NATO will keinen Kalten Krieg
8. Juli 2016Es sieht ein wenig aus wie ein riesiges Raumschiff, das am Ufer der Weichsel in der Warschauer Innenstadt gelandet ist. Die rote Metallhaut glänzt in der Sonne. Wie wehrhafte Speere ragen die Stützen der Wände in den blauen Himmel. Ein gewölbtes strahlend weißes Plastikdach schirmt das Gebilde ab. Das polnische Nationalstadion war für die Fußball-Europameisterschaft 2012 neu gebaut worden. Jetzt dient der Sporttempel, der 58.000 Menschen fassen kann, auch als Konferenzzentrum. Für zwei Tage hat sich die NATO hier eingenistet, mit tausenden von Delegierten aus über 40 Staaten und hunderten Medienvertretern. Hinzu kommen tausende Sicherheitskräfte und Mitarbeiter der Logistik und der gastronomischen Versorgung. Die bevölkern auf fünf Stockwerken die zahllosen Räume unter den Tribünen.
Entscheiden im Kokon
Auf dem Rasen ist ein 80 mal 40 Meter großes Zelt aufgeschlagen. In diesem schneeweißen, fensterlosen Gebilde tagen die Staats- und Regierungschefs. Völlig abgeschirmt von der Welt, im Inneren eines riesigen Kokons aus Plastikplane, Aluminum und Gipsfaserplatten. "Man könnte meinen, das sei ein Bienenstock", philosopiert einer der polnischen Organisatoren lächelnd. "Wir summen drum herum und in der Mitte sind die Königinnen." Auch die Stadt Warschau ist für zwei Tage ganz auf NATO programmiert. Ganze Straßenzüge sind für die Wagenkolonnen der Staatsgäste abgesperrt. Straßenbahnen werden umgeleitet. U-Bahn-Stationen sind geschlossen. Tausende Polizisten sichern kilometerlange Zäune rund um das Stadion, am Flughafen und an den Hoteltürmen in der Innenstadt. Die polnische Boulevard-Plattform "fakt.pl" berichtet im Internet sogar, dass sich die Zahl der Prostituierten für die Gipfeltage in Warschau erhöht habe. Und auch die Preise für die Dienste seien deutlich höher als sonst.
Sicherheit wird ganz groß geschrieben, besonders auch, weil der amerikanische Präsident in der Stadt ist. Er gilt als eine der am meisten gefährdeten Personen auf der Welt. Auch deshalb habe man das Nationalstadion als Tagungsort ausgewählt, heißt es NATO-Kreisen. Es lasse sich wegen der riesigen freien Flächen drum herum so gut hermetisch abriegeln. Aus Sicherheitsgründen hat Polen sogar für einige Wochen Grenzkontrollen an den Autobahnen und Flughäfen eingeführt. Da das Land zur Schengenzone ohne Personenkontrollen gehört, war eine Ausnahmegenehmigung der EU erforderlich.
NATO soll geschlossen auftreten
Die Gipfelregie in Gestalt von Jens Stoltenberg, dem Generalsekretär der Allianz, wünscht sich vor allem eines. In der bombastischen Kulisse sollen die Staats- und Regierungschefs Geschlossenheit und Entschlossenheit zeigen. Stoltenberg sagte am Donnerstagabend, dass die NATO der russischen Bedrohung mit abschreckenden Maßnahmen begegnen wolle und gleichzeitig aber den Dialog mit Russland suche. "Der Kalte Krieg ist Geschichte und das soll er auch bleiben", so Stoltenberg. Beim üblichen Familienfoto auf tiefblauen Teppichstufen lächelten dann auch alle Staats- und Regierungschefs tapfer und geschlossen. US-Präsident Obama, der die führende NATO-Macht vertritt, durfte in der Mitte stehen. Es gab viel Schulterklopfen und Umarmungen.
Frankreich sieht keine Bedrohung
Bei einzelnen Äußerungen waren dann durchaus Nuancen zu erkennen, was die Russland-Politik angeht. Der polnische Außenminister Witold Waszczykowski sagte, überall, wo die NATO wirke, gebe es Frieden und Stabilität. Überall wo Russland wirke, gebe es eingefrorene Konflikte und Unfrieden wie in Georgien, der Ukraine, Moldawien oder Aserbaidschan. "Niemand hat den Russen je versprochen, dass sie imperiale Vorherrschaft in ihrer Nachbarschaft ausüben dürfen", so Außenminister Waszczykowski. Der französiche Präsident Francois Hollande meint hingegen, Russland sei keine Bedrohung, sondern ein Partner. Frankreich hat keine Führungsrolle bei der Stationierung zusätzlicher Soldaten in den östlichen NATO-Staaten übernommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel will auf "Verteidigung und Dialog" setzen. Die NATO habe gezeigt, dass sie nicht nur Beschlüsse auf dem Papier fasse, sondern auch umsetze.
Mit 4000 zusätzlichen Soldaten, die rotierend in den baltischen Staaten und Polen stationiert werden, soll den östlichen Mitgliedsstaaten von 2017 an ein Gefühl der Sicherheit vermittelt werden. Deutschland wird die Führung des Batatillons in Litauen übernehmen, gab Bundeskanzlerin Merkel bekannt. "Im Ernstfall lässt euch die NATO nicht hängen", lautet die Botschaft an die Balten und die Polen, so NATO-Diplomaten. Außerdem soll ein multinationaler Verband in Rumänien verstärkt werden.
Moskau will auch den Dialog
Die Antwort aus Moskau ließ nicht lange auf sich warten. Ein Kreml-Sprecher erklärte, Russland bedrohe niemanden und außerdem sei auch Russland zum Dialog bereit. Auch die Allianz will den Kontakt zu Russland, der nach der Annexion der Krim durch Russland fast vollständig abgebrochen wurde, wieder reparieren. Kommenden Mittwoch trifft sich in Brüssel der gemeinsame Rat der NATO und Russlands auf Ebene der Botschafter. So ein Treffen hatte es bereits im April gegeben. Damals hatten sich beide Seiten aber nur ihre unterschiedlichen Standpunkte vorgelesen. Parallel zum NATO-Gipfel griff Russlands Präsident Wladimir Putin zum Telefon und sprach mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande über die Lage in der Ost-Ukraine. Putin kündigte außerdem an, er werde bei der Bekämpfung von islamistischen Terroristen in Syrien enger mit den USA zusammen arbeiten. Russland will seinerseits etwa 30.000 zusätzliche Soldaten in seinen westlichen und südlichen Verteidigungsbezirken stationieren - als Antwort auf die Verstärkung der NATO-Truppen.
EU und NATO wollen besser kooperieren
Am Rande des Gipfeltreffens haben die Europäische Union und die NATO eine bessere militärische Zusammenarbeit in einer feierlichen Erklärung festgeschrieben. Die versucht man schon seit vielen Jahren. Bislang ist es aber mit der militärischen Schlagkraft der Europäischen Union nicht weit her. Großbritannien zum Beispiel hat als EU-Mitglied immer verhindert, dass so etwas wie eine europäische Armee entsteht. Das könnte sich vielleicht ändern, wenn die Briten die EU demnächst verlassen. Es gehe auch gar nicht um europäische Truppen, so EU-Dipomaten in Warschau. Man wolle eher, dass sich NATO und EU bei Marine-Einsätzen zum Aufspüren von Flüchtlingsbooten vor der türkischen und libyschen Küsten ergänzten. Vor allem solle es keine parallelen Planungen mehr geben, mahnte der Ratspräsident der EU, Donald Tusk, bei der Unterzeichung der EU-NATO-Deklaration. "Bislang hatte man den Eindruck, EU und NATO leben auf zwei unterschiedlichen Planeten, obwohl unser Hauptquartiere doch in der gleichen Stadt angesiedelt sind."