Misstrauensvotum gegen Boris Johnson
6. Juni 2022In Großbritannien läuft ein parteiinternes Misstrauensvotum gegen Premierminister Boris Johnson . Der Vorsitzende des einflussreichen 1922-Komitees der konservativen Abgeordneten im Londoner Unterhaus, Sir Graham Brady, gab bekannt, dass die Schwelle von 54 Anträgen für eine entsprechende Abstimmung überschritten worden sei. Das Ergebnis der Abstimmung soll noch am Montagabend bekanntgegeben werden.
Schon in den vergangenen Tagen hatte sich der Druck auf Johnson wegen der Partygate-Affäre noch einmal erhöht - allerdings war erwartet worden, dass ein Misstrauensvotum erst nach Abschluss der Feiern zum 70. Thronjubiläum von Queen Elizabeth erfolgen würde. Der Untersuchungsbericht der Spitzenbeamten Sue Gray hatte Johnson schweres Führungsversagen vorgeworfen: Während der Corona-Pandemie hatte er demnach mehrfach unter Missachtung der eigenen Social-Distancing-Regeln Partys gefeiert und diese als Regierungstermine deklariert.
Geldstrafe Ja, Rücktritt Nein
In dem Zusammenhang hatte Johnson bereits eine Geldstrafe zahlen müssen. Er ist der erste amtierende Premierminister, bei dem ein Gesetzesverstoß in seine Amtszeit fällt. Nach Bekanntwerden der heimlichen Feiern hatte Johnson mehrfach um Verzeihung gebeten, einen Rücktritt aber abgelehnt. Dutzende konservative Abgeordnete hatten ihre Besorgnis geäußert, der 57-jährige Johnson könnte die Autorität verloren haben, roßbritannien zu regieren. Zuletzt hatte Jesse Norman, der von 2019 bis 2021 Staatssekretär im Finanzministerium war, öffentlich ein Misstrauensvotum verlangt.
Reicht es zur Mehrheit gegen Johnson?
Dass nun ein fraktionsinternes Misstrauensvotum abgehalten wird, heißt nicht automatisch, dass Johnson sein Amt verliert: Aktuell stellen die Tories 359 Abgeordnete, das heißt, mindestens 180 müssen ihr Misstrauen erklären. Einige konservative Politiker bezweifeln, dass diese Mehrheit erreicht wird. Rund 150 der konservativen Parlamentarier arbeiten für die Regierung, zum Beispiel als Staatssekretäre oder "Whips", also Mehrheitsbeschaffer vor wichtigen Abstimmungen. Das 1922-Komitee hingegen vertritt die Interessen aller jener konservativer Abgeordneter, die kein Regierungsamt innehaben.
Sollte das Misstrauensvotum zugunsten Johnsons ausgehen, wäre eine erneute Abstimmung erst in zwölf Monaten möglich. Johnson selbst begrüßte die Abstimmung als "Möglichkeit, den Parlamentariern seine Sichtweise darzulegen" und als "Chance, monatelange Spekulation zu beenden".
"...wenn sie mich heute unterstützen..."
Die Regierung könne dann "einen Schlusstrich ziehen und nach vorne blicken". Bei einem Treffen mit den Abgeordneten seiner Fraktion am Nachmittag erklärte er: "Wenn Sie mich heute Abend unterstützen, haben wir die Chance damit aufzuhören, über uns selbst zu sprechen, und können nur noch darüber sprechen, was wir für die Menschen dieses Landes tun."
Mehrere Kabinettsmitglieder, darunter Außenministerin Liz Truss, Finanzminister Rishi Sunak sowie Bauminister Michael Gove, haben bereits angekündigt, für Johnson zu stimmen. Ex-Außenminister und Johnson-Kontrahent Jeremy Hunt hat hingegen öffentlich angekündigt, "für den Wandel" zu stimmen.
uh/ehl/haz/se (dpa, rtr, afp, ap)