertrag scheitert, wird es noch schlimmer sein als zuvor!"