Mit Vitaminen gegen COVID-19
30. April 2020Masken tragen, Abstand halten, Hände waschen - Gebote, die derzeit rund um den Globus gelten. Vielmehr können wir nicht tun, nur warten, bis ein wirksames Medikament gegen COVID-19 gefunden oder eine Impfung entwickelt ist. Richtig? Fast.
Es gibt noch etwas, auf das es jetzt mehr den je ankommt und das keine geringere Rolle spielen sollte als gute Handhygiene. Etwas, das weder in der öffentlichen Debatte, noch im Empfehlungskatalog der Regierungen einen prominenten Platz findet: ein funktionierendes Immunsystem.
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Der Biochemiker Adrian Gombart, der am Linus Pauling Institute der Oregon State University zur Relevanz von Nährstoffen für das Immunsystem forscht, wollte an diesem Umstand etwas ändern. Gemeinsam mit Kollegen machte er sich daran, ein Review-Paper zu erstellen, das die Ergebnisse von Studien zu verschiedenen Nährstoffen und ihrem Einfluss auf das menschliche Immunsystem zusammenfasst. Erkenntnisse, die eine zusätzliche Waffe im Kampf gegen das neuartige Coronavirus sein können.
Ohne Vitamine geht nichts
"Die getroffenen Maßnahmen sind alle wichtig. Es ist aber auch wichtig, dass wir auf unseren Nährstoffstatus achten, damit unser Immunsystem überhaupt funktionieren kann", sagt Gombart. Das sei besonders in stressigen Zeiten wie diesen wesentlich, in denen wir schnell dazu tendieren, uns mit Junkfood zu trösten. Ausreichend Nährstoffe? Interessiert uns eher weniger.
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Dabei sind Vitamin C und D oder andere Mikronährstoffe wie Zink, Eisen und Selen viel mehr als ein "nice to have". Im ungünstigsten Fall kann ein Nährstoffmangel den Viren Tür und Tor öffnen, weil der Körper außer Stande ist, sich gegen die Eindringlinge zu verteidigen. Für Menschen, die ohnehin zu einer Risikogruppe zählen, ist die Gefahr eines schweren Krankheitsverlauf dann besonders hoch.
Dem zu Grunde liegt simple Biochemie: "Jede Zelle unseres Körper nutzt verschiedene Mikronährstoffe, um zu funktionieren", sagt Gombart. Zu den Mikronährstoffen zählen Vitamine, Mineralstoffe und Omega-Fettsäuren.
Im Gegensatz zu den Makronährstoffen wie Fett, Kohlenhydrate und Einweiß, liefern die Mikronährstoffe dem Körper keine Energie. Sie sind trotzdem essentiell für die Grundfunktionen eines Organismus. Nicht nur für den Zellstoffwechsel, sondern eben auch für das Abwehrsystem.
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Die Verteidigungslinien halten
Adrian Gombart forscht vor allem zu Vitamin D. "Vor einigen Jahren fand unsere Forschungsgruppe heraus, dass Vitamin D die Expression eines Gens reguliert, das ein antimikrobielles Peptid kodiert", sagt er. Solche Peptide sind an den unspezifischen Abwehrmechanismen unseres Körpers beteiligt. "Vitamin D ist zudem an der Regulierung weiterer immunrelevanter Gene beteiligt."
Ein Mangel an Vitamin D kann im Umkehrschluss eine Lücke in die Verteidigungslinien unseres Körpers reißen. Eindringlinge haben dann leichteres Spiel. Dabei kann der menschliche Körper im Optimalfall einiges zu seiner Verteidigung aufbieten.
Eindringende Keime müssen zuerst Haut und Schleimhäute passieren. Haben sie diese erste Verteidigungslinie überwunden, reagiert der Körper mit Phagozyten, antimikrobiellen Proteinen und Entzündungen auf die Invasoren. Diese Vorgänge gehören zu den unspezifischen Abwehrmechanismen. Hilft die Verteidigung mit der Schrotflinte nicht, muss es präziser werden.
SARS-CoV-2 lässt sich nur durch eine ganz spezifische Immunantwort bekämpfen. Lymphozyten spüren fremde Mikroorganismen und körperfremde Moleküle auf - Viren gehören dazu. Die Lymphozyten können daraufhin Antikörper produzieren und einem Scharfschützen gleich in den Kampf ziehen.
Vitamin C gegen Pathogene
Diese Vorgänge können nur dann vernünftig ablaufen, wenn der Körper gut ausgestattet ist. Mit Vitamin C zum Beispiel. "Vitamin C wird unter anderem zur Bildung von reaktiven Sauerstoffspezies, auch Sauerstoffradikale genannt, benötigt. Diese Radikale sind eine weitere Waffe des Körpers im Kampf gegen Krankheitserreger."
Vitamin C ist außerdem an der Produktion von Antikörpern beteiligt, ohne die der Körper COVID-19 nicht in Schach halten kann. Patienten, die an dem neuartigen Virus erkrankt und in intensivmedizinischer Behandlung sind, werden daher mit hohen Dosen Vitamin C behandelt, sagt Isabelle Schiffer.
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Schiffer ist Genetikerin und Altersforscherin und die wissenschaftliche Sprecherin der Stiftung "forever healthy". Auch wenn der Name der Stiftung eher nach Wellness kling, geht es doch um richtige Wissenschaft. Wenn gerade keine Pandemie herrscht, beschäftigen sich Schiffer und ihre Kollegen mit der Frage, wie Menschen möglichst gesund möglichst alt werden können. Basis für ihre Empfehlungen sind Erkenntnisse aus verschiedenen wissenschaftlichen Sparten.
Naturheilkunde wissenschaftlich betrachtet
Dieser ganzheitliche Ansatz schließt auch Naturheilkunde ein. Um in Zeiten von Corona "einen Beitrag zu leisten", wie Schiffer sagt, hat sich das Team von forever healthy auf die Suche nach Heilpflanzen gemacht, deren Wirksamkeit in klinischen Studien bestätigt werden konnte.
"Wir haben festgestellt, dass es sehr wenig Wissen über pflanzliche Stoffe gibt, die eventuell helfen können, Symptome abzuschwächen oder den Verlauf einer Infektion zu mildern", sagt Schiffer. Dabei ist es der Wissenschaftlerin wichtig zu betonen, dass die Naturheilkunde die Schulmedizin nicht ersetzen, sondern ergänzen kann.
"Viele, die den Begriff 'Naturheilkunde' hören, haben sofort das Bild des Wunderheilers im Kopf, der Krebs heilen möchte. Das ist natürlich nicht das, was Naturheilkunde kann", sagt Schiffer. Es gehe viel mehr darum, dass Immunsystem zu stärken.
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Zu den pflanzlichen Stoffen, die Schiffer und ihre Kollegen im Kampf gegen COVID-19 als möglicherweise hilfreich identifiziert haben, gehört unter anderem Holunder."In klinischen Studien konnte nachgewiesen werden, dass Holunderextrakt die Wahrscheinlichkeit einer Erkältung senkt und die Dauer von Atemwegsproblemen bei Influenza verkürzt", sagt Schiffer.
Nahrung oder Nahrungsergänzung?
Die positive Wirkung von Holunder hat nichts mit Hokuspokus, sondern mit Biochemie zu tun: Sie enthält zahlreiche Vitamine und Spurenelemente. Sowohl Isabelle Schiffer als auch Adrian Gombart sind der Meinung, dass es zur Zeit ratsam ist, die Dosis an Vitaminen und anderen Mikronährstoffen mit Hilfe von Ergänzungsmitteln zu erhöhen. Gerade an Vitamin D mangelt es den meisten.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ist anderer Meinung: "Grundsätzlich versorgt eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung den gesunden Körper mit allen lebensnotwendigen Stoffen", heißt es in einer Stellungnahme. Das Institut räumt allerdings ein, dass es Ausnahmen von dieser Regel gibt.
In Schwangerschaft und Stillzeit sei der Bedarf an Nährstoffen erhöht. Auch alte Menschen seien häufiger unterversorgt. Sie gehören in der aktuellen Situation zur Risikogruppe Nummer eins.
Es spricht vieles dafür, dass die Frage nach einem funktionierenden Immunsystem eine höhere Priorität in der politischen Debatte um die Gesundheit der Bevölkerung verdient hat. Gesunde Ernährung sollte keine Frage des Lifestyles sein, sondern eine Maßnahme zur Prävention von Krankheiten. Wie gründliches Händewaschen auch.