Nach Rücktritt von Premier Ariel Henry: Neustart in Haiti
26. April 2024Gut sechs Wochen hat es bis zur Umsetzung einer Einigung auf eine politische Übergangslösung für Haiti gedauert. Nun ist die Ablösung des umstrittenen Interims-Premierministers Ariel Henry offiziell. Er trat am Donnerstag zurück - kurz nach der Vereidigung eines Übergangsrats in der Hauptstadt Port au Prince.
Henrys Nachfolge tritt zeitweilig der bisherige Finanzminister Michel Patrick Boisvert an, wie haitianische Medien berichten. "Mit der heutigen Zeremonie werden Ihnen die Geschicke der Nation und des Volkes übertragen", sagte Boisvert, den acht Männern und einer Frau, die das neue Regierungsgremium bilden.
Henry, der im März versprochen hatte, nach der Einsetzung eines Übergangsrates zurückzutreten, dankte dem haitianischen Volk "für die Gelegenheit, unserem Land mit Integrität, Weisheit und Ehre zu dienen".
Übergangsrat bekommt knapp zwei Jahre Zeit
Der Rat setzt sich aus Vertretern verschiedener politischer, zivilgesellschaftlicher und religiöser Gruppen sowie Wirtschaftsvertretern zusammen - sieben der Mitglieder sind stimmberechtigt. Die Schaffung des Rats war am 11. März bei einem Treffen der Karibischen Gemeinschaft CARICOM in Jamaika vereinbart worden - als Ausweg aus der schweren Staats- und Sicherheitskrise in Haiti. Seitdem wurde über die Zusammensetzung des Gremiums verhandelt und gestritten. Es soll unter anderem den Weg für Neuwahlen ebnen.
Die Übergangslösung wird in einem Dekret geregelt. Darin heißt es, das Gremium übe bis zur Amtseinführung eines neuen gewählten Präsidenten besondere präsidiale Befugnisse aus. Die Amtseinführung des neuen Staatsoberhauptes müsse bis spätestens 7. Februar 2026 geschehen.
Es ist jedoch unklar, ob der Übergangsrat in der Lage sein wird, seine Autorität gegenüber den Banden durchzusetzen, die einen Großteil der Hauptstadt Port-au-Prince kontrollieren. Ob die Banden einem Rückzug zustimmen werden, ist bislang nicht bekannt. Während im Präsidentenpalast die Vereidigungszeremonie stattfand, waren im Zentrum der Hauptstadt Schüsse automatischer Waffen zu hören.
Banden kontrollieren weite Teile der Hauptstadtregion
In Haiti sind seit 2016 keine Wahlen mehr abgehalten worden, seit der Ermordung von Jovenel Moïse im Jahr 2021 ist Haiti zudem ohne Präsident. Die humanitäre Lage in dem verarmten Karibikstaat hatte sich in den vergangenen Wochen zusehends verschlechtert.
Kriminelle Gangs kontrollieren inzwischen weite Teile des Landes und rund 80 Prozent der Hauptstadt. Ihnen werden zahlreiche Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung und Lösegelderpressung vorgeworfen.
Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden mehr als 1500 Menschen in Haiti getötet und rund 95.000 Bürger innerhalb eines Monats aus der Hauptstadtregion vertrieben. Eine bereits bestehende Hungerkrise verschärfte sich. Alle Linienflüge fielen aus, ausländische Diplomaten und Bürger wurden aus Haiti in Sicherheit gebracht.
AR/sti (dpa, afp)