Neue Entwicklungsstrategie für Afghanistan
10. März 2014Nur soviel steht fest: Bis Ende 2014 werden die internationalen Kampftruppen Afghanistan verlassen. Die Verantwortung für die landesweite Sicherheit wird am 31. Dezember vollständig an afghanische Sicherheitskräfte übergehen. Anschließend werden ausländische Soldaten nur noch im Rahmen einer Ausbildungsmission am Hindukusch stationiert sein.
Wie sich die politische Lage in den kommenden Monaten und vor allem ab 2015 entwickeln wird, ist derzeit jedoch kaum abzusehen. Und das stellt sowohl die Bundesregierung als auch Nichtregierungsorganisationen vor Schwierigkeiten. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) stellt am 12. und 13. März auf einer hochrangig besetzten internationalen Afghanistan-Konferenz eine neue Entwicklungsstrategie bis zum Jahr 2017 vor. Vertreter der deutschen und der afghanischen Regierung, der Vereinten Nationen sowie von deutschen und internationalen Hilfsorganisationen beraten zwei Tage lang über die künftige Entwicklungshilfe für Afghanistan.
Allerdings stellt sich die Frage, ob der Zeitpunkt günstig gewählt ist. Denn die geladenen afghanischen Regierungsvertreter werden kaum verbindliche Zusagen machen können. Am 5. April finden in Afghanistan Präsidentschaftswahlen statt. Zehn Kandidaten stellen sich zur Wahl um die Nachfolge von Präsident Hamid Karsai. Deutschland und die EU werden fünfzehn Wahlbeobachter nach Kabul entsenden, um einen "glaubwürdigen und transparenten" Verlauf der Wahl zu gewährleisten, so die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton.
Das Wahlergebnis wird entscheidend sein für die Rahmenbedingungen der Entwicklungszusammenarbeit. "Wenn die Regierung sehr fundamentalistisch geprägt ist, müssen wir uns natürlich anders aufstellen, als wenn ein eher säkular ausgerichteter Kandidat an die Macht kommt", sagt Klaus Lohmann von der Welthungerhilfe im DW-Interview. Die Welthungerhilfe ist seit 1992 in Afghanistan präsent. "Wir sehen für Afghanistan noch einen Bedarf von mindestens zwanzig Jahren, um die bestehenden Defizite zu überwinden. Einer unserer Schwerpunkte wird weiterhin der Aufbau und die Stärkung der Zivilgesellschaft sein", sagt Lohmann. Während der letzten zehn Jahre sei dieser Bereich nicht genug gefördert worden.
Frauenrechte stärken
Auch die Bundesregierung sieht in der "Durchsetzung der universellen Menschenrechte und der Förderung einer gesellschaftspolitischen Modernisierung" den Schwerpunkt der Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan. Das geht aus dem Fortschrittsbericht hervor, den die Bundesregierung Anfang des Jahres dem Parlament vorgelegt hat.
Gewalt gegen Frauen ist sehr verbreitet. Allein im ersten Halbjahr 2013 wurden über 4000 Fälle registriert. Die Täter stammen überwiegend aus dem direkten familiären Umfeld. Die hohe Zahl der bekanntgewordenen Fälle sei auch auf das 2009 verabschiedete Gesetz zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und die damit verbundenen landesweiten Informationskampagnen zurückzuführen, sagen Experten: Es werden mehr Übergriffe auf Frauen angezeigt.
Die Bundesregierung will in Zusammenarbeit mit lokalen NGOs die landesweite Akzeptanz des Frauenschutzgesetzes erreichen. Die darin enthaltene Anhebung des Mindestalters zur Heirat von 16 auf 18 Jahre und das Verbot der Mehrehe stoßen immer noch auf Widerstand in Teilen der afghanischen Gesellschaft.
Der Fortschrittsbericht der Bundesregierung zu Afghanistan hebt aber auch hervor, dass "gegenwärtig besonders in den Städten eine neue Generation selbstbewusster und engagierter Frauen heranwächst". Als Beispiel nennt der Bericht die Vorbildfunktion der einzigen weiblichen Gouverneurin des Landes, Habiba Sarabi, die jetzt für das Amt des Vizepräsidenten kandidiert.
Trinkwasser und Lebensmittel für eine schnell wachsende Bevölkerung
Bei einer durchschnittlichen Geburtenrate von sechs Kindern pro Frau erfordert das rapide Bevölkerungswachstum auch schnelle Lösungen bei der Versorgung mit Trinkwasser und Lebensmitteln. Hinzu kommen fast drei Millionen afghanische Flüchtlinge in den Nachbarländern Iran und Pakistan. "Pakistan hat den afghanischen Flüchtlingen ein Bleiberecht bis 2015 zugesichert", sagt Klaus Lohmann. "Sollten alle diese Menschen danach zurückkehren, wird es eine große Herausforderung werden, sie zu unterstützen."
Deutschland will bis 2016 jährlich 430 Millionen Euro an Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen. Diese Gelder sollen vorrangig in die Bereiche Landwirtschaft, Wasser- und Energieversorgung, Bildung und Gesundheit investiert werden. Damit soll an bereits erreichte Entwicklungserfolge angeknüpft werden. In Nordafghanistan hat die Bundesregierung den Bau von neun Provinzkrankenhäusern sowie zahlreichen Gesundheitsstationen in ländlichen Regionen finanziert. Zu den Zielen bis 2017 gehört neben der Ausbildung von Pflegepersonal auch die Ausrottung des Polio-Virus. Afghanistan gehört neben Pakistan und Nigeria zu den letzten drei Ländern der Welt, in denen die Kinderlähmung noch als Epidemie eingestuft wird.
Gewalt durch Taliban nimmt zu
Die Taliban haben im Vorfeld der Präsidentschaftswahl mit einer Anschlagswelle gedroht. In einer am Montag (10.03.2014) veröffentlichten Erklärung hieß es, alle Kämpfer hätten die Anweisung erhalten, Wahlhelfer, Aktivisten, Freiwillige und Sicherheitskräfte anzugreifen. Dennoch sei es falsch zu glauben, "dass ganz Afghanistan in den letzten fünf Jahren im Chaos versunken ist. Wir haben hier noch viel normales Leben", betont Lohmann, der seit sieben Jahren in Kabul arbeitet. "Es gibt jede Menge Schwimmbäder, es gibt eine Bowling-Bahn, es gibt Parks." Die letzten Jahre unter internationaler Militärpräsenz seien nicht nur vom Krieg geprägt gewesen.