Nachts im Bauhaus: Schlafen im Welterbe
30. Juli 2015Ich verehre das Bauhaus, besonders seine Architektur. Schon immer haben mich der effiziente Einsatz von Material und Farbe, der Minimalismus und die Klarheit begeistert. Schön ist, was funktioniert - lautete damals der Grundsatz. An vielen Schaffensorten bin ich gewesen: In Weimar, wo das Bauhaus 1919 gegründet wurde. In Berlin, wo es sich 1933 selbst auflöste. Und in der Weißen Stadt von Tel Aviv, wo es nachwirkte. Nach Dessau allerdings, in die unscheinbare, postindustrielle Stadt an der Elbe, habe ich es bisher nicht geschafft.
Dabei erlebte das Bauhaus hier von 1925 bis 1932 seine produktivsten Jahre. Hier stehen zum Beispiel das weltweit bekannte Lehrgebäude mit dem Bauhaus-Schriftzug, die Meisterhäuser, das Kornhaus, die Siedlung Dessau-Törten und viele andere Gebäude. In einem Flügel des Lehrgebäudes können Gäste seit 2013 sogar übernachten. Das will ich unbedingt ausprobieren.
Zeitsprung in die Anfänge der Moderne
Vom Dessauer Hauptbahnhof gehe ich nur wenige hundert Meter, schon stehe ich vor dem Hauptgebäude. Bauhaus-Gründer Walter Gropius hat den asymmetrischen Komplex aus mehreren miteinander verbundenen Flügeln selbst entworfen. Dazu gehört auch das fünfgeschossige Ateliergebäude. Es hat charakteristische kleine Balkone, die mich von der Seite betrachtet an Sprungbretter erinnern.
Vielleicht sollten sie die Bauhäusler zum geistigen Aufbruch beflügeln. Ab 1926 lebten hier in den Wohnateliers besonders gute Studenten und Jungmeister. Denn das Bauhaus war nicht nur eine Synthese von Kunst und Handwerk. Es war auch eine Lebensphilosophie, die sich bis ins Private durchsetzte. So wurde in dem Hauptgebäude nicht nur gearbeitet, sondern auch gefeiert, Theater gespielt, geliebt - kurzum: gelebt. Es sind wilde Partys dokumentiert, bei denen sich die Studenten teilweise zu zehnt auf einen einzigen Balkon drängten und über die flachen Geländer in die Nachbarzimmer kletterten.
Was muss das für eine Atmosphäre gewesen sein, als hier so viele Gleichgesinnte aus verschiedenen Disziplinen - von Handwerkern über Maler bis hin zu Architekten - zusammenkamen, um völlig neue Maßstäbe zu entwickeln? Ist der Geist von damals noch spürbar, wenn man selbst in den Atelierräumen übernachtet?
Minimalismus auf 24 Quadratmetern
Der erste Blick in mein Schlafzimmer für diese Nacht ist enttäuschend. Wegen eines Künstler-Workshops ist nur noch ein Zimmer zur Nordseite frei - ohne Balkon. Immerhin ist auch hier fast die komplette Außenwand verglast. Ich blicke direkt auf jenen Flügel des Hauptgebäudes, in dem die Werkstätten und Lehrräume untergebracht waren. Heute ist dort ein Museum und Sitz der 1994 gegründeten Stiftung Bauhaus Dessau.
Die weißen Wände und Glasflächen gegenüber spiegeln zusätzliches Licht in mein ohnehin helles Zimmer. Vor allem aber hat sich hier die gesamte Hitze des Tages angestaut. Thermisch, so dämmert mir, war der sonst so auf Effizienz ausgelegte Bauhausstil wohl noch nicht ausgereift. Der Raum ist minimalistisch gehalten: Vor weißen Wänden und auf terracottafarbenem Linoleumboden stehen ein graues Bett, ein schwarzer Schreibtisch, zwei Bauhaus-Stahlrohrsessel, ein einfacher Kleiderständer und ein orange-graues Sideboard. Die meisten Möbel sind der Zeit nachempfunden. Ich mag auch hier die Klarheit, aber die kahlen Wände erinnern mich an einen sterilen Krankenhausflur. Ich verspüre Lust, großflächig Farbe aufzutragen. Wie radikal muss sich dieser Stil erst für die Studenten vor fast 100 Jahren angefühlt haben?
Kein Luxus, aber authentisch
Ich habe ein eigenes Waschbecken mit Spiegel; Toilette und Dusche muss ich mir mit den Bewohnern meiner Etage teilen. Was für die Studenten damals purer Luxus war, ist heute zumindest authentisch und erklärt die günstigen Preise: Ein Einzelzimmer ist bereits ab 35 Euro zu haben, ein Doppelzimmer ab 55 Euro pro Nacht. Wer frühzeitig bei der Stiftung Bauhaus Dessau reserviert, kann auch in einem der personalisierten Zimmer übernachten. Sie wurden nachträglich mit Designentwürfen der Künstler bestückt, die hier lebten, darunter Marcel Breuer und Marianne Brandt.
Nach einem kurzen Essen unten im stilechten Bauhaus-Bistro mache ich mich am frühen Abend auf zu den Meisterhäusern. Hier wohnten damals die Bauhaus-Lehrer wie Walter Gropius, Paul Klee, Wassily Kandinsky, Lyonel Feininger oder Ludwig Mies van der Rohe. Die Häuser wurden extra für sie entworfen und gebaut.
Geist der Erneuerung in den Meisterhäusern
Zwischen hohen Kiefern stehen in einer Reihe die weißen, ineinander verschachtelten Kuben, die tagsüber für Besucher geöffnet sind. Jetzt, in den Abendstunden, haben sich hier die Künstler des Workshops breit gemacht und arbeiten an ihren Installationen. Es geht um Müll, Recycling und Nachhaltigkeit.
Ich komme mit Juan Aranguren ins Gespräch. Er ist Architekt aus Madrid und Fan des Bauhauses. "Damals muss es hier so lebendig gewesen sein", sagt er und nippt an seinem Bier. "Mich stört es, dass heute hier keiner mehr wohnt. Als könne man so den Geist der Moderne einfrieren."
Adam Drazin, ein Design-Anthroposoph vom University College London, gefällt die minimalistische Architektur der Meisterhäuser, aber er findet auch kritische Worte: In den oft kahlen Räumen schalle es, was eher kinderunfreundlich sei. Mir gefällt die unbefangene Art, mit der die Künstler an das ehrwürdige Bauhaus herantreten. Für sie ist die Entwicklung der Moderne nicht beim Bauhaus stehen geblieben. Ganz so, wie es sich wohl auch die Bauhäusler gewünscht hätten.
Mit den Eindrücken des Tages verschwinde ich in meinem stilechten Atelierzimmer drüben im Hauptgebäude. Als ich am Morgen aufwache, wird mir klar: Es ist wirklich ein einzigartiges Erlebnis, als Tourist dem Lebensgefühl der Bauhäusler nachzuspüren und in dem historischen Gebäude zu übernachten - fast so, als dürfe man nachts im Museum bleiben, wenn alle anderen schon weg sind.