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Eine nigerianische Stadt in Angst und Trauer

Philipp Sandner, Abdul-Raheem Hassan16. Oktober 2014

Sechs Monate sind seit der Entführung von mehr als 200 Schülerinnen vergangen. Ihre Familien fühlen sich hilflos. Von der Regierung alleingelassen, haben sie kaum Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen mit ihren Töchtern.

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Mutter des Chibok-Mädchens
Adda Ali, Mutter von zwei entführten MädchenBild: DW/Abdul-raheem Hassan

Chibok ist eine kleine Stadt im Nordosten Nigerias, weitab von den großen Straßen des Bundesstaats Borno. Vor einem halben Jahr wurde die Stadt buchstäblich über Nacht berühmt, als Islamisten der radikalen Boko-Haram-Miliz über 200 Schülerinnen aus einem Internat entführten. In Chibok hat sich das Leben seither völlig verändert. Die einst lebhafte kleine Stadt wirkt wie ausgestorben. Viele Einwohner sind weggezogen, weil sie sich nicht mehr sicher fühlten. Die übrigen verlassen ihre Häuser nur noch für die dringendsten Erledigungen. Die Bauern bestellen aus Angst ihre Felder nicht mehr. Boko Haram, heißt es, kontrolliere die umliegenden Wälder.

Ungewissheit und Angst um ihre Töchter bestimmt das tägliche Leben der Familien der entführten Mädchen. "Das Leben meiner ganzen Familie hat sich verändert, seit die Rebellen meine zwei Töchter entführt haben", sagt Adda Ali. "Wenn sie zu Hause waren, haben sie mir viel Arbeit im Haushalt abgenommen." Nun müsse sie alles alleine hinbekommen - dabei sei sie krank.

Krank vor Schmerz

Nicht zu wissen, wo ihre Töchter sind - das ist eine große Last für die Eltern in Chibok. Besonders die Mütter litten psychisch und physisch unter der Ungewissheit, berichtet Addas Mann Ali Mai Yanga. Bluthochdruck und Herzrasen seien bei seiner Frau die Folge gewesen.

Die Angehörigen der Opfer fühlen sich im Stich gelassen. Über die tägliche Bedrohung durch Boko Haram möchten sie lieber nicht reden. Zu tief sitzt die Angst vor den Terroristen seit jenem 14. März, als Kämpfer der Miliz in die weiterführende Schule im Ort eindrangen und die Mädchen mit mehreren Lastwagen entführten. Auf Widerstand waren sie nicht getroffen. Lehrer und Sicherheitsleute hatten bereits vorher die Flucht ergriffen.

Vater des Chibok-Mädchens
Ali Mai Yanga, Vater von zwei entführten MädchenBild: DW/Abdul-raheem Hassan

Aber dass sie sich mehr Hilfe von der Regierung erhofft hatten, davon erzählen sie. Und davon, dass sie nicht verstehen können, warum es ein halbes Jahr nach der Entführung immer noch keine Neuigkeiten von ihren Töchtern gibt. Dabei deuteten auch Regierungsbedienstete immer wieder an, über den Aufenthalt der verschleppten Mädchen informiert zu sein. Die Regierung in Abuja solle sich stärker bemühen, die Schülerinnen aus den Händen der Rebellen zu befreien, fordern die Familien.

Quälende Ungewissheit

"Dass meine Tochter fehlt, macht mich sehr, sehr traurig", sagt Yamti Ciroma. "Es gibt überhaupt keine Anzeichen von Suchaktionen hier in der Gegend." Für den Vater der entführten Mariamu ist die Ungewissheit unerträglich geworden. Er möchte endlich Klarheit. "Vielleicht hat sie diese Welt ja schon verlassen. Das würde ich akzeptieren", so der Vater im Gespräch mit der DW. "Aber es gibt keine Hinweise darauf, dass sie tot ist. Täglich fragen wir uns: Lebt sie noch? Oder ist sie schon tot?"

Vater des Chibok-Mädchens
Yamta Ciroma bangt um seine TochterBild: DW/Abdul-raheem Hassan

Nur einmal - einige Monate nach der Entführung - gab es eine Geste von der Regierung des Bundesstaats Borno. Die Familien der verschleppten Kinder sollten Geld bekommen, hieß es. Jeweils 200.000 Naira - etwas mehr als 800 Euro. Die Eltern, bei denen das Geld wirklich ankam, berichten aber von kleineren Summen. Gerade einmal 50.000 Naira habe er bekommen, sagt ein Vater - verglichen mit dem Verlust sei das ein Tropfen auf den heißen Stein. Andere bekamen gar nichts und sind verärgert. Doch es gibt auch Eltern, die sich weigerten, Zahlungen von der Provinzregierung anzunehmen. Die wolle sich doch nur freikaufen, sagen sie.