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Morddrohungen und Hass-Mails massenhaft

5. Juni 2016

Im Umgang mit Politikern wird ein bislang unbekanntes Maß an Verrohung deutlich. Besonders betroffen sind Bundesjustizminister Heiko Maas und der Grünen-Politiker Cem Özdemir. Beide bekamen mehrfach Morddrohungen.

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Deutschland Debatte im Bundestag um Anerkennung des Völkermordes durch die Türkei an den Armeniern Foto: picture-alliance/dpa/M. Kappeler
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Dass Cem Özdemir (Artikelbild) immer schon im Fadenkreuz türkischer Nationalisten und deutscher Neonazis stand, ist nichts Neues. Jedoch hat sich die Situation für den Grünen-Politiker nach der Zustimmung zum Armenien-Antrag im Bundestag nochmals verschärft. Massive Drohungen durch türkische Nationalisten haben sprunghaft zugenommen. Das Bundeskriminalamt prüfe Sicherheitsmaßnahmen für den Parteivorsitzenden der Grünen, berichtet die "Welt am Sonntag".

Zu Details wollte sich Özdemirs Büroleiter Marc Berthold nicht äußern. Er bestätigte allerdings, dass Özdemir mit dem BKA in Abstimmung stehe. Özdemir war Mitinitiator eines parteiübergreifenden Antrags zum türkischen Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten. Die Erklärung wurde trotz massiver Proteste aus der Türkei fast einstimmig im Bundestag beschlossen.

Polizeischutz vor der Wohnung

Schmähungen und Beleidigungen sind wir durchaus gewohnt, aber so eine hohe Zahl von Todesdrohungen haben wir noch nie erlebt", sagte Özdemirs Bürochef Berthold weiter. Die Drohungen gegen den prominenten Grünen-Politiker, ob sie nun per Flugblatt, Post, Email oder Twitter eintreffen, werden inzwischen laut Zeitungsbericht direkt an das BKA weiter geleitet. Die Berliner Polizei hat bereits ihre Präsenz in der Umgebung von Özdemirs Berliner Wohnung erhöht - um abzuschrecken. "Es gibt leider auch eine türkische Pegida", kommentierte Özdemir die Notwendigkeit der Schutzmaßnahmen.

Er fügte hinzu: "Rechtsradikalismus ist kein deutsches Privileg. Das gibt es leider auch in der Türkei und unter Deutschtürken." Özdemir war bereits in den 90er-Jahren als Bundestagsabgeordneter vom BKA geschützt worden. Auch damals erhielt er Drohungen von türkischen Nationalisten.

Der türkischstämmige Özdemir war wegen seiner Haltung in der Armenien-Frage persönlich in türkischen Zeitungen angegriffen worden. Bei Protesten vor der deutschen Botschaft in Ankara hatten Demonstranten Plakate mit einem durchgestrichenen Bild des Grünen-Politikers hochgehalten.

Patrone im Briefkasten

Neben Cem Özdemir sieht sich auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) einer wachsenden Verrohung gegenüber. Auch er erhält massive Drohungen, in seinem Fall stammen sie von deutschen Rechtsradikalen. Es gebe Morddrohungen mit Ort, Datum, Uhrzeit, sagte Maas der "Bild am Sonntag". "Ich bin seit 20 Jahren in der Politik, so viel Rohheit wie heute habe ich nie erlebt. Das, was geschrieben und geschickt werde, sei unterirdisch und voller Hass. Einmal hat jemand sogar eine Neun-Millimeter-Patrone in den Briefkasten meiner Privatwohnung geworfen", so Maas.

Detuschland Ministertreffen gegen extremistische Gewalt in Berlin Foto: picture-alliance/dpa/M. Kappeler
In seinem Briefkasten wurde eine Patronenhülse gefunden: Bundesjustizminister Heiko MaasBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Deutlich zugenommen hätten die Attacken, nachdem er "Pegida" als eine Schande für Deutschland bezeichnet habe: "Seit diesem Tag steigt es konstant weiter." Auf die Frage, wer ihn angreife, antwortete der Justizminister: "Vor allem Pegida, AfD, NPD und was es sonst noch in der rechten Ecke gibt. Das ist der Teil der Gesellschaft, der sich auch sonst in Fremdenfeindlichkeit und Rassismus ergießt."

Er lasse sich nicht einschüchtern. "Vieles, was da kommt, ist einfach so ekelhaft, das kann ich persönlich gar nicht ernst nehmen. Es berührt mich nicht mehr", sagte Maas. "Ich möchte meine Arbeit unbeeinflusst von irgendwelchen Hasskommentaren machen, seien sie noch so heftig." Nach einem Talkshowauftritt kommen schon mal locker 500 Zuschriften.

"Courage in der Kommunalpolitik"

Die schlimmsten Fälle leite er weiter, bei Fällen von Volksverhetzung oder der Androhung eines konkreten Verbrechens müsse die Staatsanwaltschaft von sich aus ermitteln. Die meisten hetzten nicht mehr anonym. "Die Mehrheit benutzt mittlerweile ihren richtigen Namen", sagte der SPD-Politiker. "Viele fühlen sich in ihrer Weltsicht bestätigt, weil sie in den sozialen Netzwerken Gleichgesinnte finden. In dieser vermeintlichen Masse fühlen sie sich dann sicher." Er sei als Bundesminister gut vor Übergriffen geschützt. "Für die Kommunalpolitiker, Bürgermeister, Landräte ist es viel härter." Der Oberbürgermeisterin von Zwickau seien zu Hause die Fensterscheiben eingeworfen worden. "Die zeigt wirklich Courage, indem sie sich nicht einschüchtern lässt", lobte Maas.

cgn/haz (afp, dpa, epd, kna)