Nawalny steht unter Schutz des BKA
23. August 2020Der im Koma liegende Kreml-Kritiker Alexej Nawalny steht in Deutschland nun unter Bewachung des Bundeskriminalamts (BKA). "Der polizeiliche Schutz von Alexej Nawalny wurde durch den Bund übernommen", sagte ein Regierungssprecher der Deutschen Presse-Agentur. Grundlage sei Paragraf sechs des BKA-Gesetzes. Darin heißt es, die Sicherheit ausländischer Gäste von Verfassungsorganen sei "in besonders festzulegenden Fällen" dem BKA anvertraut. Aus Regierungskreisen verlautete, über diese Regelung im Gesetz sei es möglich, in der Sache zu helfen.
Nach langen Verzögerungen durch russische Behörden wird der Putin-Gegner derzeit im Berliner Universitätsklinikum Charité behandelt. Ein von deutschen Aktivisten gechartertes Ambulanzflugzeug hatte den 44-Jährigen am Samstag vom sibirischen Omsk in die deutsche Hauptstadt gebracht. Die Charité teilte mit, die behandelnden Ärzte würden sich "nach Abschluss der Untersuchungen und nach Rücksprache mit der Familie" zu der Erkrankung und weiteren Behandlungsschritten äußern. Die Untersuchungen nähmen "einige Zeit" in Anspruch.
"Wir werden alles erzählen"
Eine für diesen Sonntagabend angekündigte Stellungnahme von Nawalnys Unterstützern wurde unterdessen abgesagt. Sie werde später nachgeholt, erklärte Nawalnys Vertrauter Leonid Wolkow auf Twitter. Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch hatte zuvor angekündigt: "Wir werden alles erzählen, was zurzeit über Alexejs Vergiftung bekannt ist."
Vizekanzler Olaf Scholz sprach von einer "besorgniserregenden" Erkrankung des Russen. "Wir werden deutlich machen, dass wir als Demokraten es nicht akzeptieren, dass das Leben von Oppositionellen in Gefahr gebracht wird", sagte der Bundesfinanzminister der Zeitung "Neue Westfälische". SPD-Parteikollege Dirk Wiese - der Russland-Koordinator der Bundesregierung - verlangte Aufklärung von Moskau. "Der Vorwurf der Vergiftung steht im Raum", sagte Wiese dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Die rapide Verschlechterung von Nawalnys Gesundheitszustand müsse "glaubwürdig, transparent und kooperativ mit den russischen Behörden aufgeklärt werden". Zu möglichen diplomatischen Folgen des Falls wollte sich der Bundestagsfraktions-Vize nicht äußern. Zunächst müssten die Ärzte in Berlin den Grund für Nawalnys schwere Erkrankung finden. Erst dann könnten "entsprechende Schlussfolgerungen" gezogen werden.
Engmaschige Überwachung
Der bekannte Anti-Korruptions-Aktivist war zuletzt auf Wahlkampftour in Sibirien, um den Sieg regierungsnaher Kandidaten bei den Regionalwahlen im September zu verhindern. Wie aus einem Artikel der Moskau Boulevardzeitung "Moskowski Komsomolez" hervorgeht, wurde er dort nahezu lückenlos überwacht. Am Donnerstag erlitt er während des Rückflugs in Richtung Moskau heftige Krämpfe und verlor das Bewusstsein. Nach einer Notlandung wurde Nawalny in der Millionenstadt Omsk ins Krankenhaus eingeliefert. Sein Umfeld geht davon aus, dass er durch einen Tee vergiftet wurde, den er kurz vor dem Abflug trank.
Das Gesundheitsministerium der Region Omsk teilte hingegen mit, es sei "absolut kein krampfauslösendes oder synthetisches Gift" im Körper des Patienten gefunden worden. Allerdings seien Koffein und Alkohol im Urin entdeckt worden. Zuvor hatten die Ärzte in Omsk gesagt, sie hätten kein Gift nachweisen können und gingen von einer "Stoffwechselstörung" des Patienten aus.
"Spiel auf Zeit"
Angehörige und Unterstützer des Kreml-Kritikers hatten sich direkt nach dessen Einlieferung ins Krankenhaus für eine Verlegung nach Deutschland ausgesprochen. Die russischen Ärzte erklärten den Oppositionellen jedoch zunächst für nicht transportfähig. Erst am Freitagabend stimmten sie nach heftigem Druck und dem Widerspruch deutscher Mediziner am Ort einer Verlegung zu. Später argumentierte die russische Seite, die Crew des Ambulanzflugzeuges müsse zunächst gesetzliche Ruhezeiten einhalten, bevor die Maschine nach Deutschland starten könne. Nawalnys Sprecherin warf den russischen Ärzten vor, "auf Zeit zu spielen" um zu verhindern, dass von den Experten in Deutschland noch Gift in seinem Körper nachgewiesen werden könne.
Nawalny ist einer der schärfsten Widersacher des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Seine Stiftung deckte in den vergangenen Jahren immer wieder Fälle von Korruption und den luxuriösen Lebensstil von Mitgliedern der russischen Elite auf. Er wurde in der Vergangenheit immer wieder festgenommen; mehrfach gab es körperliche Angriffe auf ihn.
jj/haz/uh (dpa, afp, rtr)