Neuer türkischer Haftbefehl für Osman Kavala
18. Februar 2020Nur wenige Stunden nach seinem Freispruch hat die Staatsanwaltschaft in Istanbul die Festnahme des
prominenten Kulturmäzens Osman Kavala wegen einer anderen Ermittlung angeordnet. Es gehe dabei um den Putschversuch vom 15. Juli 2016 gegen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Die Staatsanwaltschaft kündigte in einer Erklärung an, sie werde gegen das Urteil im Gezi-Prozess Berufung einlegen. Es gebe die Anordnung, Kavala im Gefängnis zu belassen.
Das Auswärtige Amt in Berlin kritisierte umgehend die erneut angeordnete Festnahme Kavalas in der Türkei. "Wir sind bestürzt über die erneute Inhaftierung von Osman Kavala unmittelbar nach seinem Freispruch", hieß es am späten Dienstagabend auf dem Twitter-Account des Amtes. "Wir fordern schnellstmögliche Aufklärung unter Einhaltung aller rechtsstaatlichen Standards, zu denen sich die Türkei verpflichtet hat."
Die Entlassung des 63-Jährigen aus dem Hochsicherheitsgefängnis Silivri westlich von Istanbul war eigentlich für Dienstagabend erwartet worden, nachdem die türkischen Richter im Prozess um die Proteste gegen die Bebauung des Gezi-Parks in Istanbul vom Sommer 2013 Kavala und weitere Angeklagte frei gesprochen hatten. Die Richter erklärten, es lägen "keine ausreichenden Beweise" für die Schuld der Angeklagten vor. Für Kavala ordnete das Gericht zudem die Entlassung aus dem Gefängnis an.
Nach der Urteilsverkündung waren zahlreiche Unterstützer der Angeklagten im Gerichtssaal in lauten Jubel ausgebrochen. Kavala war durch seine mehr als zweijährige Haft zu einem Symbol der Repression der Zivilgesellschaft durch die islamisch-konservative Regierung unter Erdogan geworden.
Kavala seit Herbst 2017 in U-Haft
Der Unternehmer und Kulturförderer Kavala, der mit vielen deutschen Institutionen zusammenarbeitet, war im Herbst 2017 inhaftiert worden. Erst nach mehr als einem Jahr legte die Staatsanwaltschaft eine Anklageschrift vor. Kavala wurde darin zusammen mit weiteren Vertretern der türkischen Zivilgesellschaft vorgeworfen, die regierungskritischen Proteste organisiert, finanziert und so den Umsturz der Regierung angestrebt zu haben. Deswegen forderte die Staatsanwaltschaft erst Anfang Februar eine lebenslange Haftstrafe unter erschwerten Bedingungen für Kavala, die Architektin Mücella Yapici und Yigit Aksakoglu - Experte für frühkindliche Entwicklung. Für weitere Angeklagte verlangte sie lange Gefängnisstrafen.
Im Sommer 2013 hatten sich die Proteste gegen die Pläne zur Bebauung des Gezi-Parks über mehrere Monate zu landesweiten Demonstrationen ausgeweitet. Dem damaligen Ministerpräsidenten Erdogan wurde eine zunehmend autoritäre Politik vorgeworfen. Dieser ließ die Kundgebungen und Proteste gewaltsam niederschlagen.
Bundesregierung zeigt sich erleichtert
Bevor der neue Haftbefehl gegen Kavala bekannt geworden war, hatte sich allgemein Erleichterung breit gemacht. Das Gerichtsurteil zur Freilassung Kavalas sei "eine gute Nachricht", teilte das Auswärtige Amt in Berlin mit. "Wir erwarten nun ebenso ein zügiges Ende des Verfahrens gegen die übrigen sieben Angeklagten, die sich im Ausland aufhalten", hieß es weiter. Unter ihnen ist auch der Journalist Can Dündar, der in Deutschland im Exil lebt.
Darüber hinaus verfolge die Bundesregierung weiterhin "aufmerksam" das sogenannte Büyükada-Verfahren gegen den Ehrenvorsitzenden der türkischen Sektion von Amnesty International, Taner Kilic, und weitere als "Istanbul 10" bekannte Menschenrechtler, erklärte das Auswärtige Amt. Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt. Zu den Angeklagten zählt auch der deutsche Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner, der die Türkei im Oktober 2017 verlassen konnte.
Urteil längst überfällig
Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, ehemaliger Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, nannte das Urteil gegenüber der Deutschen Welle längst überfällig. Auch die Freisprüche für die anderen Gezi-Protestler zeigten, dass es von Anfang an um ein politisches Exempel gegangen sei und nicht um rechtsstaatliche Verfahren. Ob sich aus diesem Urteil weitergehende Rückschlüsse ziehen lassen, würden die nächsten Wochen und Monate zeigen. Es wäre zu hoffen, dass dieses Urteil der türkischen Justiz die Richtung weise, so Polenz.
Türkei nach wie vor kein Rechtsstaat
Die Außenpolitikerin der Linken, Sevim Dagdelen, sprach gegenüber der DW von einer "schallenden Ohrfeige" für Erdogan. Sie wies darauf hin, dass die türkische Regierung die Repressalien gegen die wenigen noch verbliebenen kritischen Medien wie die Zeitungen "Evrensel" und "Birgün" verschärfe. Mit dem Entzug der Presseausweise für 17 Redakteure von "Evrensel", darunter auch Chefredakteur Fatih Polat, solle das Blatt ganz offensichtlich zum Einstellen der Arbeit gezwungen werden. Via Twitter erklärte Dagdelen zudem:
Ekrem Imamoglu, Istanbuls neuer Bürgermeister von der oppositionellen CHP, twitterte, der Freispruch der Angeklagten stelle das Vertrauen in das türkische Justizsystem wieder her. Er grüße all jene, die sich für die "Verteidigung der Geschichte, Kultur und Natur unserer Stadt einsetzen".
Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestags, Gyde Jensen (FDP), sagte: "Das zeigt, dass der internationale Druck auf die Türkei, rechtsstaatliche Prinzipien einzuhalten, wichtig und notwendig ist."
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir erklärte, der Freispruch stärke allen Menschen den Rücken, die friedlich dafür kämpften, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei endlich keine Worthülsen mehr seien. Europa müsse nun dafür kämpfen, dass alle unschuldig Inhaftierten in der Türkei frei kämen.
16 Angeklagte insgesamt
Angeklagt waren insgesamt 16 Aktivisten, darunter Menschenrechtler, Anwälte, Kulturschaffende und Architekten. Insgesamt neun von ihnen wurden jetzt von allen Vorwürfen freigesprochen. Das Verfahren gegen die übrigen sieben, die sich im Ausland aufhalten, wurde abgetrennt. Die Fahndungsbefehle gegen die Betroffenen, zu denen auch der Journalist Can Dündar gehört, seien aufgehoben worden, teilte Anwalt Fikret Ilkiz mit.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte im Dezember Kavalas Freilassung gefordert. Die Türkei setzte das Urteil jedoch nicht um.
se/as (rtr, afp, dw, dpa, epd)