Nichts geht mehr in Guinea-Bissau
6. Juni 2017"Der Ball liegt wieder in unserem Feld: Nur wir selbst können zur Lösung unserer eigenen Probleme beitragen." Mit diesen Worten trat Guinea-Bissaus Staatschef José Mário Vaz - genannt Jomav - auf dem Flughafen von Bissau vor die Presse. Die anhaltende Regierungskrise im 1,8 Millionen-Einwohner-Staat war in der Vergangenheit wiederholt Thema bei den Gipfeln der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) - so auch am vergangenen Sonntag (04.06.) in der liberianischen Hauptstadt Monrovia.
Der Präsident Guinea-Bissaus müsse eine Regierung des Konsenses einsetzen, also eine Regierung, die auch von einer Mehrheit des Parlaments akzeptiert werde, hieß es immer wieder seitens der ECOWAS. Doch Jomav ließ Ende Mai eine entsprechende Frist verstreichen.
Scheinbar ohne Folgen. Denn in Monrovia hat der Präsident wieder einmal eine Fristverlängerung bekommen: Drei weitere Monate wurden ihm gegeben, damit er endlich den politischen Konflikt beilegt, der sein Land seit zwei Jahren lähmt.
Innige Feindschaft zwischen Staatspräsident und Regierungschef
Im Sommer 2015 hatte Jomav seinen Intimfeind Domingos Simões Pereira als Regierungschef abgesetzt. Kurz zuvor hatte Pereira die absolute Mehrheit im Parlament verloren, nachdem ihm 15 Abgeordnete seiner eigenen Partei PAIGC die Gefolgschaft verweigert hatten. Eine Intrige, die von langer Hand vorbereitet worden sei, behaupten Pereiras Unterstützer.
Als der Präsident einen Angehörigen aus den Reihen der größten Oppositionspartei PRS zum Regierungschef ernannte, eskalierte der Konflikt: Parlamentspräsident Cipriano Kassamá, ebenfalls PAIGC-Mitglied und Unterstützer Pereiras, ließ die 15 abtrünnigen PAIGC-Abgeordneten aus dem Parlament werfen und verweigert jede Zusammenarbeit mit dem Präsidenten und der von ihm eingesetzten neuen Regierung. Seitdem wird weder über Gesetzesvorlagen noch über Haushaltsvorlagen abgestimmt. Nichts geht mehr im Parlament. Das einzige, was noch fließt, sind die Abgeordnetendiäten.
Krise in Guinea-Bissau: ein PAIGC-internes Problem?
Die Konfliktlinie verläuft mitten durch die historische Unabhängigkeitsbewegung PAIGC - die "Afrikanischen Partei für die Unabhängigkeit von Guinea und der Kapverden" - die 1974 das portugiesische Kolonialregime besiegte.
"Es sind alte Rivalitäten, Flügelkämpfe und vor allem persönliche Eitelkeiten der PAIGC-Führer, die das Problem verstärken", erklärt Assana Sambu, Chefredakteur der Zeitung "O Democrata", eine der wenigen unabhängigen Presseorgane des Landes.
Viele unabhängige Beobachter bedauern, dass sich Teile der Gesellschaft und des Staates in Guinea-Bissau bisher nicht aus der Umklammerung der mächtigen PAIGC befreien konnten. Alte Seilschaften aus den Zeiten des Einparteiensystems, das 1994 abgeschafft wurde, dominieren bis heute alle wichtigen Instanzen des Staates. Und was nicht von der PAIGC kontrolliert werde, werde von den Militärs dominiert, sagt Journalist Sambu. Tatsächlich war Guinea-Bissau in der Vergangenheit Schauplatz verschiedener Militärputsche. Kein Präsident konnte seit der Unabhängigkeit des Landes eine ganze fünfjährige Amtszeit durchhalten.
ECOWAS-Truppen bleiben vorerst
Eine weitere Entscheidung des ECOWAS-Gipfels von Monrovia: Das Mandat der Stabilisierungsmission ECOMIB wurde um weitere drei Monate verlängert. Die etwa 600-Mann starke Truppe von Soldaten aus dem Senegal, Burkina Faso und Nigeria wurde nach einem Militärputsch im Jahr 2012 in das Land entsandt.
"Die Anwesenheit der ECOMIB-Soldaten ist überaus wichtig für Guinea-Bissau", sagt Sambu. "Unser Land erlebte in der Vergangenheit große Unruhen und Staatsstreiche. Seitdem die internationalen Truppen hier sind, scheint sich die Lage entspannt zu haben."
Auch die guineischen Streitkräfte hätten sich verändert, fügt der osttimoresische Friedensnobelpreisträger José Ramos Horta hinzu. Horta fungierte nach dem Militärputsch von 2012 anderthalb Jahre lang als UN-Sondergesandter für Guinea-Bissau. "Die guineischen Streitkräfte haben in diesen Jahren der Krise sehr besonnen und diszipliniert agiert. Sie haben sich nicht in die politischen Auseinandersetzungen eingemischt. Dieses Verhalten sollten sie jetzt beibehalten."
Im Interview mit der DW appelliert Horta an die Weltgemeinschaft: Man dürfe Guinea-Bissau nicht im Stich lassen. Die Zusammenarbeit müsse gerade in der Krise intensiviert werden, denn schließlich sei Guinea-Bissau kein Kriegsgebiet - noch nicht.
Ein Leben ohne Staat
Aber Guinea-Bissau ist zum Inbegriff für politischen Stillstand geworden. Auch die Verwaltung des Landes ist zusammengebrochen. Schulen, Krankenhäuser, Polizei und Justiz Gesundheitssystem funktionieren nur noch ansatzweise.
"Das Volk ist der Krise überdrüssig, die Unzufriedenheit bei der Jugend wächst", mahnt Horta. "Die Schulen sind geschlossen, die Beamten und Angestellten bekommen keine Gehälter. Und wegen des politischen Chaos geben die internationalen Geberländer die versprochenen Hilfsgelder nicht frei. Das alles sorgt für Proteste." In dieser Lage müsse der Präsident mit Intelligenz, Pragmatismus und Bescheidenheit reagieren. Ziel müsse sein, dass das Thema Guinea-Bissau beim nächsten ECOWAS-Gipfel keine Rolle mehr spiele, sagt Horta.