Hilft Nikotin gegen das Coronavirus?
23. April 2020Eigentlich gelten Raucher ja als Risikogruppe bei Infektionen mit dem Corona-Virus. Ihre Verläufe sind nach einer Studie, die im Chinese Medical Journal veröffentlicht wurde, meist schwerer und langwieriger als die von Nicht-Rauchern, und verlaufen häufiger sogar tödlich.
Französische Forscher um den Neurobiologen des Instituts Pasteur Jean-Pierre Changeaux vermuten allerdings, dass Nikotinpflaster helfen könnten, Infektionen mit dem gefährlichen Virus zu verhindern. Sie veröffentlichten eine entsprechende Hypothese auf dem Wissenschaftsportal Qeios.
Sie kommen zu diesem Schluss, weil es nach ihren Daten, die denen der chinesischen Studie widersprechen, offenbar unter den COVID-19-Patienten nur eine geringe Zahl an Rauchern gibt.
Die wichtigsten Ergebnisse der Studie: Von 500 COVID-19-Patienten waren 350 im Krankenhaus behandelt worden und 150 hatten leichte Krankheitsverläufe. Nur fünf Prozent seien Raucher gewesen, erklärte der Studienleiter und Professor für Innere Medizin, Zahir Amoura, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Das wiederum mache insgesamt 80 Prozent weniger Raucher unter den Covid-Patienten aus als in der allgemeinen Bevölkerung in der gleichen Alters- und Geschlechtskohorte.
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Ein ähnliches Ergebnis hatte auch schon eine frühere Metastudie von Forschern um Giuseppe Lippi aus Verona/Italien, veröffentlicht im European Journal of Internal Medicine gebracht. Auch sie kamen zu dem Ergebnis, dass Raucher nicht häufiger an COVID-19 erkranken als andere.
Nikotin als Schutz?
Die französische Studie geht davon aus, dass Nikotin vor Corona schützen kann. Dahinter stecke die Hypothese, "dass Nikotin an Zellrezeptoren [ACE2] anhaftet, die vom Coronavirus genutzt werden und damit die Anhaftung des Virus verhindert", erklärt Changeux, der auch einen Lehrstuhl am Collège de France hat.
Das Virus kann nicht in die Zelle eindringen und kann sich nicht im Organismus ausbreiten, so die Schlussfolgerung der Forscher. Im La Pitié-Salpêtrière-Krankenhaus in Paris soll das jetzt noch genauer untersucht werden.
Welche Rolle spielen die ACE2-Rezeptoren wirklich?
Darüber, dass die ACE2-Rezeptoren eine blockierende Wirkung haben, besteht unter Forschern allerdings keineswegs Einigkeit. Die Neurologen James L. Olds und Nadine Kabbani aus Fairfax, Virginia hatten bereits am 18. März eine Studie in The FEBS Journal veröffentlicht. Diese geht davon aus, dass das Nikotin die Zellrezeptoren eher anrege.
Sie vermuten daher, dass die Viren dadurch sogar bessere Möglichkeiten haben, in die Zellen einzudringen. Das könne die besonders schweren Verläufe bei Rauchern erklären.
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Rauchen ist keine Lösung
Ob nun die französischen Forscher Recht haben oder deren US-Kollegen, können nur weitere Forschungen zeigen. Praktisch alle Mediziner sind sich dagegen einig, dass Tabakrauchen ein zusätzliches Risiko bei COVID-19 Erkrankungen birgt.
Sie raten, so schnell wie möglich mit dem Rauchen aufzuhören, denn das Corona-Virus befällt vor allem die Lunge und die ist bei Rauchern sowieso schon vorgeschädigt.
Anders als bei der Aufnahme von reinem Nikotin – etwa durch Nikotinpflaster, wie sie bei Menschen eingesetzt werden, die mit dem Rauchen aufhören wollen – belastet das Rauchen den Körper zusätzlich mit vielen schädlichen Wirkstoffen, darunter auch krebsfördernde Substanzen.
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Noch sind zahlreiche Untersuchungen und Tests mit Nikotinpflastern notwendig, die unterschiedliche andere Dosierungen haben. Erweist sich die französische Studie als richtig, könnte das Nikotin möglicherweise sogar Menschen vor einer Ansteckung schützen, die mit Corona-Patienten in Berührung kommen und damit einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sind.
Ungefährlich ist die Aufnahme von Nikotin allerdings keinesfalls, denn Nikotin ist ein Giftstoff. Beim Rauchen einer Zigarette nimmt der Raucher etwa ein bis drei Milligramm Nikotin auf. Eine Zigarette enthält etwa 12 Milligramm Nikotin.
Mehr Schaden als Nutzen?
Schon früher hatten sich Wissenschaftler damit beschäftigt, dass Nikotin möglicherweise auch positive Auswirkungen auf den Körper hat. So untersuchten Forscher beispielsweise die Wirkung von nikotin-ähnlichen Stoffen auf die Behandlung von Parkinson und Alzheimer. Für Menschen mit schweren Erkrankungen wie etwa Demenz fiel der Vergleich zugunsten des Nikotins aus.
Die bisherigen Ergebnisse der Studie bedeuten aber nicht, dass möglichst jeder so schnell und so oft wie möglich zum Glimmstängel greifen sollte.
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