Steudtner: "Anschuldigungen sind konstruiert"
28. November 2019Nein, sagt Peter Steudtner, persönliche Folgen seiner Haftzeit in der Türkei spüre er heute nicht mehr: "Ich fühle mich ganz normal. Die Zeit damals war ja auch sehr stark geprägt von Solidarität sowohl im Gefängnis als auch von außerhalb." Damals, das war die Zeit von Anfang Juli bis Ende Oktober 2017. Nach dem Beginn des Prozesses gegen ihn und weitere Angeklagte wegen Terror-Vorwürfen wurde der Dokumentar-Filmer und Menschenrechtsaktivist dann überraschend auf freien Fuß gesetzt und kehrte nach Deutschland zurück. In dem Prozess, der ohne seine Anwesenheit weiter läuft, hat nun selbst die Staatsanwaltschaft einen Freispruch aus Mangel an Beweisen gefordert.
"Die Fälle sind konstruiert!"
Im Sommer 2017 hatte Steudtner einen Workshop auf einer Insel vor Instanbul begleitet, an dem auch Vertreter von Amnesty International in der Türkei teilnahmen. Es ging um Themen wie Stress-Bewältigung und den Umgang mit Traumata. Nach zwei Tagen wurde der Workshop von der Polizei gestürmt, Telefone und Computer wurden beschlagnahmt. Steudtner, ein Freund von ihm aus Schweden und weitere Teilnehmer wurden verhaftet und inhaftiert. Unter fadenscheinigen Begründungen, wie Steudtner auch heute sagt.
Es gebe keine wirkliche rechtliche Begründung für die Anklagen weder bei ihm noch bei den anderen Angeklagten: "Diese Fälle sind mehr oder weniger konstruiert. Die Beschuldigungen lauten Mitgliedschaft in Terror-Vereinigungen. Und wir sollten drei Terror-Gruppen gleichzeitig unterstützt haben, was schlicht unmöglich ist." Dennoch drohten Steudtner bis zu 15 Jahre Haft.
Eine Regierung gegen die eigene Bevölkerung
Auch jetzt, längst wieder in Freiheit, setzt sich Steudtner für seine Mitangeklagten ein. Darunter findet sich auch der Ehrenvorsitzende der türkischen Amnesty-Sektion, Taner Kilic, dem weiterhin eine Verurteilung droht. Auch in diesem Fall hält Steudtner die Vorwürfe der Terror-Unterstützung für nicht gerechtfertigt: "Sie sind dünn oder sie existieren gar nicht oder sind konstruiert." Die Zivilgesellschaft in der Türkei sieht Steudtner unter dem mehr und mehr autokratisch handelnden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan massiv unter Druck. Normalerweise, so Steudtner im Interview, unterstützen Zivilorganisationen Bevölkerung und Regierungen, aber in der Türkei habe sich die Regierung gegen die eigene Bevölkerung gewandt.
Kritik an den deutschen Waffengeschäften
Steudtner wurde während seiner Haftzeit vor allem vom damaligen Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) unterstützt, der die Vorwürfe als "vollkommen unverständlich und nicht akzeptabel" bezeichnete. Dennoch kritisiert Steudtner auch die deutsche Regierung und die deutschen Waffengeschäfte mit der Türkei. Er sagte der DW: "Es müsste sich sehr viel ändern, nicht nur im Bezug auf die Türkei. Sich um politische Gefangene zu kümmern ist die eine Sache, aber wenn dann Waffen verkauft werden, kann man das nicht voneinander trennen. Solange wir Regierungen unterstützen, die die Menschenrechte verletzten, sollte es gar keine Rüstungsgeschäfte mehr geben. Denn man kann ja nicht garantieren, dass diese Waffen nicht gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden."
Aus persönlicher Erfahrung fügte der Menschenrechtsaktivist hinzu: "Viele der Militärfahrzeuge, die ich auf meinem Weg von einem Gefängnis zum nächsten gesehen habe, kamen aus deutscher Produktion. Und das ist aus meiner Sicht eine Verletzung der internationalen Menschenrechte."
Prozess wird im Februar fortgesetzt
Nach Medienberichten vom Sommer diesen Jahres hat der NATO-Partner Türkei in den ersten vier Monaten Waffenteile im Wert von mehr als 180 Millionen Euro aus Deutschland erhalten. Nach dem Beginn der Offensive des türkischen Militärs in Syrien hat die Bundesregierung einen Rüstungsexport-Stopp erlassen, der allerdings nur für Waffen und andere militärische Güter gilt, die in dem Konflikt eingesetzt werden könnten. Das Verfahren gegen Peter Steudtner und seine insgesamt neun Mitangeklagten wurde in dieser Woche nach einer mehrstündigen Anhörung auf den 19. Februar 2020 vertagt.
Das Interview wurde in englischer Sprache geführt.