Schulgespräche mit Migranten
30. April 2013In seinem Leben hat Ivo (Name geändert) nicht viele Chancen gehabt. Einen Schulabschluss konnte der 63-jährige Roma nie machen. Umso wichtiger ist ihm, dass seine beiden Enkelkinder in Deutschland erfolgreich sind. "Die Lehrer helfen uns dabei und behandeln uns mit Respekt", sagt Ivo ein wenig erstaunt. Damit hätte der Roma nicht gerechnet, als er vor zwei Jahren nach der Ermordung seines Sohnes mit den Enkelkindern nach Wuppertal flüchtete. Als ein besonderes Zeichen des Respekts wertet Ivo den Dolmetscher, den ihm die Schule regelmäßig für Elterngespräche zur Seite stellt.
"Wir möchten nicht, dass unsere Schüler, die ja meist besser Deutsch sprechen als ihre Eltern oder Großeltern, das Gespräch mit der Lehrerin übersetzen", erklärt Grundschulpädagogin Sarah Eichenauer. "Deshalb engagieren wir interkulturelle Dolmetscher, die den Eltern auch das deutsche Schul- und Sozialsystem erklären können." Die professionellen Übersetzer sind häufiger an der Wuppertaler Grundschule zu Gast, denn rund 70 Prozent der Schüler haben einen Migrationshintergrund.
Missverständnise führen zu Konflikten
Für Ivo etwa ist Kasum Morina zuständig. Der 52-jährige Mazedonier ist selbst Roma und gehört zu den 17 festangestellten Sprach- und Integrationsmittlern des Wuppertaler Dolmetscherdienstes "SpRintpool". Sie haben rund 40 Einsätze pro Woche in nordrhein-westfälischen Schulen, Behörden oder Kliniken und übersetzen in 32 Sprachen. Das deutschlandweit einmalige Projekt der Wuppertaler Diakonie wird mittlerweile auch in anderen deutschen Städten aufgebaut. Doch noch sind Sprach- und Kulturmittler an Schulen die Ausnahme.
Neben sprachlichen Verständigungsproblemen gelten vor allem die unterschiedlichen Auffassungen von Erziehung und Bildung als Konfliktpotenzial. "Rund 70 Prozent dieser Konflikte beruhen auf Missverständnissen, die vermeidbar wären, wenn Schulen anders mit Migranten umgehen würden", meint der Dortmunder Pädagogikprofessor Ahmet Toprak, selbst Sohn türkischer Einwanderer.
Studie fordert andere Willkommenskultur
Eine neue Studie der Vodafone-Stifung gibt ihm recht. Unter dem Titel "Qualitätsmerkmale schulischer Elternarbeit" fordert sie eine andere "Willkommens- und Begegnungskultur" an deutschen Schulen, die auch die unterschiedlichen Bildungsniveaus und Sprachen der Familien berücksichtigt. "Die deutsche Schule muss sich komplett verändern, wenn auch Migrantenkinder erreicht werden sollen", sagt Toprak.
Ein wichtiger Baustein sind für ihn regelmäßige Elterngespräche: "Solche Gespräche dürfen nicht nur dann stattfinden, wenn Mustafa in der Schule durch schlechte Noten oder unsoziales Verhalten auffällt". Toprak bemängelt, dass die deutsche Pädagogik viel zu "defizitorientiert" sei. Erfolge würden als selbstverständlich hingenommen, Versagen dagegen breit thematisiert. "Wenn die Lehrer im Gespräch dann noch hinter ihrem Pult sitzen, kommen sich viele Migranten wie bei der Ausländerbehörde vor und machen innerlich dicht."
Erziehungsziel Gehorsam statt Selbstständigkeit
In Fortbildungen empfiehlt der Pädagogikprofessor den Lehrern, sich unbedingt mehr Zeit für das Gespräch und eine kleine Plauderei zu nehmen, um die Eltern als Partner zu gewinnen. Sie sollten das gemeinsame Interesse am Wohl des Kindes betonen und klar formulieren, welche Unterstützung sie von den Familien erwarten. Denn türkischstämmige Eltern hätten, je nach Bildungsgrad, auch in der dritten Einwanderergeneration oft noch ein anderes Erziehungsverständnis als die deutschen Schulen. "Absoluter Gehorsam spielt eine große Rolle, Kritikfähigkeit und Selbstständigkeit dagegen nicht."
Vielen türkischen Einwanderern sei zudem nicht klar, dass die Schule Kooperation erwarte, ergänzt der Wuppertaler Sprach- und Kulturmittler Servet Ciftehan. "Türkische oder kurdische Eltern geben ihre Kinder in der Schule mit der Erwartung ab, dass der Lehrer sie so formt und erzieht, wie er es möchte."
Ganz anders agieren dagegen Familien aus Sri Lanka, denn im asiatischen Raum spielt Bildung eine große Rolle. Diese Erfahrung hat Kirija Kämpf gemacht, die ebenfalls beim Wuppertaler "SpRintpool" arbeitet. "Die Eltern erwarten von ihren Kindern Bestleistungen", beobachtet die 49-jährige Tamilin. "Doch das wird nicht den Lehrern überlassen, sondern Bildung ist Familiensache." Daher engagierten viele Eltern nachmittags noch Nachhilfelehrer. Wenn Schüler dennoch nicht den Sprung aufs Gymnasium schafften, sei die Enttäuschung riesengroß. "Aber inzwischen wehren sich auch immer mehr Kinder gegen diesen starken Leistungsdruck, werden selbstbewusster und freier", sagt Kirija Kämpf.
Bildungserfolg wird immer wichtiger
Heute spiele die Schulbildung in allen Migrantenfamilien eine viel größere Rolle, meint Schulsozialarbeiterin Christiane Leithaus. "Die Zeiten, in denen vor allem wissbegierige Mädchen keinerlei Unterstützung in ihrem Elternhaus hatten, sind vorbei", beobachtet sie. An der Wuppertaler Grundschule seien die meisten Eltern daran interessiert, dass ihre Kinder schulisch erfolgreich sind. "Sie nehmen daher alle Angebote wahr, von der Hausaufgabenbetreuung über Erziehungsberatung und Elterntrainings bis hin zur Teilnahme an unseren Schulfesten."
Auch Großvater Ivo schaut regelmäßig vorbei, um zu sehen, ob seine Enkelkinder Fortschritte machen. "Seit sie zur Schule gehen, sind sie richtig aufgeblüht", freut er sich. Ein schöneres Kompliment hätte er Lehrerin Sarah Eichenauer nicht machen können.