Mehr als nur Dolmetscher
8. September 2011Was Angst bedeutet, weiß Servet Ciftehan sehr gut. Auch was es heißt, vor deutschen Sachbearbeitern zu sitzen und kein Wort zu verstehen. Wenn der kurdische Sprach- und Integrationsmittler Menschen aus seinem Kulturkreis auf Sozialämter, in Kliniken, Beratungsstellen oder Schulen begleitet, kann er ihre Unsicherheit nachfühlen. "Als ich vor 14 Jahren nach Deutschland kam, habe ich auf den Ämtern immer nur Ja gesagt", erzählt der 31-jährige ehemalige Journalist, "weil ich nichts verstand und mich schämte, das zuzugeben." Mit dem Ergebnis, dass Ciftehan nicht nur finanzielle Nachteile hatte. Er fühlte sich auch hilflos und klein.
Anderen Migranten möchte er diese Erfahrung ersparen. Deshalb arbeitet der Kurde seit acht Monaten als sogenannter "Sprach- und Integrationsmittler" bei "SprIntpool", eine Abkürzung für "Sprach- und Integrationspool". Der Dolmetscherdienst wird von der Wuppertaler Diakonie angeboten. 21 Mitarbeiter übersetzen rund 30 verschiedene Sprachen und Dialekte in Wort und Schrift - von Arabisch über Chinesisch und Kurdisch bis hin zu Tamil. Kliniken, Sozialbehören, aber auch Schulen, Kindergärten und Beratungsstellen buchen die Sprach- und Integrationsmittler für Gespräche mit Migranten aus unterschiedlichsten Herkunftsländern.
Kein anerkannter Beruf
"Der Bedarf an professionellen interkulturellen Dolmetschern ist groß", sagt Heike Timmen, Leiterin des "SprIntpool"-Projekts. Die Einsätze der Mitarbeiter gehen daher weit über die Stadtgrenzen Wuppertals hinaus. Fast alle haben ihre Ausbildung bei der Wuppertaler Diakonie gemacht, die seit 2002 vor allem Flüchtlinge und Asylbewerber zu Sprach- und Integrationsmittlern ausgebildet hat. Ein deutschlandweit einmaliges Projekt, das sich nach europäischen Qualitätsstandards richtet. Denn in anderen EU-Staaten gibt es den Beruf des Sprach- und Integrationsmittlers schon seit mindestens zehn Jahren.
"In Deutschland kämpfen wir noch immer für die staatliche Anerkennung dieses Berufs", erklärt Heike Timmen. Mittlerweile gebe es auch in anderen deutschen Städten Sprach- und Integrationsmittler. Doch weder die Finanzierung noch die Ausbildung erfolgten nach einheitlichen Standards, kritisiert sie. Im Gegensatz etwa zu den Niederlanden oder der Schweiz. Dort übernimmt der Staat einen Teil der Kosten und überregionale Zentren koordinieren die Einsätze der Sprach- und Integrationsmittler.
Kulturelle Missverständnisse ausräumen
Das wünscht sich Timmen auch für Deutschland. In der Bundesrepublik greifen viele Kliniken und Behörden einfach auf Verwandte der Migranten oder Putzkräfte aus dem gleichen Herkunftsland zurück, wenn es Verständigungsschwierigkeiten gibt. Auch die Tamilin Kirija Kämpf, die seit 27 Jahren in der Bundesrepublik lebt und mit einem Deutschen verheiratet ist, hat schon oft für ihre Landsleute aus Sri Lanka gedolmetscht.
Seit sie eine Ausbildung zur Sprach- und Integrationsmittlerin gemacht hat, übersetzt sie anders. "Früher habe ich beim Dolmetschen gemogelt, um meine Landsleute in einem besseren Licht erscheinen zu lassen", gibt sie zu. Als Sprach- und Integrationsmittlerin bleibt Kirija Kämpf unparteilich - nicht nur sprachlich. Sie hilft beiden Gesprächspartnern, Verhaltens- und Denkweisen besser zu verstehen, indem sie über kulturelle Unterschiede aufklärt.
Respekt, Offenheit und Verständnis
Etwa wenn Tamilen ihre Wohnung oder ihren Job nicht schriftlich kündigen und sich die Wohnungsbehörde darüber ärgert. "Sie tun dies meist aus Unwissenheit, weil diese Formalitäten in Sri Lanka nicht nötig sind", sagt Kirija Kämpf. Im Frauenhaus sitze sie oft Sozialarbeiterinnen gegenüber, die nicht verstünden, warum die Tamilinnen über ihre Eheprobleme schweigen. "Dann muss ich erklären, dass dies in Sri Lanka absolute Privatsache ist", sagt Kirija Kämpf. "Den Tamilinnen wiederum mache ich klar, dass die Sozialarbeiterin diese Information dokumentieren muss." Und dann gibt es noch die unterschiedliche Körpersprache. Ein Kopfschütteln signalisiert in ihrem Kulturkreis Zustimmung.
Beim Dolmetschen geht es nie allein um die Sprache", betont Servet Ciftehan. "Es geht immer auch um die Kultur." Deshalb müssten sich Sprach- und Integrationsmittler im deutschen Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen auskennen und wissen, wie Ärzte, Sachbearbeiter und Lehrer "ticken". Es gehe darum, beide Seiten zu respektieren und ihre Sichtweise zu verstehen, meint Ciftehan. "Wir tragen dazu bei, dass ein Gespräch offen, engagiert und freundlich verläuft", betont er. "Dann ist ein 'Ja' auch ehrlich gemeint."