"Sløborn": Zwischen Pandemie und Realität
24. Juli 2020Die Katastrophe kommt schleichend. Ein Segelboot treibt führerlos auf eine Nordseeinsel zu, deren Bewohner noch mit ihren Alltagsproblemen beschäftigt sind. Bis die ersten Erkältungssymptome auftreten, deren Ursache niemand ahnt. Beiläufig laufen in den Nachrichten bereits Meldungen über ein Virus in Asien, die fiktive Taubengrippe. Ein Szenario, das uns seit einigen Monaten sehr vertraut ist.
Die von ZDFneo beauftragte Serie "Sløborn" (Foto oben) erzählt in acht Teilen, wie sich ein Virus ausbreitet - weltweit, und plötzlich auch im nächsten Umfeld. Die von Regisseur Christian Alvart konzipierte Serie wurde vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie geschrieben und abgedreht. Nun kommt ihr auf makabre Weise die wirkliche Pandemie zugute: Die Aufmerksamkeit ist groß.
Damit ist "Sløborn" nicht allein. Eine Reihe von Katastrophenfilmen setzt sich mit der Ausbreitung tödlicher Viren auseinander. Sie bilden ein Genrearchiv, das schon zu Beginn der Corona-Pandemie plötzlich wieder gefragt war: Bei den Streamingdiensten stiegen im März die Abrufzahlen von Filmen wie "Outbreak" und "Contagion".
13 Dollar für einen zehn Jahre alten Film
Steven Soderberghs Drama "Contagion" mit Matt Damon, Kate Winslet und Gwyneth Paltrow kletterte im Frühjahr in die Top Ten bei iTunes, trendete bei Amazon Prime und war nach der "Harry Potter"-Reihe der am häufigsten gesehene Film aus dem Fundus des Studios Warner Bros. Unter den von der Pandemie neu angelockten Zuschauern war auch US-Regisseur und Oscar-Preisträger Barry Jenkins. "Ich habe 12,99 Dollar gezahlt, um einen zehn Jahre alten Film zu sehen. Das habe ich noch nie gemacht", zitierte ihn die "New York Times". Aber wieso interessieren uns diese Stoffe besonders, während wir in einer vergleichbaren Situation stecken?
"Ich war verblüfft, wie hellsichtig dieser Film ist", sagt Eckhard Pabst, Filmwissenschaftler an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, im DW-Gespräch über "Contagion". "Viele Details haben mich an die gerade gelebte Realität erinnert." Parallelen zwischen Film und Realität würden ein Muster aufzeigen. "Die Zuschauer sehen: Der Verlauf ist nicht chaotisch, die Maßnahmen folgen einem Plan." Das könne dazu beitragen, das reale Geschehen mental zu bewältigen. "Bei allem Schrecken kann von so einem Stoff also auch etwas Beruhigendes ausgehen", sagt Pabst. Auch Barry Jenkins wollte sehen, wie realistisch das Szenario im Film ist, wenn es eine reelle Entsprechung gibt.
Unterhaltung statt Erziehung
In zahlreichen Katastrophenfilmen trägt das Fehlverhalten der Menschen zur Ausbreitung der Seuche bei. Eine erzieherische Maßnahme sei damit beim Zusehen nicht verbunden, meint Eckhard Pabst: "Filme können einen Diskurs verstärken, etwa über das Tragen von Masken. Das Verhalten der Zuschauer wird sich dadurch aber nicht nachhaltig verändern." Selbst bei realistischen Stoffen gehe es den meisten Zuschauern um Unterhaltung.
Die Zuschauerreaktionen auf "Sløborn" sind nach Ausstrahlung der ersten vier Teile verhalten - wohl auch, weil man aus der Berichterstattung weiß, dass kein Virologe einem Bürgermeister gegenüber weisungsbefugt ist, wie es "Sløborn" darstellt. Christian Alvart, der Regie bei den Tschiller-"Tatorten" mit Til Schweiger führt und die Netflix-Serie "Dogs of Berlin" drehte, lässt in "Sløborn" die Bundeswehr eingreifen – schnell und teils gewaltsam. Auch hier sehen wir eine Diskrepanz zur Corona-Realität. Zum Glück.
Die achtteilige Serie "Sløborn" ist in der ZDF-Mediathek abrufbar.