Subotic: "Fußball zeigt sein wahres Gesicht"
9. April 2020Die Coronavirus-Krise hat das öffentliche Leben nahezu komplett lahm gelegt. Auch in der Fußball-Bundesliga ruht seit Mitte März der Ball. Laut DFL soll nun versucht werden, den Spielbetrieb ab Mai wieder aufzunehmen. Die Vereine, darunter auch Union Berlin, sind unter Berücksichtigung strenger Auflagen wieder ins Training eingestiegen. So auch Neven Subotic, der im Telefon-Interview mit der DW über die Auswirkungen der Pandemie auf den Fußball und seine Stiftungsarbeit sowie über fehlende Solidarität spricht.
DW: Herr Subotic, wie erleben Sie die aktuelle Situation in Berlin?
Neven Subotic: Trotz der schweren gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Krise, die wir alle durchmachen, befinde ich mich in einer Luxussituation. Ich gehöre nicht zur Risikogruppe, ich muss mir keine Gedanken um wirtschaftliche Einbußen machen und ich habe zum Glück einen vollen Kühlschrank. Es ist schon ein Luxus, diese Dinge zu haben, weil es für Millionen Menschen in Deutschland nicht der Fall ist.
Wie haben Sie die letzten Wochen verbracht?
Ich habe die Tage meist mit meinem Fitnessprogramm gestartet. Das war und ist mir auch sehr wichtig, denn ohne Bewegung würde mir etwas fehlen. Danach habe ich mich um meine Stiftung gekümmert. Wir mussten uns an die Situation anpassen und Pläne für Mitarbeiter entwickeln, aber auch für unsere gesamte Stiftungsfamilie und Unterstützer. Zudem stehen wir natürlich in engem Austausch mit unseren Partnern in Äthiopien. Dementsprechend war die nicht-sportliche Arbeit Hauptinhalt meines Tages.
Kommen wir zum Fußball. Auch Union Berlin hat den Trainingsbetrieb am Montag wieder aufgenommen. Wie sieht das momentan aus?
Es gibt staatliche Richtlinien, die erfüllt werden müssen. Das bedeutet zum Beispiel, dass nur eine begrenzte Anzahl von Personen auf dem Trainingsgelände sein darf. Wir werden das "Social Distancing" natürlich auch auf dem Trainingsplatz umsetzen und haben zudem noch hygienische Maßnahmen, an die wir uns halten müssen.
Und es wird keine Zuschauer im Stadion geben, stört Sie das?
Ich bin grundsätzlich sehr motiviert und will auch meine Spiele gewinnen. Deswegen spiele ich Fußball. Aber ich glaube, wir werden sehr schnell sehen, dass Fußball überwiegend von den Fans lebt. Was den Fußball besonders macht, ist die Fankultur und die wird fehlen und das wird auch Einfluss auf das Spiel haben.
In Belgien soll die Saison abgebrochen werden, in Deutschland sollen der Spielbetrieb wieder aufgenommen werden. Ist das die richtige Entscheidung?
Ich sehe es momentan noch etwas skeptisch. Ich glaube, dass wir uns aktuell noch kein Urteil darüber erlauben können, ob es richtig oder falsch ist. Die Voraussetzung dafür, dass es wieder losgeht ist, dass die Koordination zwischen den Behörden und den Fußballvereinen funktioniert.
Ist Geld momentan wichtiger als Gesundheit?
Gesundheit steht für mich an erster Stelle. Die Entscheidung über den Zeitpunkt, wann wieder gespielt werden soll, muss von den entsprechenden Behörden bestimmt werden.
Der Fußball hat sich in den vergangenen Jahren immer rasanter entwickelt. Ablösesummen und Spielergehälter sind in die Höhe geschnellt. Welche Auswirkungen wird diese Krise auf die "Glamourwelt" Profifußball haben?
Meine Furcht ist, dass mögliche Veränderungen nur temporär sein werden. Wir werden in diesem Transferfenster im Sommer erstmal eine temporäre Veränderung haben, ich würde fast schon von einer Korrektur sprechen, weil der Markt in meinen Augen außer Kontrolle geraten ist. Auf der anderen Seite ist aber so viel Geld in dem Geschäft, dass es für sehr viele Menschen auch sehr lukrativ ist. Meine Sorge ist, dass wir in zwei, drei Jahren wieder in der Situation sind, wo Spieler für hunderte Millionen verkauft werden, weil es eben ein so lukratives Geschäft ist.
Das klingt nicht sehr hoffnungsvoll.
Ja, ich bin dahingehend Romantiker. Es ist heute auch schon so, dass Vereine Unternehmen sind und in erster Linie finanzielle Ziele verfolgen. Das ist auch ihr gutes Recht, denn das ganze System dreht sich darum. Ich bin nur kein Fan davon. Wir werden sehen was passiert, wenn die ersten Vereine in die Insolvenz gehen. Wer kommt dann, um ihnen zu helfen, wer zeigt sich solidarisch mit anderen Klubs?
Wie meinen Sie das?
Ich glaube, dass Solidarität momentan bedeutet: Ich bin solidarisch mit jemandem, wenn ich diesen retten muss. Es darf mir dadurch aber nicht wesentlich schlechter gehen. Die Frage ist aber doch, ob wir auch einen Schritt weitergehen würden. Vielleicht geht es mir etwas weniger gut, wenn ich jemandem Geld gebe, damit geht es demjenigen aber dann etwas weniger schlecht. Im Moment ist davon aber wenig zu merken. Wir werden also in Zukunft sehen, was Vereine oder besser Unternehmen bereit sind zu tun, um anderen Unternehmen zu helfen.
Kommen wir zu Ihrer Stiftung, die Sie vor acht Jahren gegründet haben. Wie geht es Ihren Partnern und Mitarbeitern und wie sieht die Stiftungsarbeit im Moment aus?
Wir stehen natürlich mit unseren Mitarbeitern und Partnern in Kontakt und haben uns auch besprochen, was die aktuelle Situation betrifft. Momentan gibt es in Äthiopien ungefähr 30 offizielle Fälle, die bestätigt sind. Das liegt unter anderem daran, dass Äthiopien später mit den Tests begonnen hat. Auf dem Weltmarkt haben erstmal die großen Wirtschaftsmächte das größtmögliche Potential, Tests zu beschaffen. Ich glaube, dass die Zusammenarbeit der einzelnen Nationen in den nächsten Jahren und vor allem Monaten entscheidend sein wird für die Zukunft aller.
Sie reisen normalerweise regelmäßig nach Äthiopien und arbeiten vor Ort mit ihren lokalen Partner-Organisationen und Menschen in den ländlichen Gebieten zusammen. Das geht momentan nicht, fühlen Sie sich dahingehend ein wenig hilflos?
Es stimmt nicht, dass ich nichts machen kann. Wir haben eine Menge zu tun, um vor allem auch hierzulande für die Unterstützung zu sorgen, dass die Projekte in Äthiopien weiter umgesetzt werden können. Die Projekte dienen unmittelbar der Verbesserung der Hygiene und dem dazugehörigem Wissen. Hinsichtlich der Pandemie hat die Wichtigkeit unserer Arbeit also eher zugenommen.
Generell versuchen wir, mit unserer Stiftungsarbeit gerade den Blick auf die Zukunft zu richten. Das heißt, den Blick nicht nur auf mich, meine Familie, mein Dorf und vielleicht meine Stadt zu limitieren, sondern die Arbeit auf globale Lösungen auszurichten. Wir merken natürlich gerade jetzt in der Krise, dass es wichtig ist, dass nicht jedes Land nur für sich kämpft, sondern wir uns gegenseitig helfen müssen.
Es ist sicherlich auch die Verantwortung der wirtschaftlich starken Länder, die auch Herausforderungen bewältigen müssen, für andere Länder da zu sein. Damit wir am Ende, was die Solidarität betrifft, als internationale Bevölkerung gestärkt aus dieser Krise herausgehen.
Sie hoffen, dass die Welt in dieser Zeit enger zusammenrückt?
Genau. Die Welt ist kleiner geworden als noch vor hundert Jahren. Dementsprechend gilt es nun die Lebensumstände überall auf der Erde zu verbessern und im Kollektiv zu handeln. Als Weltbevölkerung lernen wir immer dazu. Wir sind mittlerweile im Jahr 2020 und müssen versuchen, die Lebensumstände aller Menschen auf der Welt zu verbessern. Der Virus ist ein unfertiges Beispiel, das uns dahingehend herausfordert, globale Lösungssysteme zu entwickeln, da es offenbar weder fair und möglich ist, hier nach dem Glücksprinzip zu agieren.
Wenn wir in einem Jahr das Resultat haben, dass jeder nur für sich selbst alles gemacht hat, dann wird das die Entwicklungszusammenarbeit in den nächsten Jahren erheblich beschädigen.
Wird diese Krise auch dazu führen, dass wir unsere Werte neu überdenken?
Ja, das denke ich schon. Es ist keine Schönmalerei der Situation mehr möglich. Jetzt geht es darum: Bin ich bereit Dinge zu tun, die auch mal weh tun, um anderen zu helfen? Wir müssen definieren, ab wann Solidarität im aktuellen Kontext beginnt und wo es endet.
Was ist denn möglich?
Bezogen auf den Sport bedeutet das: Wenn jeder Spieler für sich selbst sagt, ich mache keinen Gehaltsverzicht, ich will das Maximum, dann ist das nicht solidarisch. Wenn ein Spieler aber zu seinem Verein geht und anbietet, auf Teile seines Gehaltes zu verzichten, dann ist das solidarisch. Und dann ist noch die Frage, was der Verein macht. Hört die Solidarität an dieser Stelle auf oder unterstützen Klubs auch Vereine aus anderen Ligen? Und was ist mit dem Frauenfußball, der in den letzten Jahren unheimlich an Zuspruch gewonnen hat? Handeln die Unternehmen und Ligen da auch solidarisch?
Es geht in meinen Augen momentan oft nur um das eigene Überleben und das ist sehr schade. Da zeigt der deutsche Fußball sein wahres Gesicht und wir werden sehen, mit welchem Gesicht wir davon kommen.
Neven Subotic schnürt seit einem Jahr seine Fußballschuhe für den Bundesliga-Klub Union Berlin. Zuvor war er unter anderem in Frankreich bei St. Etienne und acht Jahre bei Borussia Dortmund unter Vertrag. Für den BVB machte Subotic fast 200 Bundesligaspiele, wurde zweimal Deutscher Meister und holte den DFB-Pokal. Neben seiner Fußball-Karriere kümmert sich der 31-Jährige um seine 2012 gegründete "Neven-Subotic-Stiftung", mit der er soziale Projekte in Äthiopien unterstützt.