MSC: Selenskyj wirbt in München für mehr Unterstützung
17. Februar 2024Standing Ovations für einen Staatschef: Für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj kein ungewohntes Ereignis. Auch an diesem Samstag, am zweiten Tag der Münchner Sicherheitskonferenz, wurde er schon vor seiner Rede mit stehendem Applaus begrüßt. Es war dennoch ein wichtiges Statement für Selenskyj, der eine schwierige und wichtige Mission zu erfüllen hat. Bei dem weltweit wichtigsten Treffen von Politikern und Experten steht Russlands Krieg gegen die Ukraine ganz oben auf der Agenda - nicht zuletzt, weil sich die Lage in der Ukraine zuspitzt und wichtige Partner wie die USA möglicherweise ihre Hilfen streichen.
Weitere Gebietsverluste in der Ukraine
Selenskyj forderte in seiner Rede die Entschlossenheit der Weltgemeinschaft im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg. "Wir müssen gemeinsam in einem Team agieren", sagte Selenskyj und warnte: "Wenn die Ukraine alleine dasteht, dann werden Sie sehen, was passiert: Russland wird uns zerstören, das Baltikum zerstören, Polen zerstören - es ist dazu in der Lage." Er erwarte Waffenpakete, Flugabwehrpakete. "Es gibt keine weitreichenden Waffen. Russland hat sie, wir haben sehr wenige davon."
Erst am Freitag habe Putin eine klare Botschaft an die Sicherheitskonferenz übermittelt, indem er einen russischen Oppositionellen ermordet habe, sagt Selenskyj mit Blick auf den Tod des inhaftierten Regierungskritikers Alexej Nawalny.
Die Ukraine steht tatsächlich unter großem Druck. Auch dieser Samstag stand unter keinem guten Stern - die ukrainische Armee wird sich aus der südostukrainischen Stadt Awdijiwka zurückziehen müssen. Monatelang hatten sich ukrainische und russische Truppen hier erbitterte Kämpfe geliefert. Es ist der schwerste Schlag seit der Aufgabe von Bachmut im Frühjahr 2023.
Wieviel Hilfe kommt aus den USA?
Von Seiten des wichtigsten Unterstützungspartners der Ukraine, den USA, gibt es gemischte Signale. Zwar hat der US-Senat vor wenigen Tagen eine Milliardenhilfe für die Ukraine gebilligt. Doch im Repräsentantenhaus, in denen die Republikaner eine knappe Mehrheit stellen, könnte dem Hilfspaket das Aus drohen. Gerade der rechte Rand der Partei hat sich strikt gegen eine weitere Unterstützung für die Ukraine ausgesprochen. Seit Kriegsbeginn hatten die USA rund 44 Milliarden US-Dollar bereitgestellt oder zugesagt. Auf die drohende Blockade weiterer Hilfen im US-Kongress ging Selenskyj nicht direkt ein. Er dankte den USA ausdrücklich für alle bisherige Unterstützung. "Wir zählen sehr auf die positive Entscheidung des Kongresses. Für uns ist dieses Paket lebenswichtig."
Eine der großen Fragen für Selenskyj dürfte deshalb sein, wie er Vertreter der USA noch umstimmen könnte. In München erklärte er bereits, dass er sich mit US-Kongressvertretern treffen wolle - die in der jetzigen Lage vielleicht sogar eine wichtigere Rolle spielen könnten als die jeweiligen Staatschefs. Wie erfolgreich er dabei sein wird, wird sich spätestens bei der Abstimmung in Washington zeigen. Vor seiner Rede hatte sich Selenskyj bereits mit US-Vizepräsidentin Kamala Harris getroffen.
Schützenhilfe bekam Selenskyj von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Dieser warnte am Samstag eindringlich vor den Folgen einer ausbleibenden Hilfe aus den USA. Es sei nicht seine Aufgabe, dem US-Kongress Ratschläge zu geben, ergänzte Stoltenberg in einer Podiumsdiskussion mit dem republikanischen US-Senator Pete Ricketts und Estlands Regierungschefin Kaja Kallas. Er könne aber sagen, dass die USA unbedingt das Hilfspaket für die Ukraine beschließen müssten. Auch US-Demokratin Nancy Pelosi zeigte sich im Gespräch mit der DW entschlossen. "Wir müssen gewinnen, denn es geht nicht nur um die Demokratie in der Ukraine."
Selenskyj "dankbar" in schwierigen Zeiten
Aus Sicht von CDU-Chef Friedrich Merz habe sich der ukrainische Präsident in seiner Rede "sehr dankbar" gezeigt, sagte er im Gespräch mit der DW. Gleichzeitig habe er um mehr Unterstützung gebeten, die aus Sicht von Merz auch notwendig sei. "Wir müssen der Ukraine Unterstützung gewähren, möglicherweise über einen längeren Zeitraum, als wir es zu Beginn dieses Konflikts gesehen haben." Auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte gab Selenskyjs Kritik grundsätzlich Recht. "Ich denke jedoch, dass der Westen in den vergangenen zwei Jahren zunehmend mehr getan hat", sagte er der DW und erinnerte an die Panzerhaubitzen, die Leopard-Panzer und andere militärische Ausrüstung.
Für DW-Korrespondent Richard Walker hat sich der Fokus von Selenskyjs Reden auf der Münchner Sicherheitskonferenz seit dem russischen Überfall stark verändert. Während er bei seiner ersten Ansprache vor allem um eine schnelle Hilfe bat, appelliere er nun an das "Durchhaltevermögen" seiner Unterstützer. Selenskyj stehe in diesem Jahr auch vor der besonderen Herausforderung, gegen die "giftige Atmosphäre" des US-Wahlkampfes ankämpfen zu müssen - und gegen einen grundsätzlichen Pessimismus, was einen Sieg der Ukraine angehe. Für Cathryn Clüver Ashbrook, Analystin der Bertelsmann-Stiftung, war die Rede Selenskyjs "sehr viel verzweifelter" als im vergangenen Jahr. Es sei klar, dass "Europa nicht mehr so schnell liefern könnte, wie der Staatspräsident es brauchen würde", sagte sie der DW.
Abkommen mit Deutschland und Frankreich
Selenskyj konnte aber auch zwei Erfolge erzielen. Bereits am Freitag schloss er mit Bundeskanzler Olaf Scholz ein bilaterales Sicherheitsabkommen, das Finanzhilfen, Rüstungslieferungen und die Ausbildung von Soldaten beinhaltet. Insgesamt 1,13 Milliarden Euro zusätzliche Hilfe wurden aus Berlin zugesagt - quasi eine Brücke bis zu einer möglichen NATO-Mitgliedschaft der Ukraine nach dem Ende des Krieges. Ein direktes militärisches Eingreifen ist nicht vorgesehen. Ob auch Taurus-Marschflugkörper geliefert werden, ist unklar.
Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte am Samstag bei der Konferenz, dass die Fähigkeit zur Abschreckung und Verteidigung glaubwürdig sein und glaubwürdig bleiben müsse. "Dabei gilt weiterhin: Wir wollen keinen Konflikt zwischen Russland und der NATO. Deshalb sind sich alle Unterstützer der Ukraine seit Beginn des Krieges einig: Wir schicken keine eigenen Soldaten in die Ukraine."
Dafür versprach Kiew Reformen und eine härtere Bekämpfung der Korruption. Laut Scholz habe Deutschland der Ukraine bislang insgesamt rund 28 Milliarden Euro bereitgestellt oder zugesagt. Damit ist Deutschland der zweitgrößte Unterstützer des Landes. Mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schloss Selenskyj ein ähnliches Abkommen. Das Paket enthält unter anderem eine Zusage für bis zu drei Milliarden Euro zusätzlicher Hilfe für 2024.