Millionen neue Bäume für Deutschland
26. September 2019Von weitem sieht das umzäunte Waldgebiet etwas merkwürdig aus: Die Stämme sind nummeriert und mit Maßbändern versehen. Zwischen den Bäumen stehen breite weiße Behälter auf rot-braunen Sockeln - wie riesige Pilze. Es sind sogenannte Streu-Sammler: alles, was von den Bäumen herunterfällt, wird hier gesammelt.
In diesem Versuchswald, in Klötze, östlich von Hannover stehen 600 Douglasien, eine Nadelbaum-Art. Ursprünglich kommt sie aus British Columbia im Nordwesten Amerikas. Birte Scheler arbeitet für die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt und holt eine Handvoll Nadeln aus einem der Streusammler. In der Regel sind abgefallene Nadeln braun.
In Schelers Hand liegen aber auch einige grüne Nadeln. Das sei im Spätsommer nicht normal und immer ein Warnzeichen dafür, dass der Baum "Trockenstress" habe, erklärt die Forstwissenschaftlerin. Da es hier relativ wenige grüne Nadeln sind, sei das aber noch "nicht alarmierend".
Auch andere Messwerte vom Versuchsgelände deuten darauf hin, dass die Douglasien mit der Trockenheit offensichtlich "ganz gut zurecht" kommen.
"Wir haben in diesem Bestand im Grunde keine Probleme", stellt Scheler fest. Und das, obwohl die vergangenen beiden Sommer überdurchschnittlich heiß waren und es wenig regnete, worunter andere Baumarten stark litten. Die Douglasien hätten trotzdem noch "große Zuwächse" verzeichnet.
Ihr Kollege Ralf-Volker Nagel hat die Erklärung: Die Douglasien haben winzige Spaltöffnungen in der Rinde, die sich bei Trockenheit schließen und die Verdunstung drosseln. Dadurch können die Douglasien mehr Feuchtigkeit im Stamm halten. Ein Anpassungs-Mechanismus, den die Douglasien aus den sehr trockenen Sommern ihrer Heimat mitbringen, und dank dem sie auch die vergangenen zwei Trockenjahre in Deutschland gut zurechtkamen.
Das kann Förster Max Schröder von seinen Bäumen nicht behaupten. Sein 16 000 ha großes Revier liegt in Riefensbeek im westlichen Harz, 150 Kilometer südlich vom Versuchswald. Hier im Mittelgebirge stehen größtenteils Fichten. Max Schröder muss hier keine herabgefallenen Nadeln zählen, um den Trockenstress der Bäume festzustellen. Jeder kann es mit bloßem Auge sehen.
"Es ist eine absolut dramatische Situation. So etwas hat es in der Form noch nicht gegeben", sagt Schröder. An einigen Stellen sehen die braunen Fichten noch nach einem verfrühten Herbst aus, an anderen Stellen sind die Stämme schon komplett kahl.
Stürme, Dürre, Borkenkäfer – Den Harz hat es schwer getroffen
Angefangen haben die Probleme allerdings schon viel früher: Wegen der seit Jahren immer trockeneren Sommer haben die Fichten zu wenig Harz, um sich gegen ihren größten Feind, den Borkenkäfer, zu wehren. Der aggressive Schädling frisst sich unter die Rinde und lässt den Baum in kurzer Zeit absterben.
Für Schröder und seine Kollegen ist es ein Wettlauf mit der Zeit. Sie müssen die befallenen Bäume schnell finden, sie fällen lassen und das Holz ausräumen, um die benachbarten Bäume zu schützen, erklärt Schröder. Denn der Borkenkäfer verbreitet sich sonst rasend schnell weiter. Das Holz der Baumstämme, in denen die Käfer ihre Brutgänge gebohrt haben, ist teilweise minderwertig und hat Schimmelränder. Es ist nicht mehr uneingeschränkt verwendbar.
Außerdem setzen Stürme dem Wald zu, die immer häufiger auftreten. Orkan "Friederike" hat im Januar 2018 in Max Schröders Revier tausende Bäume abgebrochen und große Lücken in den Bestand gerissen. Schröders Forstamt musste deshalb rund 250.000 Festmeter Holz wegen Schäden durch den Sturm und die Käfer schlagen, - doppelt so viel wie in normalen Jahren.
Ein weiterer Aspekt des Klimawandels: Unregelmäßig auftretende Niederschläge versorgen den Boden nicht mehr gleichmäßig mit Wasser. Das zerstört nicht nur die Wälder im Harz, sondern auch in vielen Regionen Europas von Portugal bis Russland.
Ausgerechnet jetzt, da Bäume dringend gebraucht werden, um CO2 zu binden. Forscher des Crowther Lab an der ETH Zürich haben berechnet, dass Wälder zwei Drittel der vom Menschen verursachten CO2-Belastung ausgleichen könnten. Aufforstung sei also ein effektives Mittel gegen den Klimawandel, so die Schweizer Forscher.
Großes Aufforstungsprogramm
Die deutsche Bundesregierung möchte gegensteuern und den verloren gegangenen Baumbestand schnell ersetzen. Agrarministerin Julia Klöckner fordert ein Programm zur Wiederaufforstung und plant in den kommenden Jahren bundesweit Millionen neue Bäume anzupflanzen.
Auch im Harz setzt Max Schröder auf Wiederaufforstung. "Wir müssen einfach nachhelfen", fordert Schröder. Die kahlgeschlagenen Flächen seien derart groß, dass es "extrem lange" dauern würde, bis sie sich von alleine wieder schließen würden und der Wald nachwächst.
Wie andere Förster, will Schröder bei der Wiederaufforstung gleichzeitig "auf Mischungen setzen" und verschiedene Baumarten pflanzen, um eine Fichten-Monokultur zu vermeiden. Dadurch könne man das Risiko mindern, dass ein ganzer Wald etwa bei Befall mit Borkenkäfern so stark leidet.
Derzeit laufen Versuche, doch nicht alle hitzeresistenten Baumarten aus dem Mittelmeerraum und Südostasien sind geeignet für deutsche Standorte. Die orientalische Buche, die Esskastanie und die Japanlärche zum Beispiel kommen in Deutschland eigentlich nicht vor.
Neue Baumarten zu importieren ist nicht einfach
Ralf-Volker Nagel erläutert die Risiken: Aus südlichen Ländern importierte Arten würden "vielleicht mit künftig warmen Verhältnissen hier gut zurechtkommen, allerdings haben wir immer noch die Gefahren wie Spätfrost, die diesen Baumarten sehr schaden".
Mediterrane Eichen beispielsweise hätten sich bei Versuchen in Südhessen "überhaupt nicht bewährt". Sie seien zu großen Teilen durch Spätfrost eingegangen und wachsen "deutlich schlechter" als heimischen Eichenarten. Ganze Versuchsflächen wie den Douglasienwald in Klötze gibt es längst nicht für alle Arten. Außerdem könnten importierte Bäume Schädlinge aus ihrer Heimat mitbringen, die sich dann bei uns weiter ausbreiten könnten.
Idealerweise dauert die Einführung einer neuen Baumart 50-100 Jahre, gibt Nagel zu Bedenken. Denn Bäume wachsen im Vergleich zu anderen Pflanzen sehr langsam. Es braucht Zeit, bis belastbare Forschungsergebnisse vorliegen. Und billig ist das Anpflanzen der neuen Arten auch nicht. Ein Kilogramm Douglasien-Saatgut - das sind ca. 70.000 Samenkörner – kostet rund 1.200 Euro. Und davon wachsen im Schnitt nur 22 000 Bäumchen an. Exotische Neupflanzungen einfach mal auszuprobieren um zu gucken, ob sie gut wachsen, ist also keine Lösung.
Experten plädieren deshalb dafür, bei der kostspieligen Aufforstung nur in Baumarten zu investieren, die in langjährigen Versuchen schon erfolgreich getestet wurden. So wie die Douglasie. Sie hat sich auf etlichen Versuchsflächen mit ganz unterschiedlichen Böden bewährt – so wie im Versuchswald in Klötze.