Müller-Wohlfahrt nicht mehr Bayern-Arzt
17. April 2015Der Ärztestreit beim deutschen Fußball-Rekordmeister Bayern München ist eskaliert: Einen Tag nach der 1:3-Niederlage im Viertelfinale der Champions League beim FC Porto hat Mediziner-Ikone Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt nach fast vier Jahrzehnten hingeschmissen. In einer Mitteilung sprachen der 72 Jahre alte Vereinsarzt und drei seiner Kollegen von einem "geschädigten Vertrauensverhältnis". In dem Schreiben erklärten Nationalmannschaftsarzt Müller-Wohlfahrt, sein Sohn Kilian sowie Peter Ueblacker und Lutz Hänsel, die medizinische Abteilung sei "aus ihnen unerklärlichen Gründen für die Niederlage hauptverantwortlich gemacht" worden.
Nur wenige Stunden nach Müller-Wohlfahrts Rücktritt zog man beim FC Bayern ebenfalls einen Schlussstrich unter die Zusammenarbeit und präsentierte umgehend eine Zwischenlösung. Ehe "zeitnah" eine Nachfolgeregelung gefunden sei, werde Dr. Volker Braun die Mannschaft bei ihren Spielen begleiten, teilte der Club mit. Braun ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Sportmediziner und war bisher für die zweite Mannschaft der Bayern in der Regionalliga zuständig. Auf mögliche Gründe für die Trennung gingen die Münchener am Freitag nicht ein. Trainer Pep Guardiola sagte: "Ich habe großen, großen Respekt [vor Müller-Wohlfahrt, Anm. der Red.], es war seine Entscheidung."
Der Club reagierte ansonsten mit einer nüchternen Stellungnahme. "Der FC Bayern München hat mit Bedauern die Entscheidung von Vereinsarzt Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, seine medizinische Tätigkeit für den Klub niederzulegen, zur Kenntnis genommen", hieß es darin. "Müller-Wohlfahrt, aber auch sein Team, haben in den zurückliegenden Jahren erstklassige Arbeit für den Klub und seine Spieler geleistet. Hierfür gilt unser ausdrücklicher Dank."
Porto-Pleite bringt Fass zum Überlaufen
Zwischen Müller-Wohlfahrt, der seit 1977 für die Bayern arbeitete, und Trainer Pep Guardiola hatte es im Laufe der Saison angesichts der Verletztenmisere des Bundesliga-Spitzenreiters spürbar gekriselt. Besonders bei der Personalie Thiago soll es zwischen Coach und dem renommierten Arzt gekracht haben. Dem Spanier drohte nach drei Innenbandverletzungen im rechten Knie sogar ein frühes Karriereende, über die Behandlungs-Kompetenzen kam es zum Zerwürfnis. Thiago wurde zeitweise von Guardiolas "Leibärzten" in Barcelona betreut. Zuletzt schien sich das Verhältnis aber normalisiert zu haben, zumal Thiago mittlerweile wieder fit ist. "Wir haben bislang jeden Trainer überzeugt, wir werden auch Guardiola überzeugen", hatte Müller-Wohlfahrt gesagt.
Aber nach der Pleite in Porto, wo Medhi Benatia (Muskelfaserriss), Franck Ribery (Knöchelprobleme), Arjen Robben (Bauchmuskelriss), Javi Martinez (Kreuzbandriss) und David Alaba (Innenbandriss) verletzt gefehlt hatten, kam es nun offenbar zum Bruch. Das Ärzte-Quartett sieht "dadurch das für eine erfolgreiche medizinische Arbeit notwendige Vertrauensverhältnis nachhaltig beschädigt". Die tägliche Arbeit mit der Mannschaft hatte seit Anfang des Jahres Kilian Müller-Wohlfahrt geleistet. Guardiola soll zuvor darüber verärgert gewesen sein, dass die Spieler bei Blessuren stets den langen Weg zu Müller-Wohlfahrt Senior in die Münchner Innenstadt zurücklegen mussten.
Schon einmal war Müller-Wohlfahrt in seiner langen Bayern-Karriere beim Rekordmeister zurückgetreten: Nach einem Streit mit Jürgen Klinsmann im Jahr 2008 kehrte er allerdings unmittelbar nach dessen Entlassung zurück. In einem Alter, in dem für die meisten längst der Ruhestand begonnen hat, ist Müller-Wohlfahrt immer noch aktiv. Weiterhin gilt der Arzt aus München als Institution. Der sechsfache Sprint-Olympiasieger Usain Bolt, der Doppel-Olympiasieger von London, bedankte sich nach seinem Sieg über 100 Meter bei den Spielen in London 2012 sogar ausdrücklich bei Müller-Wohlfahrt.
"Er hat goldene Hände"
"Er ist ein großer Mann. Er hat meine Muskeln behandelt, aber er war mehr als ein Arzt für mich", sagte der Jamaikaner und fügte an: "Er hat eine sehr wichtige Rolle gespielt." Die hat Müller-Wohlfahrt aber nicht nur bei Bolt inne. In der Praxis in der Münchner Innenstadt geben sich Stars aus allen Bereichen des Lebens die Klinke in die Hand. Da taucht dann schon einmal spontan Bruce Springsteen auf, weil seine Konzerttournee wegen akuter Rückenprobleme in Gefahr ist.
Warum so viele Menschen dem in Leerhafe in Ostfriesland geborenen Pastorensohn vertrauen, verdeutlicht Tennisspielerin Andrea Petkovic: "Er hat goldene Hände". Rekordnationalspieler Lothar Matthäus sprach einst von "Radarfingern". Boris Becker ergänzte, dass Müller-Wohlfahrt "ein seelisches Wannenbad" sei, ein "Dr. Feelgood" (Sunday Times) eben.