Afghanin erhält "Asiatischen Nobelpreis"
1. September 2013Habiba Sarabi hat das scheinbar Unmögliche geschafft: Seit acht Jahren steht sie als einzige Frau einer afghanischen Provinz vor - trotz vieler Widerstände der männerdominierten Gesellschaft des Landes am Hindukusch. In diesem traditionellen Umfeld sei es ihr sogar gelungen, die Situation der Frauen deutlich zu verbessern - so die Begründung der Jury, die Sarabi mit dem Ramon Magsaysay Preis, dem "asiatischen Friedensnobelpreis", würdigte.
Sarabi stammt aus der gebildeten Mittelschicht, dennoch war in ihrer Kindheit, wie in fast allen afghanischen Familien, die Geschlechterdiskriminierung allgegenwärtig. "Obwohl ich die einzige Tochter war, wurde mein Bruder immer bevorzugt", erzählt sie. Aber im Nachhinein sieht die 56-Jährige das nicht als Nachteil. "Für mich war es ein Ansporn, härter zu arbeiten und mehr zu lernen. Ich wollte mir selber beweisen, dass ich es kann. Schon als Kind fragte ich mich, warum es diese Trennung zwischen Mann und Frau gibt. Warum Frauen darum kämpfen müssen, eine gleichwertige Chance zu bekommen."
Flucht und soziales Engagement
Und Habiba Sarabi erkämpft sich ihre Chance. In der Hauptstadt Kabul studiert sie Pharmazie und übernimmt anschließend einen Lehrauftrag an der Universität. Als 1996 die Taliban die Herrschaft über Afghanistan übernehmen, flieht sie nach Pakistan und setzt sich dort für Bildung, Frauenrechte und medizinische Versorgung in Flüchtlingscamps ein. Nach dem Fall des Taliban-Regimes 2001 kehrt sie in ihre Heimat zurück. 2003 wird sie Ministerin im afghanischen Frauenministerium, bevor sie 2005 Gouverneurin der Provinz Bamiyan wird - als erste Frau in einer vergleichbaren Position in der Geschichte Afghanistans.
Bamiyan ist die einzige Provinz, in der die in Afghanistan diskriminierte Minderheit der Hazara die Mehrheit stellen. Traditionell werden die Abkommen mongolischer Einwanderer sozial und religiös benachteiligt, denn sie sind im Gegensatz zu den meisten Afghanen Schiiten. Zum nomadisch-mongolischen Erbe gehört aber auch, dass die Stellung der Frau besser ist, als in anderen Volksgruppen. Deswegen gilt die Provinz im Zentrum des Landes als relativ liberal. Habiba Sarabi, selbst Hazara, konnte darauf aufbauen.
Gouverneurin der Herzen
"Die Menschen in Bamiyan haben mich nicht abgelehnt, obwohl ich eine Frau bin", erinnert sich Sarabi. "Sie waren glücklich und einfach froh, dass keine Warlords mehr über sie herrschen sollten." Sarabi wird von Männern respektiert. Viele schätzen die Standfestigkeit und Durchsetzungskraft, mit der sie für die Entwicklung ihrer Provinz kämpft. "Natürlich kommt es vor, dass einige sich mir gegenüber anders benehmen, als wenn ich ein Mann wäre, aber ich versuche sie davon zu überzeugen, dass meine Autorität wichtig ist, nicht mein Geschlecht", räumt sie ein.
Unter der Führung von Habiba Sarabi haben die öffentlichen Bildungsangebote und die Zahl der weiblichen Studenten deutlich zugenommen. Immer mehr Frauen wagen sich in Berufe, die unter der Taliban-Herrschaft 1996 bis 2001 verboten waren. "Angesichts weit verbreiteter Widerstände in Afghanistan gegenüber Frauen in öffentlichen Ämtern sind ihr Mut und ihre Entschlossenheit außerordentlich", so die Magsaysay-Stiftung in ihrer Laudatio über Sarabi, die selbst zu einer religiösen und zu einer ethnischen Minderheit gehört.
"Die Sicherheit ist gut"
Verglichen mit dem restlichen Teil des Landes gilt Bamiyan als relativ sicher. Doch im Vorfeld des Abzugs der internationalen Truppen muss sich auch diese Provinz stärker gegen Angriffe aufständischer Taliban wappnen. "Bamiyan ist ein Teil von Afghanistan - sollte sich also die Sicherheit im Land nach dem Truppenabzug im kommenden Jahr verschlechtern, wird das auch uns treffen", sagt Habiba Sarabi. "Andersherum kann die relativ friedliche Zentralprovinz aber auch ein Vorbild für andere Regionen im Land sein." Die Gouverneurin versucht deshalb, mit lokalen Sicherheitskräften die Situation unter Kontrolle zu bekommen.
Sarabi mache gute Arbeit, lobt der 35-Jährige Majid Tanha. "Die Sicherheit in Bamiyan ist gut und ich bin sehr glücklich mit ihr. Es ist völlig egal, ob Mann oder Frau - da gibt es keinen Unterschied. Wer wirklich etwas verändern will, der kann etwas verändern". Ähnlich denkt auch die Studentin Soraya Amiri. Die Gouverneurin führe vor, dass Frauen als Führungsfigur ebenfalls glänzen können: "Vor allem in den Bereichen der Bildung, der Frauenrechte und dem Umweltschutz hat sie großartige Fortschritte erzielt."
Tourismus als Vision für Bamiyan
Das Bamiyan-Tal ist einst für seine riesigen Buddha-Statuen aus dem 6. Jahrhundert berühmt gewesen, die Touristen aus aller Welt anzogen. Seit die Taliban diese im Jahr 2001 zerbombten, ist von den UNESCO-Weltkulturerbestätten nicht mehr viel übrig. Die Gouverneurin will den Tourismus wieder ankurbeln und sieht ihn als große Zukunft der Provinz. Sie hat bereits damit begonnen, in Bamiyan den ersten Nationalpark Afghanistans einzurichten. "Meine Vision ist ein Ökotourismus. Dafür haben wir ein großes Potenzial. Die Natur, die Kultur und die Geschichte der Provinz sind für Touristen auch heute noch attraktiv. Außerdem haben wir im Winter ein Ski-Gebiet und im Juli das traditionelle, volkstümliche 'Silk Road Festival'. Ich glaube fest daran, dass der Tourismus eine Zukunftsperspektive für Bamiyan bietet, die vielen Einwohnern ein nachhaltiges Einkommen sichern kann."