"Ein sehr erfüllendes Gefühl"
4. Juli 2017DW: Herr Subotic, Sie haben ihre Stiftung bereits mit 22 Jahren gegründet. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, in diesem jungen Alter ein solch großes Projekt zu starten?
Neven Subotic: Es ist ja nicht von heute auf morgen passiert, sondern es war ein langer Prozess. Ich habe mich in den sechs, sieben Jahren, bevor ich die Stiftung gegründet habe, an vielen Stellen versucht einzubringen. Der Nachteil daran ist, dass man nie richtig in die Tiefe der Projekte gehen kann. Dafür fehlt schlichtweg die Zeit. Meine Motivation war immer da, mich fokussiert zu engagieren und einen spürbaren Beitrag zum Gemeinwohl beizusteuern. Zu Beginn war es schwer zu begreifen, was eine Stiftung ist oder was sie macht. Es gibt viele verschiedene Arten und Formen, deshalb habe ich es mir gut überlegt, diesen Schritt zu gehen. Doch mit der Zeit habe ich mich mehr und mehr reingelesen und habe dann auch erst richtig verstanden, welche Möglichkeiten dies bietet. Dann war die Gründung der nächste logische Schritt.
Gab es einen Punkt in Ihrem Leben, der den Ausschlag gegeben hat, diesen Schritt zu gehen und anderen Menschen zu helfen?
Das liegt in erster Linie an der Art und Weise, wie ich erzogen worden bin. Meine Familie hat immer allen Familienmitgliedern und auch den Menschen in der Gemeinde gedient. Aber dann war eben Krieg in Bosnien, und meine Eltern sind nach Deutschland gekommen. Dort haben sie nicht nur einen Job, sondern gleich mehrere Tätigkeiten auf sich genommen - nicht damit wir eben ein wunderbares, tolles Leben und viel Geld haben, sondern um Familien, die vom Krieg in Jugoslawien betroffen waren, mit wichtigen Gütern wie Medizin und Essen beiseite zu stehen. Und das ist etwas, das ich von klein auf von meinen Eltern und auch von Freunden und Bekannten immer mitbekommen habe. Zum Glück habe ich das nicht verloren. Es ist sehr fest in mir verankert, seit ich Kind war.
Als ich dann mit 17 Jahren nach Deutschland kam, um Fußball zu spielen, hatte ich selbst plötzlich diese Möglichkeiten. Mein Beruf hat sehr viel finanzielles Potential, und das wollte ich dann auch nutzen.
Ihre Familie hat Sie geprägt.
Ja, meine Eltern sind damals in Deutschland auf schwierige Umstände gestoßen. Es war schwer, einen Job zu finden, weil zu dieser Zeit viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen waren. Mein Vater ist in seinem kleinen Dorf in der Nähe von Stuttgart zum Beispiel von Haustür zu Haustür gegangen und hat gefragt, ob er den Garten machen oder etwas reparieren könne. Oftmals wurde er abgewiesen, aber wenn man dran bleibt und wirklich überzeugt ist, dann findet man auch eine Lösung. Das ist auch meine Erfahrung. Das ist manchmal enorm viel Arbeit, aber dafür bin ich mir nie zu schade.
Haben Sie neben Ihrer Familie noch andere Vorbilder, von denen Sie sich etwas abschauen?
Da gibt es sicher einige, und es ist schwierig, da eine Person rauszupicken. Es ist wirklich ein gesunder Mix aus vielen Persönlichkeiten. Ich lerne immer wieder weiter dazu. Wenn ich beispielsweise neue Bekanntschaften mache, versuche ich, aus jedem Gespräch irgendwie etwas mitzunehmen. Ich freue mich auch, wenn jemand ganz anderer Meinung ist, denn dann ist das auch eine Bereicherung. Deshalb bin ich auch sehr offen für neue Ideen und Perspektiven.
Das klingt jetzt nach einem ständigen Prozess, der in Ihnen vorgeht. Es arbeitet also ständig in Ihnen.
Die Leute, die mich kennen, wissen: Ich kann nicht am Strand sein, aufs Meer schauen und denken: Du hast es geschafft! Ich hab einfach einen Antrieb, der dauerhaft ist. Auf diesem Weg lernt man immer neue Dinge, und mir macht es Spaß, neue Meilensteine zu erreichen. Es gibt ständig neue Herausforderungen. Zugleich gibt es Prozesse, die sich auch auf unseren Reisen in Äthiopien von Jahr zu Jahr wiederholen. Diese zu optimieren und danach zu schauen, wo können wir noch besser, noch genauer und noch wirkungsvoller arbeiten - das macht einfach Spaß und schweißt auch zusammen. Es ist mein Antrieb, wirklich zu versuchen, in den Jahren, in denen ich mich auf der Welt befinde, stets das Beste nicht nur aus mir rauszuholen, sondern auch aus meinem Team.
Sie sind jetzt zum vierten Mal mit Ihrer Stiftung in Äthiopien unterwegs. Wie haben Sie sich emotional entwickelt? Wie ist die Bindung zu den Menschen vor Ort in der Tigray-Region?
Wenn wir hier landen, dann fühle ich mich, als würde ich nach Hause kommen. Das liegt vor allem an den tollen Menschen, denen ich hier begegne.
Hier fühle ich mich wirklich unter Freunden. Wir wollen alle in einer besseren Welt leben, und wir haben alle das gleiche Ziel: Wir wollen für die nächste Generation, für die jetzigen Kinder, eine Welt schaffen, in der sie ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben führen können. Zudem ist es eine wunderbare Erfahrung, dass man trotz Sprachbarrieren sehr viel gemeinsam hat. Die emotionale Bindung ist dann in Form einer großen Wertschätzung, die daraus entsteht.
Die Dörfer, die Sie besuchen, liegen weit im Norden Äthiopiens in den ländlichen Regionen. Richtige Straßen gibt es kaum, die Wege sind sehr beschwerlich und dauern oft mehrere Stunden. Ist das nicht physisch und mental sehr anstrengend?
(grinst) Ich würde mir Sorgen machen, den ganzen Tag am Strand zu liegen und mich dort dann kaum zu bewegen. Das Gute ist, ich bekomme eine Massage auf den steinigen Fahrten und bin den ganzen Tag unterwegs. Ein bisschen sitzen, einen Kaffee trinken, dann wieder laufen und Menschen sowie Kollegen aus dem jeweiligen Dorf treffen - ich mache mir da keine Sorgen.
Im Gegenteil: Die Erfahrungen, die wir hier machen, sind eine Bereicherung und wenn man dann die Möglichkeit hat, immer mal wieder etwas Neues zu probieren oder halt den ganzen Tag unterwegs ist, dann ist das auch gut für den Körper. Wo ich bin, finde ich es wichtig, auch mal an Grenzen zu stoßen. Ich probiere gerne neue Dinge aus, um auch zu sagen: Okay, das ist meine Grenze, dann weiß ich das, und dann kann ich das relativieren. Oder ich merke: Hey, ich dachte, ich schaff das nicht, aber ich habe es doch geschafft.
Gab es in den vergangenen Jahren mal eine Situation wo Sie gedacht haben: Ich höre auf, das ist zu anstrengend, ich schmeiße hin?
Nein. Ich weiß auch nicht, was da kommen müsste. Wenn etwas einmal nicht erfolgreich läuft - zum Beispiel ein Brunnen nicht gebohrt werden kann -, dann guckt man sich das an, und idealerweise gibt es dann einen Plan B, mit dem man das Problem beheben kann. Dann wird es gelöst und man hat wieder etwas Neues gelernt. Dass es nicht immer leicht ist, ist klar. Aber vieles ist schwer, und das nehme ich auch sehr gerne in Kauf. Aber dass ich da einmal an irgendeine Grenze gekommen bin... Nein. Ich habe noch nicht einmal daran gedacht aufzuhören.
Wenn Sie in ein Dorf kommen, werden Sie in beeindruckender Weise empfangen. Wie empfinden Sie das?
Das ist immer wieder sehr schön und auch beeindruckend. In den wenigen Stunden, die wir vor Ort sind, können wir kleine Freundschaften schließen. Und vor allem ist es uns wichtig zu erfahren, welche Wirkung unsere Projekte erzielen. Wer profitiert von dem Wasserbrunnen? Was hat sich durch die Sanitäranlagen verändert? Wie sind Verantwortungen im Umgang mit den Projekten vor Ort aufgeteilt? Denn die Kinder und auch Lehrer haben eine tragende Rolle bei der Realisierung der Projekte. Es ist schön und auch sehr wichtig, die Menschen näher kennenzulernen, weil man dann auch weiß, dass das Projekt in sicheren und guten Händen ist. Darüber hinaus ist es auch ein emotional und persönlich sehr erfüllendes Gefühl, mit den Kindern vor Ort zu sprechen, zu spielen und eine gute Zeit zu haben. Wir lachen viel zusammen und genießen diese Momente.
Wenn man Sie so reden hört, könnte man vergessen, dass Sie auch Fußballprofi sind. Projekte in Äthiopien und Bundesliga-Fußball - wie funktioniert das?
Das Wunderbare ist, dass Fußball und Stiftung natürlich Hand in Hand arbeiten. Für mich ist beides eine Erfüllung. Eine, die nicht nur Spaß macht und Freude bereitet, sondern auch meinem Leben einen weiteren Sinn gibt. Fußballspielen macht Spaß, und es ist eine Herausforderung. Das ist harte Arbeit, man wird ja nicht einfach so Profi. Man muss immer an seine Limits gehen, besonders auf professionellem Niveau. Da ist jeder Tag eine Herausforderung und ein gemeinsames Streben und Arbeiten mit den Teamkollegen. Und diese gleiche Atmosphäre fühle ich natürlich auch in der Stiftungsarbeit. Und obwohl das Arbeiten so unterschiedlich ist, ergänzen sich beide Teile. Fußball hat vor allem noch einen positiven Effekt, nämlich, dass es auch um Menschen geht. Wenn mein Team auf dem Platz gewinnen würde und da wären keine Fans, dann wäre es zwar schön und wir würden jubeln und hätten auch Spaß, aber diese besondere Dynamik würde fehlen.
Ich war zum Beispiel auch in der Stadt (Dortmund) und habe das DFB-Pokalfinale (Eintracht Frankfurt gegen Borussia Dortmund, 27.05.2017. Anm. d. R.) geschaut. Es war einfach schön, das schon einmal als Spieler mit dem BVB erlebt zu haben und jetzt mit einer halben Millionen Fans in der Innenstadt gemeinsam zu jubeln - das war schon ein sehr besonderes Erlebnis.
Können Sie die fußballfreie Zeit denn überhaupt genießen?
Am liebsten hätte ich immer beides - Stiftung und Fußball. Ich habe keinen Spaß, wenn ich nicht Fußball spiele. Ich hab keinen Spaß, wenn ich nicht die Stiftung mache, deshalb mache ich das eigentlich immer beides, soweit ich kann. Jetzt ist eben eine längere Phase, wo ich mich nur auf die Stiftung fokussiere und meine Läufe mache, um fit zu bleiben. Aber im Juli kommt dann wieder der Fußball, und dann gleich knallhart mit den Vorbereitungen. Aber darauf freue ich mich tatsächlich sehr.
In Deutschland können Sie nicht einfach so durch die Gegend laufen, ohne erkannt zu werden. In Äthiopien verbindet Sie fast nie jemand damit, dass Sie Fußballprofi sind.
Ja, niemand.
Wie fühlt sich das an?
Ich denke, es kommt darauf an, in welchem Zusammenhang man erkannt wird. Wenn es ein freundliches Miteinander ist, wie es im Vereinsleben zum Beispiel der Fall ist, dann ist es etwas absolut Schönes. Es gibt natürlich auch Momente, da genießt man es, eben mal nicht erkannt zu werden. Es ist immer von der Situation abhängig. Hier in Äthiopien ist es auch schön, nicht immer über Fußball zu reden. Hier erfährt man wirklich einen Mehrwert fürs Leben und spricht nicht nur über Spieltaktik, was in einem anderen Kontext dann aber auch wieder interessant ist. In Äthiopien geht es aber um die wirklich wichtigen Dinge, die das Leben universell betreffen. Das ist mir persönlich sehr wichtig. Und die Möglichkeit habe ich vor allem hier, weil ich dann nicht angesehen werde als Fußballer, sondern als irgendjemand, der etwas wissen möchte.
Was wünschen Sie sich persönlich für die Zukunft?
[überlegt lange] Ich würde mir wünschen, dass wir als globale Gesellschaft einfach zusammenwachsen. Das muss nicht im wirtschaftlichen Sinne sein, sondern vor allem im menschlichen Sinne.
Vor allem was die Wertschätzung füreinander anbelangt. Dass wir als globale Gesellschaft auch den Wert von Pluralismus einfach verinnerlichen. Wegkommen von dem, was wir in den letzten tausenden von Jahren gemacht haben. Das hat schon viel zu viele Leben gekostet, tut es weiterhin und wird es leider wahrscheinlich auch in den nächsten Jahren tun. Wenn ich mir also etwas wünschen dürfte, dann mehr Menschlichkeit, die dann einen Nährboden für eine gesunden, gemischten Garten voller verschiedener Menschen bietet.
Die Neven-Subotic-Stiftung sieht ihre Aufgabe darin, Kindern in den ärmsten Regionen der Welt eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Durch WASH-Projekte (Wasser, Sanitär und Hygiene) erhalte die Menschen in der Tigray-Region in Äthiopien einen sicheren Zugang zu sauberem Wasser, Sanitäranlagen und menschenwürdigen Hygienebedingungen.
Als Folge nehmen wieder mehr Kinder am Schulunterricht teil, weil ihre Gesundheit nicht länger durch mangelnde Hygiene gefährdet ist. Stifter und Fußball-Profi Neven Subotic reist einmal Jahr mit seinem Stiftungsteam nach Äthiopien, um zu schauen, wie die Projekte funktionieren, wo Herausforderungen liegen und wo die nächsten Projekte umgesetzt werden können.
Das Interview führten Thomas Klein und Peter Wozny.