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NATO-Kurs der Ukraine: Kiews zweiter Anlauf

Eugen Theise23. Dezember 2014

Das ukrainische Parlament ändert die nationale Sicherheitsstrategie und hebt den blockfreien Status des Landes auf. Durch ihren NATO-Kurs nimmt die Ukraine weitere Konfrontationen mit Moskau in Kauf.

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Ukrainer mit NATO-Fahnen in Kiew (Foto: DYVYS)
Die Unterstützung in der Bevölkerung für eine NATO-Mitgliedschaft wächst seit der Annexion der KrimBild: picture alliance/Oleksandr Prokopenko/Oleksandr Prokopenko

"Dieses Gesetz wird uns helfen, unsere Unabhängigkeit zu verteidigen": Der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin hat bei seinem emotionalen Auftritt im Parlament in Kiew mit diesen Worten für die Blockfreiheit des Landes geworben. Die neugewählte Werhowna Rada - das ukrainische Parlament - verabschiedete kurz darauf die Änderungen zum Gesetz über die Grundlagen der nationalen Sicherheitsstrategie mit den Stimmen der proeuropäischen Koalition. Mehr als zwei Drittel der Abgeordneten stimmten für einen Verzicht auf die Blockfreiheit der Ukraine - und somit für den NATO-Kurs ihres Landes.

Kehrtwende nach dem Machtwechsel

Dies wird bereits der zweite Anlauf für Kiew sein: Unter dem prowestlichen Präsidenten Viktor Juschtschenko bemühte sich die Ukraine bereits im Jahr 2008 um eine NATO-Beitrittsperspektive. Damals scheiterte allerdings der Versuch der Ukraine und Georgiens, einen "Membership action plan" von dem Militärbündnis zu erhalten, am Widerstand mehrerer NATO-Mitglieder, darunter auch Deutschlands. Kiew und Tiflis erhielten auf dem Gipfel in Bukarest lediglich eine vage Zusage: "Die Ukraine und Georgien werden Mitglieder der NATO sein", hieß es damals in der Abschlusserklärung des Gipfels.

Zwei Jahre später revidierte das Parlament in Kiew auf Initiative des prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch den NATO-Kurs und ließ die Blockfreiheit der Ukraine im Gesetz über die Grundlagen der nationalen Sicherheit des Landes festschreiben. Noch im selben Jahr verlängerte Kiew die Stationierung der russischen Flotte auf der Krim und erhielt von Moskau im Gegenzug einen großzügigen Preisnachlass bei den Gasrechnungen, die damals die höchsten in Europa waren.

"Die Blockfreiheit war völlig ungeeignet"

Doch inzwischen ist Janukowitsch in Russland auf der Flucht und Moskau hat die Krim annektiert. Die NATO hat Berichte über die Präsenz von russischen Panzern im Osten der Ukraine bestätigt. Die Blockfreiheit hat sich als Sicherheitsstrategie für die Ukraine nicht bewährt, meint der ukrainische Botschafter bei der NATO, Ihor Dolgov, im Gespräch mit der DW: "Die Blockfreiheit, die uns unter Präsident Janukowitsch aufgezwungen wurde, erwies sich als völlig ungeeignet, um die Sicherheit und territoriale Integrität der Ukraine zu garantieren. Der Verzicht auf die Blockfreiheit ist eine der Voraussetzungen dafür, dass es nicht wieder zu einer Aggression gegen unser Land kommt."

Ein ukrainischer Soldat auf einem Panzer vor einer ukrainischen Fahne (Foto: Reuters)
Die ukrainische Armee soll reformiert werdenBild: REUTERS/G. Garanich

Russland reagiert gereizt auf den NATO-Kurs des Nachbarlandes. "Das ist kontraproduktiv", erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow im Gespräch mit russischen Medien. Moskau warnt vor einer Eskalation im Konflikt mit den Separatisten im Osten der Ukraine. Premier Dmitri Medwedew geht noch weiter und bezeichnet die Ukraine nun als "potenziellen Gegner". Doch ausgerechnet Russland treibe die Ukraine in Richtung NATO, meint Sicherheitsexperte Karl-Heinz Kamp von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik im DW-Interview. "Wenn es das Ziel der Annexion der Krim war, eine Annäherung der Ukraine an die NATO und die EU zu verhindern, dann hat Moskau genau das Gegenteil erreicht."

NATO-Mitglieder uneins in der Ukraine-Frage

Droht jetzt eine erneute Zuspitzung in der Ukraine-Krise? Davor warnte neulich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Er sieht die Ukraine nicht auf dem Weg in die NATO. "Wir sind mitten in einem gefährlichen Konflikt", sagte der SPD-Politiker im Gespräch mit der Deutschen Presseagentur. Man dürfe, so Steinmeier, "nicht Öl ins Feuer gießen". Wie auch bereits 2008 spaltet die Ukraine mit ihren Beitrittsambitionen die NATO offenbar in zwei Lager. Die einen wollen Russland nicht mit einer NATO-Erweiterung vor der Grenze des Landes provozieren. Die anderen, wie der polnische Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak, pochen auf das souveräne Recht der Ukraine, über ihre Außenpolitik frei zu entscheiden. "Der Verzicht auf die Blockfreiheit ist ein erster Schritt. Die Zeit wird kommen und die Ukraine wird NATO-Mitglied sein", sagte Siemoniak im Interview mit dem polnischen Sender "Radio Zet". Doch auch in Warschau sieht man die Ukraine noch sehr weit von einem NATO-Mitgliedschaftsantrag entfernt: Erst müsse man alle Standards des Militärbündnisses erfüllen und demokratische Reformen durchführen.

"Die Frage ist nur: Wann?"

Auch Karl-Heinz Kamp sieht die Ukraine eines Tages als Mitglied des Militärbündnisses - trotz aller Zweifel in der deutschen Politik. Für den Sicherheitsexperten zählt allein die Zusage vom NATO-Gipfel in Bukarest. "Die Frage ist nur: Wann? Da hat die NATO alle Flexibilität der Welt. Das ist danach auszurichten, wann die Ukraine reif dafür sein wird. Das ist sie zur Zeit sicherlich noch nicht", sagt Kamp. Die russische Forderung nach einer Garantie seitens der NATO, die Ukraine nie ins Bündnis aufzunehmen, bezeichnet der Sicherheitsexperte als "absurd". In einer NATO- und EU-Beitrittsperspektive sieht er einen wichtigen Anreiz für Reformen in der Ukraine.

Igor Dolgov, ukrainischer Botschafter bei der NATO (Foto: privat)
Dolgov: "Die Ukraine wird ihre Armee an NATO-Standards anpassen"Bild: picture-alliance/SCHROEWIG/Eva Oertwig

Mit den Reformen meint es die Ukraine diesmal ernst, versichert der ukrainische Botschafter bei der NATO, Ihor Dolgov. Als sein Land nach der "Orangenen Revolution" vor zehn Jahren die erste Chance vertan hatte, war er Botschafter in Berlin. Er weiß nun zu gut, wie groß damals die Enttäuschung in den europäischen Hauptstädten über den gescheiterten Reformkurs Kiews war. Diesmal will er alles besser machen. "Die Ukraine wird die Armee rundum reformieren und an NATO-Standards anpassen", versichert der Diplomat. Das Militärbündnis unterstützt die Reform der ukrainischen Streitkräfte mit Expertise und finanzieller Hilfe - vier Millionen Euro wurden vom Bündnis für die nächsten Jahre zur Verfügung gestellt. Die Modernisierung der immer noch nach Sowjet-Standards ausgerichteten Armee wird allerdings Milliarden kosten. Milliarden, die Kiew angesichts des Krieges im Osten des Landes und der schweren Wirtschaftskrise nicht hat, gibt Dolgov zu. Sicherheitsexperte Kamp verweist auf die annektierte Krim und den Separatismus im Osten der Ukraine: Solange diese Probleme nicht gelöst seien, könne von einer Beitrittsperspektive für die Ukraine keine Rede sein. Denn die Aufnahme der Ukraine in die NATO solle nicht nur für die Ukraine, sondern auch für das Militärbündnis mehr Sicherheit bedeuten.