Truppenabzug 1989 und 2014
15. Februar 2014"Als die Russen aus Afghanistan abgezogen waren, waren die Leute hier euphorisch. Wir dachten, von nun an hätten wir nicht nur zwei islamische Feste im Jahr, sondern auch ein drittes, das wir feiern können", erinnert sich der heute 61jährige Ahmad, Lehrer aus Kabul. "Wir konnten da ja noch nicht ahnen, welches Unheil uns bevorstand. Als die Afghanen anfingen, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, war von Feiern keine Rede mehr."
Dass den Afghanen damals überhaupt zum Feiern zumute war, zeigt, wie verhasst die sowjetischen Besatzer dem Volk gewesen sein mussten. Denn der katastrophale sowjetische Militäreinsatz in Afghanistan - der Weihnachten 1979 begann, um ein pro-kommunistisches Regime in Kabul gegen die wachsende Aufstandsbewegung zu stützen - hatte ein verwüstetes Land hinterlassen, mit 5,5 Millionen Flüchtlingen und bis zu 1,5 Millionen getöteten Afghanen.
Rückzug über die "Freundschaftsbrücke"
Die Bilder vom Gang der letzten russischen Verbände über die stählerne "Freundschaftsbrücke" in Richtung der usbekischen Grenzstadt Termes gingen am 15. Februar 1989 um die Welt. Günter Knabe hatte zuvor für die Deutsche Welle von den Genfer Verhandlungen berichtet, wo der sowjetische Abzug vereinbart wurde. Er erinnert sich: "Das war schon eine Erleichterung und eine Freude, dass nun die Afghanen, so hoffte jeder, über ihr Schicksal selber bestimmen konnten."
Diese Hoffnungen waren allerdings unbegründet. Sowohl Pakistan als auch die USA, neben Afghanistan und der Sowjetunion ebenfalls Unterzeichner des Genfer Abkommens, machten klar, dass sie die Mudschaheddin weiterhin militärisch unterstützen würden. Und auch Moskau half seinem Schützling Mohammed Nadschibullah bis 1992 mit Geld und Waffen; mit dem Ende der Unterstützung fiel das Regime Nadschibullahs in sich zusammen.
Kabul abhängig - damals wie heute
25 Jahre nach dem Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen aus Afghanistan ziehen sich jetzt die Sicherheitsunterstützungstruppen (ISAF) der NATO zurück. Trotz aller Unterschiede zwischen beide Interventionen - unter anderem wurde die eine international verurteilt, die andere gebilligt - gibt es Parallelen und Lehren.
Denn wie nach dem sowjetischen Abzug wird die Kabuler Regierung auch diesmal von anhaltender Unterstützung von außen abhängig sein. Ob und wie lange sie auch ohne massive ausländische Militärpräsenz überleben kann, ist die große Frage. Afghanistan-Kenner wie Günter Knabe sind skeptisch: "Wenn die gewaltbremsenden Mächte wie die ISAF nicht mehr da sind, dann sind die fortschrittlichen Kräfte in Afghanistan auf sich allein gestellt, und ob sie sich dann gegen die Extremisten wehren und das wenige bisher Erreichte bewahren können, bezweifle ich sehr."
Mehr Opfer unter afghanischen Zivilisten und Sicherheitskräften
Die ISAF hält sich zugute, die afghanische Armee und Polizei, insgesamt 350.000 Mann, ausreichend für die Übernahme der Sicherheitsverantwortung ausgebildet zu haben. Aber das Bild hat auch Schatten: Zum Einen hat sich 2013 laut dem jüngsten Fortschrittsbericht der Bundesregierung zu Afghanistan die Zahl der gefallenen afghanischen Sicherheitskräfte gegenüber 2012 verdoppelt, auf 4.600.
Zum Anderen melden die UN auch mehr zivile Opfer im Jahr 2013, fast 3.000 Getötete stellten einen Anstieg um sieben Prozent gegenüber 2012 dar. Nach Einschätzung der UN-Mission in Afghanistan (UNAMA) auch ein Ergebnis eben jener "Übernahme der Sicherheitsverantwortung" durch afghanische Sicherheitskräfte, denn in manchen Regionen sei dadurch ein Sicherheitsvakuum entstanden.
Schwächen der afghanischen Armee
Auch der langjährige Afghanistan-Kenner Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network ist wenig zuversichtlich, dass die afghanischen Sicherheitskräfte nach dem Abzug der ISAF-Truppen in der Lage sein werden, für Sicherheit und Stabilität zu sorgen: "Das große Problem bei den afghanischen Streitkräften sind innere Bruchlinien. Erstens ist die Zusammensetzung ethnisch unausgewogen, was dazu führt, dass häufig Leute in Gebiete kommen, wo sie nicht heimisch sind und als Fremde empfunden werden." Ruttig zitiert "glaubwürdige Augenzeugenberichte" über einen Vorfall aus jüngster Zeit mit Toten unter der Zivilbevölkerung in Helmand, als afghanische Sicherheitskräfte "wild in der Gegend herumgeballert haben".
Zweitens gebe es alte Loyalitäten aus der Mudschaheddin-Zeit, die im Zweifelsfall stärker seien als der Glaube an einen übergeordneten staatlichen Auftrag. Ein weiteres Problem sieht Ruttig darin, dass viele Angehörige der afghanischen "Berufs- und Kontrakt-Armee ihre Verträge nicht erneuern, so dass man nach drei Jahren ständig neu rekrutieren muss". Hinzu komme eine große Abwesenheits- und Desertionsrate.
Karsais Provokationen
Die NATO will auf diese Defizite reagieren und über 2014 hinaus mit einer reduzierten militärischen Ausbildungsmission und - von Seiten der USA - mit Spezialkräften zur Bekämpfung von militanten Extremisten in Afghanistan präsent bleiben. Die Rede ist von rund 10.000 Mann. Auch die Bundeswehr will sich an einer solchen Ausbildungsmission mit 600 bis 800 Soldaten beteiligen. Der Haken ist allerdings: Der scheidende Präsident Karsai zögert die Unterzeichnung eines Sicherheitsabkommens mit den USA hinaus, das Voraussetzung für alle weiteren NATO-Aktivitäten in Afghanistan ist.
Und Karsai provoziert unverdrossen weiter, was nichts Gutes für die Zukunft verheißt, wie Günter Knabe meint: "Die Freilassung von Gefangenen aus dem Militärgefängnis Bagram gegen den ausdrücklichen Wunsch der Amerikaner zeigt doch eins: Die afghanischen Kräfte sind da und bleiben da, die westlichen Kräfte gehen weg, und die afghanische Gesellschaft ist unverändert."
Wie stabil sind die Institutionen?
Unverändert, meinen westliche Beobachter wie Knabe und Ruttig, bleibt vor allem die grassierende Korruption, die einen Staatsaufbau in Afghanistan schon im Ansatz ersticke. Jedoch sind, was die Stabilität der politischen Institutionen betrifft, afghanische Beobachter wie Akram Arefi, Dozent an einer Privat-Universität in Kabul, optimistischer. Er vergleicht die jetzige Lage mit der beim Abzug der Sowjets: "Die Sowjets haben das Land zu einer Zeit verlassen, als ein Machtvakuum herrschte und dieses nicht gefüllt werden konnte. Auf der anderen Seite waren alle Afghanen und politischen Gruppen bewaffnet, was zu Kämpfen und politischer Feindschaft untereinander führte. Diesmal ist es anders. Afghanistan hat eine funktionierende Regierung."
Unterstützung der Zivilgesellschaft
Im deutschen Bundestag zog Außenminister Steinmeier unlängst eine "gemischte" Bilanz der westlichen Afghanistan-Mission. Viele der "hehren Ziele" aus der Anfangszeit seien nicht erreicht worden, räumte Steinmeier ein. Er bekräftige aber, dass Deutschland sich in Afghanistan weiter engagieren wolle, um das Erreichte zu sichern. In den vergangenen zwölf Jahren seien bei Schulen und Infrastruktur, bei der Situation von Frauen und Mädchen und bei der medizinischen Basisversorgung Fortschritte erzielt worden. "Das verdient verteidigt zu werden, dafür sollten wir einstehen."
Worte, die in Afghanistan mit Genugtuung vernommen werden dürften, denn dort herrscht laut Akram Arefi vor allem die Sorge, ob die zahlreichen Hilfs- und Aufbauprojekte auch nach dem westlichen Truppenabzug weitergeführt werden.